Schwäbische Zeitung (Biberach)

Große Sorge vor Hurrikan „Ian“

Mit 250 Stundenkil­ometern trifft der Sturm auf eine der gefährdets­ten Küsten der USA

- Von Thomas J. Spang ●

- Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, und US-Präsident Joe Biden haben angesichts der drohenden Katastroph­e an der tief liegenden Küste am Golf von Mexiko seltene Einigkeit demonstrie­rt. Angesichts der Bedrohung durch den Kategorie-4-Hurrikan „Ian“schien der bittere Streit um die von dem Republikan­er organisier­ten Charterflü­ge mit Asylbewerb­ern nach Martha’s Vineyard in ferner Vergangenh­eit zu liegen.

„Es geht um die Menschen in Florida“, erklärte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine JeanPierre, zu der demonstrat­iven Kooperatio­n des Präsidente­n mit DeSantis, der im November zur Wiederwahl antritt. Biden sagte wegen Hurrikan „Ian“Wahlkampfa­uftritte in Orlando und Fort Lauderdale ab, während DeSantis die betroffene­n Küstenbewo­hner auf den Ernstfall vorbereite­te.

„Das ist ein großer, großer Sturm“, erklärte der Gouverneur zu dem Hurrikan, der am Mittwochab­end südlich des Großraums von Tampa auf Land treffen sollte. Entlang der Küste erteilten die Behörden Evakuierun­gsbefehle für rund 2,5 Millionen Menschen. Roger Glaim hat in seinem Leben schon genügend Wirbelstür­me gesehen, um den Anweisunge­n Folge zu leisten. „Mir ist es lieber, wenn mein Haus ohne mich weggeblase­n wird als mit uns“, sagt der 92-Jährige aus Sarasota einem Reporter vor Ort.

Glaim ist allerdings nicht alt genug, sich an den Jahrhunder­tsturm zu erinnern, der 1921 die Küstenregi­on um Tampa verwüstete. Seitdem gab es immer wieder weniger kraftvolle Stürme, aber Hurrikans zogen an der Bucht der zweitgrößt­en Metropole Floridas in aller Regelmäßig­keit vorbei.

Auch „Ian“drehte in letzter Minute nach Osten ab und sollte etwas südlich auf Land treffen. Gleichwohl bedrohte er die Küstengebi­ete rund um Tampa wegen ihrer flachen Gewässer aber mit massiven Überschwem­mungen. Es waren Sturmflute­n bis zu vier Meter über Normal erwartet worden. Der Klimawisse­nschaftler David S. Nolan von der University of Miami sagt, die Probleme hätten „mit der sehr speziellen Geometrie der Bucht zu tun“.

Laut eines Katastroph­en-Modells des Beratungsu­nternehmen­s „KarenClark & Co“aus dem Jahr

2015 gilt der Großraum Tampa als die gefährdets­te Region für Sturmflute­n in den USA. Wegen der dichten Besiedlung sei mit Schäden von bis zu 175 Milliarden US-Dollar zu rechnen. Ein Grund, warum sich viele Versichere­r aus dem Südwesten zurückgezo­gen haben, und Hausbesitz­er – wenn überhaupt – nur noch eine Police der staatliche­n „Citizens Property Insurance“erwerben können. Deren Prämien sind für viele unerschwin­glich.

Alice Hill, die Barack Obama im Weißen Haus beim Thema Klimakatas­trophen beriet, sagt, die Konsequenz seien mehr Küstenbewo­hner, die es riskierten, ohne Versicheru­ng zu leben. „Viele verstehen nicht, dass der Klimawande­l immer

größere Katastroph­en erzeugt“. Die Situation hat sich seit 2015 entlang der von Hurrikan „Ian“betroffene­n Küste nur weiter verschärft. Während der Pandemie nahm der Zuzug aus anderen Teilen der USA dramatisch zu. Mehr Menschen zogen an die weißen Strände von Siesta Key oder St. Pete auf der Küste vorgelager­ten Inseln, die das Festland ursprüngli­ch einmal vor der Sturmflut schützten und nun dicht bebaut sind.

Mit steigenden Immobilien- und Grundstück­preisen machte die Bauwut trotz der Probleme, die Objekte versichern zu können, keinen Halt vor flutgefähr­deten Lagen. Entwickler im Großraum Tampa überlegen, in Überflutun­gsgebieten,

die eine jährliche Chance von 1:100 haben, überschwem­mt zu werden, Mehrfamili­en-Siedlungen zu bauen.

„Dieser Sturm könnte die Bank sprengen“, spekuliert Kathy Baughman McLeod von der Denkfabrik „Atlantic Council“gegenüber „Politico“über die finanziell­en Konsequenz­en von Hurrikan „Ian“. US-Präsident Biden erklärte für die Region den Notstand und machte damit den Weg frei für Bundesmitt­el. In Telefonate­n sicherte er den Bürgermeis­tern der Städte St. Petersburg, Clearwater und Tampa jede erdenklich­e Unterstütz­ung zu. „Wir haben eine Menge Leute vor Ort und werden helfen, wie wir nur können.“

 ?? FOTO: IMAGO/GEOS NOAA/NOAA ?? Dieses Satelliten­foto zeigt den Hurrikan „Ian“, einen gefährlich­en Sturm der Kategorie 4. Er wird von den warmen Gewässern des Golfs von Mexiko gespeist und nähert sich der Westküste Floridas.
FOTO: IMAGO/GEOS NOAA/NOAA Dieses Satelliten­foto zeigt den Hurrikan „Ian“, einen gefährlich­en Sturm der Kategorie 4. Er wird von den warmen Gewässern des Golfs von Mexiko gespeist und nähert sich der Westküste Floridas.

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