Schwäbische Zeitung (Biberach)
Bank of England greift am Kapitalmarkt ein
Nach dem Pfund-Absturz will die Zentralbank jetzt Staatspapiere aufkaufen
- Wenige Tage nach einem waghalsigen Paket massiver Steuersenkungen und riesiger Neuverschuldung stehen die britische Regierung und die Bank of England (BoE) unter hohem Druck der Finanzmärkte. Übers Wochenende fiel das Pfund gegenüber dem US-Dollar auf den Tiefststand seit 1971 und gab auch gegenüber anderen wichtigen Währungen nach. Bereits am Dienstag haben mehrere britische Banken und Bausparkassen die Vergabe von Krediten ausgesetzt. Seit Mittwoch stemmt sich die britische Notenbank gegen den zuletzt starken Zinsanstieg am heimischen Kapitalmarkt. Aufgrund von Störungen in diesem Marktsegment sollen ab sofort Staatspapiere mit langer Laufzeit erworben werden, wie die Bank of England am Mittwoch in London mitteilte. Eine Obergrenze wurde nicht genannt, die Käufe sollen allerdings zeitlich begrenzt bis Mitte Oktober stattfinden.
In den vergangenen Tagen sind die Zinsen von lang laufenden britischen Staatsanleihen erheblich angestiegen. Fachleute nennen als Grund die starken Steuersenkungen, die die neue Regierung von Premierministerin Liz Truss anpeilt. Befürchtet wird eine deutlich steigende Staatsschuld und eine Erhöhung der bereits sehr hohen Inflation. Beides hat sich am Kapitalmarkt in kräftig steigenden Zinsen niedergeschlagen, vor allem in den langen Laufzeiten. Am Devisenmarkt ist das britische Pfund zuletzt erheblich unter Druck geraten.
Der jetzige Eingriff am Anleihemarkt ist heikel, weil die Notenbank eigentlich in der kommenden Woche damit beginnen wollte, ihren hohen Anleihebestand zu veräußern. Der Start des geplanten Verkaufsprozesses, der zusammen mit den steigenden Leitzinsen einer geldpolitischen
Straffung gleichkommt, soll nun auf Ende Oktober verschoben werden.
Zuvor hatten die Opposition, aber auch frühere konservative Finanzminister den erst seit Monatsbeginn amtierenden Kwasi Kwarteng vor den ökonomischen Folgen gewarnt. Kwarteng hat zwar an der Uni Cambridge den Doktor in Wirtschaftsgeschichte erworben und gilt als blitzgescheit, verfügt aber über wenig Regierungserfahrung. Mit seinem „Mini-Haushalt" löste er ein Versprechen von Premier Truss ein. Diese hatte im innerparteilichen Wettstreit um die Nachfolge von Boris Johnson im Sommer die Ankurbelung der Volkswirtschaft durch umgehende Steuersenkungen zum Kern ihrer Politik gemacht. Als Ziel gab Truss jährliches Wachstum von 2,5 Prozent aus, eine Marke, die zuletzt unter den Labour-Regierungen (1997 bis 2010) erreicht worden war.
Ihr Rivale Rishi Sunak, unter Johnson selbst zweieinhalb Jahre lang Finanzminister, sprach damals
abschätzig von einer „PhantasieÖkonomie": Statt sofortiger Steuersenkungen müsse nach der gewaltigen, insgesamt mehrere 100 Milliarden Pfund umfassenden Corona-Hilfe für Unternehmen und Bürger zunächst die staatliche Schuldenlast reduziert werden. Die Staatsschuld erreichte Ende 2019 den historisch bereits hohen Stand von 85,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes BIP (vergleichbar große europäische Volkswirtschaften damals: Frankreich 98,1, Deutschland 59,8 Prozent). Ende Juli lag sie dem Statistikamt ONS zufolge bei 99,6 Prozent, mit steigender Tendenz. Auf dem Labour-Parteitag in Liverpool sprach die Schatten-Finanzministerin Rachel Reeves von einem „unglaublich beunruhigenden nationalen Notfall". Kritisch äußerten sich auch Kwartengs konservative Vorgänger. „Man kann nicht einfach mit Neuverschuldung ein Niedrigsteuerland schaffen", glaubt George Osborne (2010 bis 2016).