Schwäbische Zeitung (Biberach)
Brunetti für den Geist, Musik für die Seele
Die US-amerikanische Krimiautorin Donna Leon wird 80 Jahre alt
Commissario Guido Brunetti ist ein anständiger, intelligenter Mensch. Er liebt seine Heimatstadt Venedig so sehr wie seine Ehefrau Paola und die gemeinsamen Kinder Raffaele und Chiara. Immer gut gekleidet und mit einer Vorliebe für gutes Essen klärt er seit 30 Jahren die Verbrechen Venedigs auf. Wenn ihm alles zu viel wird, beruhigt er sich mit der Lektüre antiker Autoren – in der Originalsprache natürlich.
Ein Mann also, wie er im Buche steht. Brunetti ist der Lieblings-Venezianer der Deutschen. Ob im Fernsehen oder in den jährlich erscheinenden Krimis der Bestsellerautorin Donna Leon – immer macht er eine bella figura, egal, wie schrecklich sein neuester Fall ist. Donna Leon kann sich also zufrieden zurücklehnen und in aller Ruhe heute, am 28. September, ihren 80. Geburtstag feiern.
„Brunetti ist eine wunderschöne Fiktion“, bekannte die Autorin in einem Interview. „Er ist so, wie ich die Männer gerne hätte: zurückhaltend, verantwortungsvoll, diskret. Ein guter Mensch eben.“Diesen Geschmack teilen ihre Leser in 35 Ländern. Nur in Italien dürfen ihre Bücher nicht erscheinen. Sie will in der Lagunenstadt weiter unerkannt über die Straße gehen können.
Als 1992 der erste Roman „Venezianisches Finale“erschien, brachte das Donna Leon nicht nur eine späte und unerwartete Karriere als Krimiautorin ein, auch Ruhm und Reichtum folgten. Seitdem hat sie Brunetti jedes Jahr einen neuen Fall lösen lassen. „Milde Gaben“ist der 31. und derzeit aktuelle Brunetti-Krimi.
Aus Anlass des 80. Geburtstags der Schriftstellerin hat der Schweizer Diogenes-Verlag eine Sammlung von autobiografischen Erzählungen zusammengestellt: „Ein Leben in Geschichten“. Leon lässt darin ihr Leben Revue passieren.
Brunetti-Fans verkündet sie in diesem Buch eine gute Nachricht: „Das Allerbeste aber, zumindest für mich, ist das weitere Zusammensein mit Brunetti, seiner Familie und seinen Freunden, und dass ich ihm Gelegenheit geben kann, noch mehr von sich und seiner Vergangenheit, von seinen Gedanken und Gefühlen zu erzählen.“
Italia, ti amo – Italien, ich liebe dich, schreibt sie an gleicher Stelle und bekennt dennoch, dass es zur Scheidung kam. Sie bedauert es sehr, dass die Stadt für ihre Bewohner kaum noch lebenswert sei, seit sich Venedig komplett dem Massentourismus ausgeliefert habe. Deswegen hat sie ihren Hauptwohnsitz inzwischen in die Schweiz verlegt. Ihr Heimatland, die Vereinigten Staaten, hat sie ganz hinter sich gelassen.
In Montclair im US-Bundesstaat New Jersey geboren, brachten ihr die katholischen Eltern bei, dass republikanisch zu wählen eine Todsünde sei. Sie rieten ihr, eine gute Ausbildung zu absolvieren, anständig zu leben und Spaß zu haben. An diese Ratschläge hat sie sich gehalten.
Donna Leon hat Literaturwissenschaften studiert, lebte und unterrichtete in Iran, in China und in Saudi-Arabien – ihrer Meinung nach das schlimmste Land der Welt. Schließlich fand sie in Venedig eine neue Heimat und in der Lokalpresse immer wieder ausreichend Anregungen für neue Verbrechen, die der Commissario lösen kann: Bestechung, Umweltskandale, Missbrauch, Verbrechen an Asylbewerbern. Die Umweltzerstörung hat sie laut einem Interview zu einem „ÖkoTaliban“werden lassen.
Leon misstraut grundsätzlich jedem in einflussreichen wirtschaftlichen oder politischen Schlüsselpositionen. Ein klares Feindbild hat sie auch in der katholischen Kirche gefunden, besonders in der von vielen Legenden umwaberten Laienvereinigung Opus Dei. Deren Vertreter stehen für die Autorin in einer Reihe mit skrupellosen Großkonzernen oder der Mafia.
Die Italienliebhaberin ist nach eigenen Angaben nicht gläubig – nur wenn sie Händels Oratorium „Messias“hört, gerate das kurz ins Wanken. Donna Leon liebt die Barockmusik und besonders den Komponisten Georg Friedrich Händel. Dank üppig sprudelnder Bucheinnahmen kann sie überall zu anregenden Operninszenierungen fahren und als Sponsor für das junge Orchester „Il pomo d'Oro“wirken. Sie fördert das Barockensensemble großzügig, ist bei vielen Auftritten dabei und hat zahlreiche preisgekrönte Tonaufnahmen mitfinanziert. „Wenn ich zwischen Bücher schreiben und Musik fördern wählen müsste, wäre die Sache klar: die Musik“, sagte Leon, die selbst kein Instrument beherrscht. „Weil Musik die größere Freude bereitet. Musik ist eine emotionale Sache, während die Bücher eine intellektuelle Angelegenheit sind.“
Aber ihre Liebe zu klassischer Musik hat auch klare Grenzen. Vor Jahren hat Donna Leon einmal ihren absoluten Alptraum verraten: von der Wagner-Society gekidnappt zu werden und alle Opern Richard Wagners hören zu müssen. (KNA)