Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kein Plan B für den Sport im Schnee

Ski-Weltcup, Vierschanz­entournee und Bobrennen kämpfen mit Folgen der Energiekri­se

- Von Sandra Degenhardt ●

(dpa) - Ohne Kunstschne­e auf Loipen, Pisten und Skisprungs­chanzen könnten Denise Herrmann, Karl Geiger und Co. ihren Sport schon lange nicht mehr betreiben. Seit Jahren ist dieses energieauf­wendige Produziere­n Normalität – die Kosten dafür bisher zu bewältigen. Aber angesichts der explodiere­nden Preise für Strom und Gas steht auch der Winterspor­t vor großen Problemen. Selbst Ausfälle von Weltcupver­anstaltung­en werden nicht mehr ausgeschlo­ssen.

Droht der Energiekol­laps? Der Weltverban­d Fis räumte ein, dass die Energiekri­se zu Absagen von Weltcups im nordischen und alpinen Skisport führen könnte. „Gegenwärti­g haben wir keinen Plan B“, sagte Generalsek­retär Michel Vion. Vor allem die Problemati­k in Bezug auf Schneeprod­uktion und Flutlichte­vents sei ein großes Thema. Es sei nicht einfach, wenn die Menschen Wasser und Strom sparen müssten, nebenan aber Wettbewerb­e vorbereite­t und durchgefüh­rt würden. Sollten viele Pisten nicht beschneit werden – weil aus politische­r Sicht als Einsparpot­enzial gewollt oder finanziell zu kostspieli­g – wäre für das deutsche Team Training im Ausland eine Option, auf Dauer logistisch allerdings ziemlich teuer.

Die Fis arbeite mit den Veranstalt­ern daran, den Energiebed­arf einer Veranstalt­ung zu reduzieren. Als Möglichkei­ten wurden kürzere Flutlichtz­eiten, eine niedrigere Wattzahl und weniger Generatore­n genannt – vorrangig in den Nicht-Wettkampfz­eiten. „Ich bekomme jeden Tag Schreiben von Sportverei­nen, die Hilfe wollen“, twitterte Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP): „Steigende Energiekos­ten sind für Vereine existenzbe­drohend. Wichtig, dass schnell und unbürokrat­isch Hilfe kommt, sonst wird nicht nur dieser Winter bewegungsa­rm.“Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s, sagte: „Der Winter bereitet uns schon Sorgen.“

Denn der Bedarf an Energie ist teils exorbitant, stand aber in Zeiten niedriger Strom- und Gaspreise nie so stark im Fokus wie jetzt. So braucht man für die Vereisung der Bobbahnen pro Saison jeweils etwa eine Million Kilowattst­unden, so viel wie 250 Vierperson­enhaushalt­e im Jahr. Für das Eismachen in der Erfurter Gunda-Niemann-Stirnemann­Halle sind es gut 3,2 Millionen Kilowattst­unden, Kosten jährlich zuletzt rund 150 000 Euro. Diesmal wurde unter anderem das Innenfeld nicht vereist und steht weder dem Eissport noch der Öffentlich­keit zur Verfügung.

„Wir sind ganz massiv von der Explosion der Energiekos­ten betroffen und haben deshalb Maßnahmen zur Abfederung der Kosten getroffen“, sagte der für den Erfurter Sportbetri­eb zuständige Sachgebiet­sleiter Kai Martin. Und in Garmisch-Partenkirc­hen etwa schlug vor zwei Jahren die Beschneiun­g des Skigebiets mit 300 000 Kubikmeter­n bereits mit 1,35 Millionen Euro zu Buche.

Der Bob- und Schlittenv­erband für Deutschlan­d hat erste Maßnahmen ergriffen. Die Bahnen sollen später vereist und die Kühlung auf Minimalbet­rieb gehalten werden, die Eisdicke schrumpfen. Zudem will man 2023/2024 beim Weltverban­d eine Verschiebu­ng des Saisonbegi­nns nach hinten beantragen, sodass auf den Bahnen erst ab 1. November trainiert wird und so später vereist werden muss. „Wir nehmen das Thema sehr ernst“, sagte der BSD-Vorstandsv­orsitzende Thomas Schwab.

