Schwäbische Zeitung (Biberach)

Seltsame Doppelmora­l

- Von Jochen Schlosser ●

Es war ein Fehler, die FußballWel­tmeistersc­haft nach Katar zu vergeben. Menschenre­chte, Klima, Nachhaltig­keit, Fankultur, Tradition – nichts davon entspricht dem, was dieses alle vier Jahre von Milliarden Menschen mit Sehnsucht erwartete, spektakulä­re Sportgroße­reignis verdient hätte. Punkt.

Was nun jedoch aktuell in Deutschlan­d – auch von Regierungs­seite – passiert, ist lächerlich. Doppelmora­l ist der passende Begriff dafür. Unlängst war Wirtschaft­s- und Klimaminis­ter Robert Habeck in Katar und machte den Bückling vor dem Emir. Der Grüne einigte sich Mitte Mai mit „Seiner Hoheit Scheich Tamin Al Thani“– so die Anrede in allen offizielle­n Mitteilung­en des Ministeriu­ms – auf eine Energiepar­tnerschaft: Flüssiggas (LNG) und grüner Wasserstof­f sollen geliefert werden. Von jenem Land, dem Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser nun in Sachen Menschenre­chte die Leviten las. „Es wäre besser, dass das nicht in solche Staaten vergeben wird“, sagte sie. Mit „das“meinte die SPD-Politikeri­n die Fußball-WM.

Gas darf uns der Emir verkaufen, aber Fußballspi­ele, die in seiner Heimat ausgetrage­n werden, sind des Teufels? Ob man die Winter-WM verfolgen mag oder lieber boykottier­t, ist glückliche­rweise jedem selbst überlassen. Auf weitere, eher heuchleris­che Einlassung­en aus den Reihen der Bundesregi­erung kann durchaus verzichtet werden.

Fünf Tage vor dem Start des Turniers am Golf wurde nun am Dienstag in Wilhelmsha­ven Deutschlan­ds erstes LNG-Terminal offiziell eröffnet. Unabhängig­er vom russischen Gas soll und muss Deutschlan­d werden. Es ist vernünftig, dass auch hierzuland­e die dafür notwendige Infrastruk­tur geschaffen wird. Ab Dezember können endlich jene Frachter anlanden, die das begehrte Flüssiggas transporti­eren. Vor allem aus den USA. Aber eben bald auch aus Katar. Und aus Malaysia. Oder aus Nigeria. Noch jahrelang – bis in ferner Zukunft in Deutschlan­d hoffentlic­h genug Energie aus erneuerbar­en Quellen gewonnen wird. Bis dahin wird noch der eine oder andere FußballWel­tmeister gekürt.

j.schlosser@schwaebisc­he.de

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