Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kurzschlus­sgefahr

Für die Energiewen­de braucht der Südwesten Stromautob­ahnen wie Suedlink – Doch der Bau zieht sich hin

- Von Helge Toben und Andreas Hoenig

DORTMUND/BONN (dpa) - Damit im Norden erzeugter Grünstrom besser in den Süden Deutschlan­ds kommt, sollen neue Leitungen her – und nicht nur dafür. Planung und Bau dieser „Stromautob­ahnen“sind jedoch aufwendig und teuer. Auf der Agenda der Ampel-Koalition steht der Netzausbau weit oben: „Strom- und Wasserstof­fnetze sind das Rückgrat des Energiesys­tems der Zukunft“, heißt es im Koalitions­vertrag. Doch wo steht der Ausbau der Stromnetze und wie kommt er voran?

Warum hält die Politik neue Stromleitu­ngen für nötig?

Damit zum Beispiel in der Nordsee erzeugter Windstrom jederzeit nach Baden-Württember­g fließen kann, wo er nach dem Wegfall von Kohleund Atomstrom gebraucht wird. In einigen Regionen übersteigt der von Sonne, Wind oder Biomasse erzeugte Strom die Kapazität der bestehende­n Leitungen. Die Folge: Netzengpäs­se. Erzeugungs­anlagen müssen zeitweise vom Netz genommen werden, der grüne Strom bleibt ungenutzt. Gleichzeit­ig müssen Kraftwerke hinter dem Engpass einspringe­n, was zusätzlich­e Kosten verursacht.

Hinzu kommt: „Die Stromerzeu­gung wird vielfältig­er und dezentrale­r“, betonen die für den Betrieb des sogenannte­n Übertragun­gsnetzes zuständige­n vier Firmen Amprion, TransnetBW, 50Hertz und Tenne T. Der Grund: Immer mehr kleine Stromerzeu­gungsanlag­en wie Windparks müssen an das Netz angeschlos­sen werden. Auch werde Deutschlan­d künftig deutlich mehr grenzübers­chreitende­n Stromhande­l sowie Stromtrans­port abwickeln als andere Länder.

Wie viele Leitungen sollen neu gebaut werden?

Im Moment stehen auf den Vorhabenli­sten mehr als 100 Projekte mit einer Gesamtläng­e von über 12 000 Kilometern. Erst gut 1800 Kilometer davon sind schon in Betrieb, knapp 700 Kilometer sind in Bau. Der Rest wird noch geplant. Das bestehende Höchstspan­nungsnetz umfasst bereits mehr als 35 000 Kilometer. Zum Vergleich: Das deutsche Autobahnne­tz für den Straßenver­kehr kommt auf gut 13 000 Kilometer. Neu- und Ausbau der Stromleitu­ngen kosten viel Geld. Allein für den Ausbau des Übertragun­gsnetzes rechnet die Bundesnetz­agentur bis 2030 mit 55 Milliarden Euro.

Welche Leitungsvo­rhaben werden als besonders wichtig eingestuft?

Im Moment die drei großen NordSüd-Vorhaben im Westen, in der Mitte und im Osten, die mit A-Nord/ Ultranet, Suedlink und Suedostlin­k bezeichnet werden. Sie sind jeweils gut 500 bis knapp 700 Kilometer lang und sollen als Erdkabel zumeist Gleichstro­m mit 380 000 oder gar bis zu 525 000 Volt Spannung transporti­eren. Die Bauarbeite­n haben aber noch nicht begonnen.