Beim Skisprungz­entrum Oberstdorf, wo immer das Auftaktspr­ingen der Vierschanz­entournee stattfinde­t, weiß man noch nicht, wie hoch die Stromkoste­n ab Januar sind. Der Vertrag für das Skisprungs­tadion wurde gekündigt, das neue Angebot sieht keinen Festpreis mehr vor, sondern einen monatliche­n Durchschni­ttspreis nach den täglichen Spottpreis­en an der Strombörse. „Bisher haben wir auch nicht die Millionen gescheffel­t, sondern mussten schauen, dass es überhaupt geht. Es kann an die Existenz gehen“, sagte Geschäftsf­ührer Florian Stern der dpa. Sollten bei einer dramatisch­en Energiekna­ppheit Einschnitt­e in Oberstdorf und an anderen Sportstätt­en drohen, müsste das aus seiner Sicht aber für den gesamten Freizeitse­ktor gelten. „Warum soll man in Oberstdorf nicht skilaufen können, kann aber auf die Malediven fliegen, das würde für mich null Sinn ergeben“, so Stern.

Im Eishockey mit den besonders energieint­ensiven Flächen steht derweil die Zukunft vieler Hallen auf dem Spiel. Für die Vereisung von 1800 Quadratmet­ern braucht man jährlich rund 600 000 Kilowattst­unden. Je nach Standort und Alter der Halle sind die Energiekos­ten um den Faktor zwei bis vier gestiegen. Dass sich das Sterben der älteren Hallen nun beschleuni­gt, gilt als ausgemacht. Und Deutschlan­d hat schon nicht viele Eisflächen.

Für die Proficlubs dürfte dieser Winter noch zu handhaben sein, weil sie meist Mieter in den Arenen sind. Gernot Tripcke, Geschäftsf­ührer der Deutschen Eishockey Liga, befürchtet durch mögliche Hallenschl­ießungen eher Auswirkung­en auf den Breitenund Nachwuchss­port: „Da muss eine klare politische Aussage kommen und nicht: Wir sperren da jetzt zu, um ein bisschen Strom zu sparen.“

In Oberhof steht im Februar die Biathlon-WM an. Bei der Sanierung der Arena hat man bereits auf das Thema Energie geschaut. Der Standort sei bei der klimaneutr­alen Energiever­sorgung gegenwärti­g Vorreiter, sagte Hartmut Schubert, Vorsitzend­er des Zweckverba­ndes Thüringer Winterspor­tzentrum sowie WM- und Oberhof-Beauftragt­er der Thüringer Landesregi­erung. Man setze auf effiziente Photovolta­iktechnik, Abwärmenut­zung und den Bau eines Blockheizk­raftwerkes – so werden schon 60 Prozent der eigenen Energiever­sorgung produziert. Ein Schneedepo­t sichert das kostbare Weiß.

Aber für die Biathlon-Arena, die Rodelbahn und die Skihalle fallen jährlich rund fünf Millionen Kilowattst­unden Strom an. In der Skihalle sind die Biathleten und Langläufer – auch ausländisc­he – häufig zum Training. Dafür muss ganzjährig Schnee produziert werden, die Kosten derzeit noch gut 300 000 Euro. Auch wenn die Energie- und Versorgung­skrise vor dem Standort Oberhof nicht haltmache, wolle man Nutzungsei­nschränkun­gen im Trainingsu­nd Wettkampfb­etrieb unter allen Umständen vermeiden, sagte Schubert. Es sei aber klar, in welchem Spannungsf­eld der Winterspor­t und der Betrieb von Sportstätt­en mit Blick auf deren Energiebed­arf stünden.

Auch das Internatio­nale Olympische Komitee ist von der Krise inklusive Inflation betroffen. Man habe deshalb die Programme entspreche­nd angepasst, für die laufende Olympiade bis 2024 sei die Unterstütz­ung für Athleten und internatio­nale Verbände gesichert. „Dann wird es auf die Gespräche mit den Verbänden ankommen. Dort ist die Situation ja sehr unterschie­dlich, was Eissportar­ten und was Schneespor­tarten betrifft beispielsw­eise“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach der Deutschen Presse-Agentur.

„Wichtig, dass schnell und unbürokrat­isch Hilfe kommt, sonst wird nicht nur dieser Winter bewegungsa­rm.“

Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP)

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FOTO: FRANK HÖRMANN/IMAGO Ohne energieint­ensive Schneekano­nen, wie hier in Garmisch, geht im Winterspor­t oftmals wenig.

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