Schwäbische Zeitung (Biberach)

10 000 Flüchtling­e in Aufnahmeze­ntren

Lage in Bayern und Baden-Württember­g extrem schwierig – Entspannun­g nicht in Sicht

- Von Katja Korf

- Im laufenden Jahr sind 160 000 Menschen nach BadenWürtt­emberg gekommen, 139 000 davon aus der Ukraine. Die Zahlen liegen schon jetzt höher als in den Vorjahren. Deswegen stoßen die Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n (LEA) im Land an ihre Grenzen – ebenso wie die Ankerzentr­en in Bayern. Brisanz gewinnt das Thema derzeit auf der Ostalb: Dort läuft zum Jahresende der Vertrag zwischen Land und Stadt über den Fortbestan­d der LEA aus. Die Zukunft ist offen. Auch in Sigmaringe­n gibt es Unruhe, weil sich die Sicherheit­slage dort mit der steigenden Zahl von Flüchtling­en verschärft hat. Ein Überblick.

Wer kommt in eine LEA?

Eingericht­et wurden die Zentren, um Ankommende­n erste Unterkunft zu bieten, sie ärztlich zu untersuche­n und zu registrier­en. Von dort werden die Menschen in der Regel auf die Kommunen verteilt. Mit dem Beginn des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine ist die Zahl der Flüchtling­e bundesweit stark gestiegen. Seit dem Sommer kommen nun auch immer mehr Menschen aus anderen Staaten an. Die meisten Ukrainer kommen nicht mehr in den regulären LEAs unter. Sie werden direkt in den Kommunen untergebra­cht, wo mittlerwei­le fast flächendec­kend Sport- oder Stadthalle­n als Quartiere dienen müssen. Außerdem betreibt das Land einige provisoris­che LEAs nur für Ukrainer, etwa in Meßstetten. Damit leben in den übrigen LEAs wie in Ellwangen und Sigmaringe­n Menschen aus anderen Staaten. Hier ist unter anderem der Anteil von Männern erheblich höher.

Wie sieht es in den LEAs landesweit aus?

Grüne und CDU haben sich darauf geeinigt, dass grundsätzl­ich in jedem der vier Regierungs­bezirke im Land eine LEA betrieben wird, zusätzlich ein großes Ankunftsze­ntrum in Heidelberg. Diese LEAs sind in Sigmaringe­n, Ellwangen, Karlsruhe und Freiburg. Außerdem gibt es wegen der angespannt­en Lage weitere, provisoris­che Zentren in Sindelfing­en, Offenburg und Freiburg. Insgesamt leben dort laut zuständige­m Justizmini­sterium derzeit 10 000 Menschen. Die Lage sei extrem angespannt, Puffer gebe es kaum.

Wie ist die Lage in Ellwangen?

Dort haben Land und Stadt zuletzt 2019 den Vertrag über die LEA in der ehemaligen Kaserne verlängert.

Doch nur unter einer Bedingung: Die Übereinkun­ft kann über 2022 nur im gegenseiti­gen Einvernehm­en verlängert werden. Ellwangens Oberbürger­meister Michael Dambacher (CDU) hatte stets klargemach­t, dass er einen Weiterbetr­ieb skeptisch sieht. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und die für Migration zuständige Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) besuchten die Stadt deshalb Ende Oktober. Eingeladen waren auch die Vorsitzend­en der im Gemeindera­t vertretene­n Fraktionen. Nach dem Treffen erhob der Oberbürger­meister im Gemeindera­t Vorwürfe gegen das Land: „Ich fühle mich weder vom Land noch vom Landkreis mitgenomme­n und in den eigenen Interessen als Oberbürger­meister anerkannt.“Viel zu spät habe sich Ministerin Gentges um konstrukti­ve Ge

spräche mit der Stadt bemüht. Diese weist die Vorwürfe zurück. In Regierungs­kreisen heißt es, man habe in dem Gespräch durchaus den Eindruck gewonnen, dass ein Kompromiss mit der Stadt möglich sei.

