Schwäbische Zeitung (Biberach)
Hier hat Liebe keine Chance
Joachim Raffs Oper „Samson“sollte vor 165 Jahren in Weimar aus der Taufe gehoben werden – Jetzt erlebt sie dort ihre fulminante Uraufführung
WEIMAR- Der vor 200 Jahren in Lachen am Zürichsee geborene Komponist Joachim Raff hatte Pech mit seinem musikdramatischen Hauptwerk „Samson“. Trotz engagierter Fürsprache seines Mentors Franz Liszt, der den jungen Feuerkopf 1849 als seinen Sekretär und Mitarbeiter nach Weimar geholt hatte, kam die Oper letztlich weder dort noch anderswo auf die Bühne. Erst 165 Jahre nach Fertiggstellung der Partitur ist das „Musikalische Trauerspiel“in drei Abteilungen und fünf Aufzügen nun just am Ort seiner einst von Liszt geplanten Uraufführung aus der Taufe gehoben worden. Die von Dominik Beykirch dirigierte, von Calixto Bieito inszenierte Produktion des Deutschen Nationaltheaters Weimar zeigt, dass Raff ganz eigene Vorstellungen von einem neuartigen Musiktheater hatte.
Äußerlich gibt sich „Samson“zwar als Grand Opéra mit Chören und Ballett in der Nachfolge von Meyerbeer, doch die Ausgestaltung der Partitur zielt unverkennbar auf ein durchkomponiertes Musikdrama. Raff kam diesem Ideal hier sogar näher als Wagner in seinen bis dahin aufgeführten Bühnenwerken. Liszt wollte übrigens Raffs ambitionierte Oper in Weimar ausgerechnet mit dem Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld in der Titelrolle präsentieren,
der später als Wagners erster Tristan Karriere machte.
Den Text zu „Samson“hat Raff nach gründlichen Studien zur biblischen Vorlage und ihren historischen Hintergründen selbst verfasst. Bei ihm steht die Königstochter Delilah zwischen ihrem Vater Abimelech und dem israelitischen Freiheitskämpfer Samson, in den sie sich verliebt hat. Die komplexe Konfliktsituation wird subtil entfaltet und mündet am Ende in Samsons Selbstmordattentat. Bieito wollte diese Geschichte nicht mit der aktuellen politischen Situation
des Nahostkonflikts kurzschließen. Stattdessen hat er das Geschehen in ein ortloses Jetzt verlegt.
Philip Rubners Bühne zeigt einen leeren, klaustrophobisch düsteren Raum mit hohen hölzernen Wänden. Hier haust eine Gemeinschaft, deren Alltag von Armut geprägt ist (Kostüme: Ingo Kügler). Sadistische Quälereien und sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung. Samson ist bei Bieito kein sympathischer Kerl, sondern ein Rächer, der wie Quentin Tarantinos Django seine Gegner gnadenlos fertigmacht. Noch während er
seinen Stiefel auf den Hals des am Boden liegenden Abimelech drückt, befummelt er die um Gnade flehende Delilah.
Bei Dominik Beykirch in der brillant spielenden Staatskapelle Weimar ist Raffs anspruchsvolles Meisterwerk in besten Händen. Peter Sonn meistert die extrem anstrengende Heldentenorpartie Samsons bravourös. Man versteht, dass Ludwig Schnorr von Carolsfeld einst großes Interesse an dieser Rolle hatte. Emma Moore entfaltet als Delilah die ganze Wucht ihres dramatischen Soprans.
Mit machtvoller Intensität setzen sich Uwe Schenker-Primus als Abimelech, Oleksander Pushniak als Seran von Askalon und Taejun Sun als israelischer Überläufer Micha vokal in Szene.
Ein kompletter Mitschnitt der Weimarer „Samson“-Produktion wird übrigens am 8. Oktober in Deutschlandfunk Kultur ab 19.05 Uhr gesendet. Wer die Aufführung in Weimar live erleben möchte und vor Ort noch etwas Zeit hat, dem sei ein kleiner Ausflug zum nahen Wielandgut Oßmannstedt empfohlen, wo die Dauerausstellung im Gutshof des Dichters Christoph Martin Wieland zum Gedenken an dessen Ankunft in Weimar vor 250 Jahren unter dem Titel „Der erste Schriftsteller Deutschlands“neu konzipiert worden ist. Dass Herzogin Anna Amalia den berühmten Aufklärer aus Biberach 1772 noch vor Goethe an ihren Hof engagiert hat, gilt als Geburtsstunde der Weimarer Klassik.
Weitere Vorstellungen am 30. September, 9., 8., 21. und 29. Oktober, 10. und 18. November sowie am 1. und 25. Dezember; Karten: https://www.nationaltheater-weimar.de