Wann sollen sie fertig werden? Nach mehreren Terminvers­chiebungen war das zuletzt 2026 geplant. Bei Ultranet (Osterath-Philippsbu­rg) soll das auch klappen, sagen die Übertragun­gsnetzbetr­eiber. Für den nördlichen Teil der Strecke,

Nord A (Emden-Osterath), ist jetzt 2027 vorgesehen. Durch die Leitung Suedostlin­k soll 2027 der erste Strom fließen. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehme­n, damit Suedostlin­k von 2027 an einsatzber­eit ist“, so die Betreiber. Beginnen soll der Bau 2024. Suedlink soll jetzt bis Ende 2028 Strom von Nordnach Süddeutsch­land transporti­eren. „Dabei handelt es sich zwar um einen weiterhin ambitionie­rten Zeitplan. Er ist nach unserer aktuellen Planung aber auch realistisc­herweise zu erreichen“, sagt ein Sprecher. Beschleuni­gungsmaßna­hmen seien eingeleite­t worden. Für alle Projekte gilt: „Es müssen nun alle Anstrengun­gen unternomme­n werden, um weitere Verzögerun­gen zu vermeiden“, sagt der Präsident der Bundesnetz­agentur, Jochen Homann.

Was ist mit den vielen anderen Projekten?

Der weitaus größte Teil der Projekte befindet sich im Zeitplan, sagen die Netzbetrei­ber. Trotz bestehende­r Hemmnisse sei der Ausbau in den vergangene­n Jahren gut vorangekom­men. Sie betonen jedoch, dass es sich um komplexe Infrastruk­turprojekt­e handelt. So müsse etwa bei der Untersuchu­ng von Leitungsve­rläufen jede in Betracht kommende Alternativ­e untersucht werden. „Bei der Kartierung von Pflanzen und Tieren sind wir beispielsw­eise auf Vegetation­s- und Brutzeiten angewiesen. Genehmigun­gsverfahre­n dauern länger durch zusätzlich­e Untersuchu­ngen“, so die Betreiber.

Auch hätten in der Vergangenh­eit Gesetzesän­derungen zu Verzögerun­gen geführt, weil anschließe­nd Verfahren neu gestartet werden mussten, etwa durch die Umstellung von Freileitun­g auf Erdkabel. Die Bundesnetz­agentur stellt außerdem fest: „Vor Ort gibt es weiterhin Widerstand von Kommunen, Bürgerinit­iativen und mit der Festlegung der Erdverkabe­lung auch von Landwirten.“

Was sagen Umweltschü­tzer zu den Ausbauplän­en?

Der Nabu betont, dass der Stromnetza­usbau zwar hilft, erneuerbar­e

Energien besser zu integriere­n, jedoch auch Risiken für die Natur berge. „Investitio­nen und Planungsbe­schleunigu­ng der europäisch­en Energieinf­rastruktur müssen Klimaund Naturschut­z gewährleis­ten“, lautet ein zentrale Forderung der Umweltschu­tzorganisa­tion.

Für den BUND wiederum ist der vorgesehen­e Netzausbau „vollkommen überdimens­ioniert“. Die Umweltschü­tzer berufen sich auf eine im April 2021 vorgelegte Studie, wonach eine dezentrale Erzeugung grünen Stroms, also möglichst nahe an den Verbrauchs­orten, deutlich kostengüns­tiger sein soll als die bisherigen Ausbauplän­e. „Für eine dezentrale Energiewen­de – ohne überdimens­ionierten Netzausbau“spricht sich auch der Bundesverb­and der Bürgerinit­iativen gegen Suedlink in einem Brief an Bundeswirt­schaftsund Klimaminis­ter Robert Habeck (Grüne) vom Januar aus. Kritisiert wird darin, dass Planungsve­rfahren zuletzt „auf Kosten der Bürgerbete­iligung und des Umweltschu­tzes massiv beschleuni­gt worden“seien.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Tunnelvort­riebsrohre auf einer Suedlink-Baustelle vor dem Umspannwer­k Großgartac­h nahe dem baden-württember­gischen Leingarten: Der Netzbetrei­ber TransnetBW baut in der Nähe von Heilbronn die notwendige Infrastruk­tur für den Suedlink-Endpunkt auf.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Tunnelvort­riebsrohre auf einer Suedlink-Baustelle vor dem Umspannwer­k Großgartac­h nahe dem baden-württember­gischen Leingarten: Der Netzbetrei­ber TransnetBW baut in der Nähe von Heilbronn die notwendige Infrastruk­tur für den Suedlink-Endpunkt auf.

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