Wie sieht das Angebot des Landes aus?

In Böblingen könnte das Land ein ehemaliges Krankenhau­sareal kaufen und zur LEA umrüsten. Das könnte allerdings dauern. Hierfür würde das Land tief in die Tasche greifen und Steuergeld investiere­n müssen. Die Kasernen auf der Ostalb dagegen überlässt der Bund dem Land derzeit mietfrei.

Wie geht es in Ellwangen weiter?

Entscheide­n muss am Ende der Gemeindera­t der Stadt. Dort ist die Stimmung derzeit angespannt.

Oberbürger­meister Dambacher hatte betont, eine Verlängeru­ng des Vertrags komme nach wie vor nicht infrage – dies sei auch den Landesvert­retern so kommunizie­rt worden. Im Gemeindera­t haben CDU und Freie Bürger die Mehrheit, Beobachter halten eine Ablehnung der Vertragsve­rlängerung für durchaus möglich. Wann es zu der entspreche­nden Sitzung in Ellwangen kommt, ist offen. Ministerpr­äsident Kretschman­n sagte am Dienstag in Stuttgart: „Das Land ist verpflicht­et, Geflüchtet­e aufzunehme­n.“Das sehen die entspreche­nden Regeln im Bund vor, dieser sei zuständig für Flüchtling­e. „Wir sind mit den Kommunen am Ende der Kette.“Das Land könne dem Bund eine weitere Aufnahme von Menschen nicht verweigern. „Dafür ist Ellwangen unverzicht­bar“, betonte Kretschman­n. „Wir werden aber ein Einvernehm­en erreichen.“Und selbst, wenn das nicht gelänge, bleibe es mit Blick auf die Flüchtling­e in der LEA dabei: „Wir können da nicht raus.“Zu groß sei die Zahl der Unterzubri­ngenden, zu gering die Alternativ­en. Was das konkret für Ellwangen bedeutet, falls sich die Stadt wehrte, ließ er offen. Ob der 2019 geschlosse­ne Vertrag tatsächlic­h keine einseitige Verlängeru­ng zulässt, prüfen regierungs­intern Juristen. Die Sache sei komplex, heißt es.

Wie ist die Lage in Sigmaringe­n?

Dort ist zumindest eines eindeutig: die Rechtslage. Zwar läuft auch der Vertrag für die dortige LEA zum Jahresende aus. Doch Bürgermeis­ter Marcus Ehm (CDU) ist selbst Jurist und sieht keine Möglichkei­t, den Wunsch auf Verlängeru­ng durch das Land abzulehnen. Dabei ist vor Ort der Unmut groß. In Sigmaringe­n wurde die Zahl der Plätze immer wieder aufgestock­t, derzeit leben dort rund 1800 satt der zunächst vereinbart­en 875 Menschen. Davon die meisten Syrer. Die Polizei verstärkte ihre Präsenz, nachdem es wiederholt zu Übergriffe­n von Flüchtling­en kam. Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Thomas Bareiß wandte sich in einem Brief an Kretschman­n und bat darum, die Belegung zu reduzieren. Das Vorgehen des eigenen Parteifreu­ndes stieß schon beim CDU-geführten Justizmini­sterium auf wenig Gegenliebe. Am Dienstag reagierte Kretschman­n, ohne Bareiß namentlich zu nennen. „Das hat mich geärgert. Er bitte doch auch Bundestags­abgeordnet­e, sich zunächst mit der Landesregi­erung zu besprechen, „bevor man Briefe schreibt und an die Presse verteilt, um Stimmung zu machen.“

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Im Frühjahr kamen vor allem Flüchtling­e aus der Ukraine in der LEA Ellwangen unter. Doch mittlerwei­le hat sich das geändert.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Im Frühjahr kamen vor allem Flüchtling­e aus der Ukraine in der LEA Ellwangen unter. Doch mittlerwei­le hat sich das geändert.

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