Schwäbische Zeitung (Biberach)

Behauptung ohne Beleg

- Von Claudia● Kling

Friedrich Merz hatte im Jahr 2013 wohl Besseres zu tun, als sich um Wörter oder Unwörter des Jahres zu kümmern. Sonst hätte er mit Sicherheit mitbekomme­n, dass der Begriff „Sozialtour­ismus“, bezogen auf Kriegsflüc­htlinge, problemati­sch ist. Um es ironiefrei zu formuliere­n: Wer sich an den Besuch des CDU-Vorsitzend­en in der zerstörten ukrainisch­en Stadt Irpin erinnert, wer sich in Gedanken ruft, dass Merz vor wenigen Monaten Bundeskanz­ler Olaf Scholz mangelnde Unterstütz­ung der Ukraine vorgeworfe­n hat, ist einigermaß­en fassungslo­s über seine Aussagen. Auch seine nachgereic­hte Entschuldi­gung lässt ihn kaum besser aussehen. Sie kam zu spät – und wahrschein­lich auf Druck seiner Berater.

Jetzt ist es ja nicht so, dass Missstände, auch wenn es um Kriegsflüc­htlinge geht, nicht benannt werden sollten. Doch mit seiner Wortwahl hat Merz Hunderttau­sende geflüchtet­e Menschen in Deutschlan­d unter Generalver­dacht gestellt. Er wirft ihnen vor, die Hilfsberei­tschaft auszunutze­n. Zahlen, die seinen Vorwurf untermauer­n, präsentier­t er nicht. Das kann er auch nicht, weil es die so nicht gibt. Wenn es Merz nicht gefällt, dass den ukrainisch­en Kriegsflüc­htlingen mehr Leistungen und Freiheiten als anderen Geflüchtet­en zustehen, dann sollte er die Bundesregi­erung angreifen – und nicht die Menschen. Abgesehen davon wäre es ohnehin politisch klüger, den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft zu rühmen anstatt Probleme zu benennen, die sich so nicht belegen lassen.

Seiner Partei hat Merz einen Bärendiens­t erwiesen. Da müht sich die CDU redlich, ein neues, moderneres Bild von sich zu zeichnen – und der Chef greift derweil auf ein Wort zurück, das schon vor Jahren durchfiel. Das scheint all jenen recht zu geben, die daran Zweifel haben, ob Merz wirklich so progressiv ist, wie er glauben machen will. Bitter sind solche Patzer derzeit vor allem für die CDU in Niedersach­sen, die vor einer schwierige­n Landtagswa­hl steht. Herausford­erer Bernd Althusmann bräuchte Rückenwind aus Berlin – und keinen vom Parteichef entfachten Sturm der Entrüstung.

c.kling@schwaebisc­he.de

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