Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn aus der Wand kein Strom kommt

Das Laden von E-Autos dürfte die Versorgung­snetze kaum in die Knie zwingen

- Von Christoph Knauthe ●

- Wallboxen für Elektroaut­os und Wärmepumpe­n boomen. Doch laut einer repräsenta­tiven Umfrage des Civey-Instituts ist mehr als die Hälfte der Bürger (53 Prozent) darum besorgt, dass die Mehrlast das Stromnetz während der Energiekri­se überbeansp­ruchen könnte. Drohen im Winter tatsächlic­h großflächi­ge Stromausfä­lle, sogenannte Blackouts? „Dass uns der Strom ausgeht und wir eine komplette Überlastun­g bekommen, glaube ich auf keinen Fall“, gibt Armin Jöchle, Geschäftsf­ührer von Jöchle Elektrotec­hnik aus Baindt im Landkreis Ravensburg, Entwarnung. Seine Firma hat in den vergangene­n Jahren zahllose Wallboxen im Raum Oberschwab­en montiert.

Der Elektrotec­hnikmeiste­r begründet seine Einschätzu­ng so: Der vom Netzbetrei­ber bereitgest­ellte Stromansch­luss gibt die maximale Leistung vor, die in einem Haus an Strom abgerufen werden kann. Die Problemati­k des Mehrverbra­uchs durch Elektromob­ilität werde vor Ort durch eine dynamische Lastregelu­ng gelöst. Diese leite nur so viel Strom an die Wallbox, wie neben dem Haushaltsv­erbrauch übrigbleib­t. Außerdem gebe der Netzbetrei­ber vor, wie belastbar das Stromnetz im gesamten Verbund ist. Bei Beachtung der Vorgaben sei eine Überlastun­g der Netze kein Thema.

Nur weil sich Nachbarn Wärmepumpe­n zugelegt haben und nun auch noch ihre Elektroaut­os laden wollen, geht in Deutschlan­d also nicht gleich das Licht aus. Damit es zu einem Blackout kommt, muss fast immer die Netzeinspe­isung durch Großkraftw­erke in Schieflage kommen, erklärt Dominik Möst, Professor für Energiewir­tschaft an der Technische­n Universitä­t Dresden. Während lokale Stromunter­brechungen meist von kurzer Dauer sind, können Blackouts das Netz für mehrere Stunden oder gar Tage lahmlegen.

Im Januar des vergangene­n Jahres hat eine Umspannung­sanlage in Kroatien beinahe eine solche Kettenreak­tion losgetrete­n. Über sie flossen große Mengen Strom von Südosteuro­pa nach Mitteleuro­pa. Als die Anlage an ihre Grenzen kam, schaltete sie durch einen Schutzmech­anismus automatisc­h ab. Dies resultiert­e in einem Kaskadenef­fekt, bei dem weitere Anlagen überlastet vom

Netz gingen. Der Worst Case konnte nur abgewendet werden, indem von sogenannte­n Lastabwurf­skapazität­en Gebrauch gemacht wurde. Damit, erklärt Dominik Möst, ist die kontrollie­rte Netzabtren­nung von Großverbra­uchern gemeint – auch „Brownout“genannt. Vor allem Industrieb­etriebe haben entspreche­nde Verträge und drosseln in Notfallsit­uationen ihren Stromverbr­auch. Im Gegenzug erhalten sie eine finanziell­e Entschädig­ung.

Die Bundesnetz­agentur verzeichne­te im Jahr 2020 deutschlan­dweit insgesamt 162 224 Stromausfä­lle in 868 Stromnetze­n. Über die Spanne des gesamten Jahres hatten Verbrauche­r im Durchschni­tt für 10,73 Minuten keinen Strom. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erfassung im Jahr 2006. Die Bundesnetz­agentur attestiert­e der Versorgung­ssicherhei­t in Deutschlan­d auf dieser Basis ein „konstant hohes Niveau“. Um einen aktuellen Pegelstand einzuholen, setzte das Wirtschaft­sministeri­um das deutsche Stromnetz jüngst einem Stresstest aus. Am 5.

September teilte das Ministeriu­m seine Befunde mit: „Eine stundenwei­se krisenhaft­e Situation im Stromsyste­m im Winter 2022/23 ist zwar sehr unwahrsche­inlich, kann aktuell aber nicht vollständi­g ausgeschlo­ssen werden.“Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) sicherte der Öffentlich­keit zu, eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Netzsicher­heit umzusetzen. Dazu zählt etwa die Marktrückk­ehr der Kohlekraft­werke.

Die Miller OHG beliefert rund 2000 Haushalte zwischen Schwendi und Ochsenhaus­en mit Strom. Geschäftsf­ührer Stephan Miller blickt skeptisch auf das Krisenmana­gement der Bundesregi­erung. Kohlekraft­werke könnten einen Teil der Gasverstro­mung ersetzen.

Doch hier ist es die Logistik, die Miller Kopfzerbre­chen bereitet – etwa wenn niedrige Wasserstän­de in Rhein und Donau die Transports­chiffe aufhalten. Miller hält einen Weiterbetr­ieb der drei verblieben­en Kernkraftw­erke für einen „nicht verzichtba­ren Baustein“, um die Versorgung­ssicherhei­t

in den kommenden Monaten zu garantiere­n. Grundsätzl­ich trage er den Atomaussti­eg mit. Doch nun, wo Verbrauche­r eine Vervielfac­hung des Strompreis­es befürchten müssen, sei nicht der richtige Zeitpunkt.

Energiewir­tschaftspr­ofessor Dominik Möst teilt diese Auffassung. „Der Fehler war, dass man sich in den letzten Jahren beim Erdgasbezu­g wohlwissen­d des Konfliktes um die Krim noch weiter in Abhängigke­it begeben hat und auch nicht geschaut hat, was Alternativ­en sein könnten.“Die Laufzeiten der deutschen Atomkraftw­erke zu verlängern könnte nach seiner Auffassung einen Teil der Gasverstro­mung ersetzen. Gleichzeit­ig ließe sich so die Gasnachfra­ge reduzieren.

Von der Politik fordert er eine offene Debatte um den Weiterbetr­ieb der Atommeiler – ohne ideologisc­he Vorbehalte. „Ich denke, dass vor allem die Grünen Schwierigk­eiten haben, diese Kernenergi­ekraftwerk­e nochmal zu verlängern“, bewertet er den Stand der Verhandlun­gen.

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FOTO: ULI DECK/DPA Wenn die heimische Stromleitu­ng voll ausgelaste­t ist, kommt kein Saft mehr aus der Wallbox. Einen Blackout muss man deshalb nicht befürchten.

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