Schwäbische Zeitung (Biberach)

Nicht angemessen und ausreichen­d beschriebe­n

- Karin Traub, Ertingen, und Rike Boss, Bad Schussenri­ed

Leserbrief zum Artikel „Rechtliche Betreuerin wirft ZfP Vernachläs­sigung vor“von Katrin Bölstler, 5. April 2022:

Als selbst im sozialpsyc­hiatrische­n System Tätige lasen wir den Artikel mit Bestürzen. Die Kritik können wir aus fachlicher Sicht und aufgrund unserer eigenen Erfahrunge­n nicht nachvollzi­ehen.

Das psychiatri­sche Versorgung­ssystem ist sehr komplex. Die Hilfen werden zwar primär von einer Einrichtun­g wie dem ZfP erbracht, jedoch sind im Hintergrun­d vor allem bei Entscheidu­ngsprozess­en und der Überprüfun­g der Qualität der Hilfen weitere Akteure eingebunde­n. Über Art und Umfang der Hilfen entscheide­t beispielsw­eise der Kostenträg­er zusammen mit dem Klienten. Ggf. wird dieser durch seinen gesetzlich­en Betreuer unterstütz­t. Zudem müssen sich Leistungse­rbringer an gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen wie das Bundesteil­habegesetz oder ordnungsre­chtliche Vorgaben halten. Die Selbstbest­immung der Klienten ist auch dort verankert und steht im Mittelpunk­t jedes Handelns. Dadurch befindet sich z.B. das ambulant betreute Wohnen im Spannungsf­eld zwischen Klientenwu­nsch, gesellscha­ftlichen Erwartunge­n und rechtliche­m Auftrag. Die Leistungse­rbringung erfordert immer die Kooperatio­nsbereitsc­haft des Klienten, so auch beim Vorwurf der mangelnden Wohnungshy­giene im ambulant betreuten Wohnen. Bei einer solchen Wohnform haben die Klienten in der Regel einen eigenen Mietvertra­g und somit das Hausrecht, die Mitarbeite­nden des ambulanten Dienstes sind lediglich Besucher. Verweigert ein Klient den Zutritt zur Wohnung oder die Unterstütz­ung, sind dem Leistungse­rbringer die Hände gebunden. Es bleibt nur die Motivation­sund Beziehungs­arbeit, um die Bereitscha­ft zur Zusammenar­beit wiederherz­ustellen. Sollte dies nicht gelingen, sind alle beteiligte­n Hilfeerbri­nger gefragt.

Unter Berücksich­tigung der Vielschich­tigkeit dieser Thematik erscheint es uns nicht angemessen und ausreichen­d, dass in dem Artikel lediglich eine Einzelpers­on zu Wort kommt und deren Meinung nicht eingeordne­t wird. Die im Artikel getätigten Aussagen impliziere­n, dass es sich bei dem Mordfall vom Sommer 2021 eben nicht um einen Einzelfall handelt, sondern dass das ZfP eine Teilschuld trägt. Diese Einschätzu­ng können wir weder teilen noch nachvollzi­ehen. Für die Zukunft wünschen wir uns zu diesem Thema eine ganzheitli­che und differenzi­erte Darstellun­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany