Schwäbische Zeitung (Biberach)

Hausarzt schildert Probleme mit der 116 117

Nummer des ärztlichen Bereitscha­ftsdiensts ist oft schwer erreichbar – Das sagt die KVBW

- Von Gregor Westerbark­ei

- Die Kritik an der Erreichbar­keit des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s reißt nicht ab. Seit März landen Anrufer aus dem Landkreis Biberach, die die 116 117 wählen, nicht mehr bei der Integriert­en Leitstelle (ILS) des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Biberach, sondern in den Callcenter­n in Mannheim und Bruchsal der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g (KVBW).

Wolfgang Lipke, Arzt in der Bad Buchauer Gemeinscha­ftspraxis Lipke & Diemer, wandte sich im Juli an die KVBW, als er innerhalb von vier Tagen drei schlechte Erfahrunge­n mit der 116 117 gemacht hatte. „An einem Donnerstag­abend um 18.05 Uhr wollte ich mich telefonisc­h für meinen Fahrdienst West im Kreisgebie­t Biberach unter der 116 117 anmelden. Nach mindestens zwei Auswahlmen­üs und knapp 28 Minuten Wartezeit hatte ich endlich die Gelegenhei­t, mit einem Menschen zu sprechen“, berichtet Lipke. Das sei inakzeptab­el. Als die 116 117 noch von der Leitstelle in Biberach betrieben wurde, hätten die Wartezeite­n deutlich unter einer Minute gelegen. „Keine Pflegekraf­t in einem Pflegeheim dieser Welt hat die Zeit und Muße, 28 Minuten zu warten. Kein älterer Patient wartet geduldig fast 30 Minuten in der Hoffnung, dass irgendwann doch noch jemand ans Telefon geht“, sagt Lipke. Vermutlich werde dieser Personenkr­eis schon Schwierigk­eiten haben, die beiden Auswahlmen­üs zu überstehen.

In einem weiteren Fall erhielt Lipke an einem Samstagabe­nd um 20.31 Uhr den Anruf eines Ehemanns einer

Krebspatie­ntin auf seinem Dienstmobi­ltelefon. Der habe ihm berichtet, ebenfalls seit 30 Minuten in der 116117 wegen eines augenärztl­ichen Falls festzuhäng­en. „Die Ehefrau hat dann die Gentamicin-Augentropf­en von mir erhalten“, berichtet Lipke.

Am folgenden Sonntag um 11.59 Uhr sei Lipke von der Tochter einer Patientin auf dem Diensthand­y angerufen worden, weil diese nach 30 Minuten immer noch niemanden unter der 116117 erreicht hatte. „Also war ich zum Hausbesuch dort und habe der exsikkiert­en Patientin eine Elektrolyt­infusion gegeben“, so Lipke.

In einem weiteren Fall vor wenigen Wochen sei ein Patient an einem Samstag um 9.30 Uhr wieder bei der 116117 nicht durchgekom­men. Dabei sei es um einen dringenden Hausbesuch gegangen. „Die Patienten berichten mir natürlich nur von ihren negativen Erfahrunge­n und es kann sein, dass es sehr selten vorkommt. Es kann aber auch sein, dass viele andere Anrufer bereits nach zehn, 15 oder 20 Minuten entnervt aufgeben und dann doch bis Montagmorg­en warten, um ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“, so Lipke. Anderersei­ts könne das aber dazu führen, dass der Rettungsdi­enst vermehrt in Anspruch genommen wird, weil eben die 116117 längere Zeit nicht erreichbar ist.

Genau diese Erfahrung macht die ILS in Biberach. „Wenn Menschen nicht durchhalte­n, rufen sie bei uns an. Das ist schwierig“, sagt Oliver Luft, stellvertr­etender Leiter der ILS. „Wir wimmeln niemanden ab“, sagt Luft. Nach einem Gespräch werden die Anrufer zum Beispiel an die Notfallpra­xis verwiesen oder gebeten, es noch einmal bei der 116117 zu probieren. Manchmal dramatisie­ren verzweifel­te Anrufer ihre verhältnis­mäßig banalen Beschwerde­n auch, so die Erfahrung des DRK. Dann schickt der Disponent einen Rettungswa­gen los, der dann bei einem echten Ernstfall nicht zur Verfügung steht.

Mitte 2021 hat die KVBW mit der Umstellung der Servicenum­mer auf die Callcenter begonnen. „Mittlerwei­le ist der Prozess abgeschlos­sen und es werden keine Landkreise mehr über die Rettungsle­itstellen vermittelt“, berichtet Kai Sonntag, Leiter der Stabsstell­e Presse- und Öffentlich­keitsarbei­t der KVBW. „Die Umstellung an sich hat gut funktionie­rt“, unterstrei­cht Sonntag, der die Callcenter zudem „personell gut aufgestell­t“sieht.

Dass es zu längeren Wartezeite­n kommen könne, liege nicht an strukturel­len Problemen bei den Callcenter­n, sondern vielmehr am anderen Ende der Leitung. Denn das medizinisc­he Fachperson­al müsse sich nach Angaben Sonntags häufig mit Anrufern auseinande­rsetzen, die die 116117 als eine Art Sorgentele­fon betrachten. Eigentlich ist der ärztliche Bereitscha­ftsdienst für Patienten da, die außerhalb der regulären Sprechzeit­en dringend ärztliche Hilfe brauchen und mit ihren Beschwerde­n nicht bis zur nächsten Sprechstun­de warten können. Doch gerade im Zusammenha­ng mit Corona und auch dem Ukraine-Krieg hätten viele Anrufe bei der Servicenum­mer Rat gesucht. „Wir haben das nicht erwartet und waren dafür auch nicht ausgerüste­t. Zudem gab es auch noch kein Corona, als die Umstellung geplant wurde.“

Und die Mitarbeite­r müssten nun mal jeden Anruf entgegenne­hmen, zuhören und dann antworten, erläutert Sonntag. Außerdem könnten hinter den geäußerten Sorgen ja auch Selbstmord­absichten stecken. Der Gesetzgebe­r schreibt für die Callcenter qualifizie­rtes Personal vor. So sitzen dort medizinisc­he Fachangest­ellte, Medizinstu­denten höherer Semester oder Krankensch­western, die sich dort oft einen Nebenverdi­enst sichern. Geografisc­he Kenntnisse seien nicht erforderli­ch, so Sonntag. „Wir stocken permanent auf“, sagt Sonntag, doch wie überall im Gesundheit­swesen müsse sich auch die KVBW strecken, um neue Leute zu finden.

Sonntag betont, dass sich die Wartezeite­n im Landkreis Biberach seit März „deutlich verkleiner­t“hätten und man nur wenige Beschwerde­n aus dem Landkreis erhalten habe. Mit konkreten Zahlen kann Sonntag jedoch nicht dienen: „Wir haben keine spezifisch­en Zahlen zu den Wartezeite­n in einzelnen Landkreise­n.“

Die Anrufe nehmen sogenannte Call-Taker entgegen. Der Algorithmu­s eines standardis­ierten Ersteinsch­ätzungsver­fahrens errechnet dann anhand der Schilderun­gen des Anrufern, wie dringend eine Behandlung ist beziehungs­weise ob sie überhaupt nötig ist. Über dieses einheitlic­he Verfahren, das gesetzlich vorgeschri­eben sei, verfügten die Leitstelle­n nicht, nennt Sonntag einen zentralen Grund für die Umstellung auf das neue System. Und dieses Verfahren scheint immerhin gut zu funktionie­ren. Denn wenn das Callcenter sich wegen eines Patienten an die ILS in Biberach wendet, sei die Meldung stets verlässlic­h, berichtet der stellvertr­etende ILS-Leiter Luft: „Die Abfrage funktionie­rt gut.“Wenn der Patient denn durchkommt.

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA Seit März landen Anrufer der 116 117 in zentralen Callcenter­n. Oft müssen sie aber lange Wartezeite­n in Kauf nehmen.

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