Schwäbische Zeitung (Biberach)
Roadtrip zum Selbst
Mit „Der Wisent“gelingt Autor Konrad Bogusław Bach ein fulminantes Debüt voller Witz und Tiefgang
Ein kleiner Ort mitten in Polen und zwei Männer kurz vor der Rente, die nie vorhatten, ihre Heimat zu verlassen: Heniek und Andrzej, Mechaniker und Tischler, brechen aus dem Örtchen Gajerudki auf, um Beatka zurückzuholen, die zur Saisonarbeit in die Niederlande gefahren ist und ihren Mann Heniek nun nach 36 Jahren Ehe verlassen hat, ohne ihm den Grund dafür zu nennen. Was als möglichst kurze Autofahrt geplant ist, entpuppt sich als Irrfahrt durch Europa – und das bisherige Selbstverständnis der beiden Freunde wandelt sich.
Mit „Der Wisent“gelingt dem Autor Konrad Bogusław Bach ein originelles, kluges und sehr unterhaltsames Debüt: Ein Schelmenroman, ein auch mal derber Roadtrip, ein tiefsinniges Stück über das Ende der Sowjetzeit und was der Kapitalismus Osteuropa bescherte. Autor Bach wurde in Polen geboren, wuchs in Hannover auf, studierte Theologie, Philologie, Theaterwissenschaft und Drehbuch. Heute lebt er an der deutsch-polnischen Grenze und konnte bereits Stipendien als Schriftsteller erhalten.
Bach gelingt es, auf 432 Seiten nie zu langweilen. Die meist recht kurzen Kapitel glänzen mit einer Sprache die feine Prosa kann, aber auch den derben Zungenschlag einfacher Leute beherrscht. Man möchte das Buch nicht aus den Händen legen. Und die drei Hauptprotagonisten Heniek, Andrzej und Beatka sind glaubwürdig, voller Licht und Schatten – keine Klischees, sie fühlen sich an wie echte Menschen. Weder Kapitalismus noch Sowjetnostalgismus können Bachs spitzer Feder entkommen.
Etwa, wenn er vom Geschachere um eine Straßenwalze erzählt, von Andrzejs vorrausschauender Klugheit, die ihm während des Zerfalls des Kommunismus zu Wohlstand verhalf, von Henieks Sehnsucht nach einer scheinbar unkomplizierteren
Zeit: „Früher war es noch einfach gewesen: Was kommunistisch, ausländisch und insbesondere russisch war, war schlecht, was polnisch und katholisch war, war gut. Und wer regierte, hatte nur im Sinn, sich selbst zu bereichern.“Europa, so viel ist den beiden trotz ihrer Vorurteile klar, ist da ungleich komplizierter.
In „Der Wisent“geht es um Vorstellungen von Männlichkeit, Einsamkeit, um falsche und richtige Entscheidungen im Leben, um Freundschaft und Kirschlikör. Und all das wird gebührend behandelt, kein Faden wird nur angerissen, kein Charakterzug der Protagonisten ist nicht nachvollziehbar. Der Roman steht in einer Traditionslinie mit „Winterbergs letzte Reise“von Jaroslav Rudiš, aber auch „Tyll“von Daniel Kehlmann. Große Vorbilder, hinter denen sich Bach aber nicht zu verstecken braucht, so lebensklug und lebensfroh ist seine Prosa. Keine Frage, von diesem Autor wird man noch hören.