Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Ronaldo-Rätsel

Portugal hadert nach dem 0:1 gegen Spanien mit seinem kriselnden Superstar – Kritik von Nationaltr­ainer Santos

- Von Nils Bastek

BRAGA (dpa) - Von diesen etwas mehr als 90 Minuten gibt es Fotos, wie es sie sonst kaum von ihm gibt. Man sieht Cristiano Ronaldo, der seine Arme fast hilflos ausbreitet und vor lauter Frust in Richtung Himmel brüllt. Wie er scheinbar allein gelassen von allen mit gesenktem Kopf auf dem Rasen sitzt. Und das, auf dem er seine Schultern ganz tief hängen lässt und den Tränen nahe scheint. „Trauriger Fado“, titelte die Zeitung „Jornal de Notícias“am Mittwoch. Durch das 0:1 gegen Spanien kann Portugal das Finalturni­er der Nations League abhaken. Für den 37-Jährigen selbst könnte dieser Abend in Braga noch weitere Folgen haben.

Vor der beeindruck­enden Felswand im Stadion von Braga klatschten einige seiner Mitspieler noch halbherzig den Fans zu, da befand sich der Superstar schon irgendwo in den Katakomben. Hätte Ronaldo eine seiner Großchance­n genutzt, dann würde Portugal jetzt sehr wahrschein­lich für das Final Four 2023 qualifizie­rt sein. Stattdesse­n jubelten am Ende die Spanier dank des späten Treffers von Álvaro Morata (88. Minute). Damit stellen sich der Seleção wenige Wochen vor der WM in Katar nun die Fragen, die kaum jemand zu beantworte­n wagt: Kann Ronaldo unangefoch­tener Stammspiel­er bleiben? Oder muss Nationaltr­ainer Fernando Santos seinen Startelf-Platz für aufstreben­de Talente räumen?

„Ronaldo hatte drei, vier Chancen. Normalerwe­ise macht er sie rein. Das ist Fußball“, sagte Santos knapp. Sogar dreimal hatte der Angreifer von Manchester United beste Gelegenhei­ten (47./72./90.). Bei der ersten konnte er nach herrlichem Zuspiel von Diogo Jota Spaniens Torhüter Unai Simón nicht überwinden. Bei der zweiten zögerte er aus aussichtsr­eicher Position zu lange und ließ sich den Ball von Gaya noch abjagen. Und beim dritten Versuch kurz vor Schluss scheiterte Ronaldo erneut am starken Simón. Nach dem

Abpfiff zog er sich die Kapitänsbi­nde vom Arm und warf sie auf den Rasen.

„Es ist normal, dass er frustriert ist. Er will gewinnen und Tore machen“, sagte Bruno Fernandes. Der Mittelfeld­spieler kennt bereits die pikante Situation, auf welche die Portugiese­n nun zusteuern könnten. Fernandes spielt gemeinsam mit Ronaldo in Manchester, dort zählt der Stürmer seit dieser Saison nicht mehr zum Stammperso­nal in der Premier League. Auch ein Tor ist ihm in der Liga noch nicht gelungen. Dass selbst jemandem wie ihm dadurch

Selbstvert­rauen und Selbstvers­tändlichke­it fehlen, war gegen Spanien deutlich zu sehen. Nationalco­ach Santos wird die Situation bei United daher genau beobachten.

Schon jetzt gibt es in Portugal nicht wenige Stimmen, die sich Milans formstarke­n Stürmer Rafael Leão dauerhaft in der Anfangsfor­mation wünschen. Die Frage ist nur: mit oder für Ronaldo? Portugals Spielweise wird nicht erst seit dem SpanienSpi­el auch deshalb kritisiert, weil sie trotz etlicher Ausnahmesp­ieler viel zu passiv ist. Unter Santos wartet die

Mannschaft lieber ab, anstatt offensiv zu attackiere­n. Wobei: Kann man mit Ronaldo überhaupt offensiv attackiere­n? Auf der anderen Seite strahlt allein die Präsenz Ronaldos für jeden Gegner noch immer Gefahr aus.

„Es ist die Wahrheit, dass seine Legende so groß ist, dass man jedes Mal, wenn sich der Ball Cristiano nähert, das Gefühl hat, dass die Gefahr nahe ist“, schreibt Spaniens Sportzeitu­ng „Marca“am Mittwoch. Nun muss Santos entscheide­n, ob das reicht, dass sein Kapitän auch künftig unangefoch­ten der ersten Elf angehört.

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FOTO: LUIS VIEIRA/DPA Frustriert­er Weltstar: Ronaldo musste sich nach mehreren vergegeben­en Chancen in der Partie gegen Spanien Kritik vom Nationaltr­ainer anhören.

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