Schwäbische Zeitung (Biberach)

19 gegen Russland?

Krieg in der Ukraine zentrales Thema beim G20-Gipfel – Moskau trägt Erklärung mit

- Von Ulf Mauder, Michael Fischer und Ansgar Haase

(dpa) - Auch in den tropisch warmen Gefilden auf Bali unter Palmen am Meer hat Russlands Chefdiplom­at Sergej Lawrow keine Chance, dem Kriegsgesc­hehen in Europa zu entkommen. Auf der Ferieninse­l muss sich der Außenminis­ter gleich zum Start des G20-Gipfels führender Wirtschaft­smächte beißende Kritik an Moskaus Invasion in der Ukraine anhören. „Wir müssen den Krieg beenden“, sagt der indonesisc­he Gipfel-Gastgeber Joko Widodo – nachdem er kurz zuvor Lawrow mit einem herzlichen Lächeln und einem Klaps auf seinen Arm begrüßt hat. „Wenn der Krieg nicht endet, wird es für die Welt schwierig sein, nach vorne zu gehen.“

Am liebsten hätte der indonesisc­he Präsident, der in der Vorbereitu­ng des bisher wohl schwierigs­ten G20-Gipfels als Vermittler auftrat, auch Wladimir Putin begrüßt – obwohl der den Krieg begonnen hat. Aber der russische Präsident bleibt nach einer militärisc­hen Niederlage­nserie als Oberbefehl­shaber in der Heimat gebunden. Und er überlässt seinem erfahrenen Außenminis­ter den schwierige­n Balanceakt, nun erstmals auch wieder mit dem Westen ins Gespräch zu kommen. Dank Lawrow sei Russlands Stimme bei der G20-Gruppe gehört worden, lobt Kremlsprec­her Dmitri Peskow den Auftritt des Ministers später.

Dieser nutzt die Pausen für Gespräche mit seinem chinesisch­en Kollegen Wang Yi und mit UN-Generalsek­retär

António Guterres. Inwieweit er auch mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz und dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron wirklich ins Gespräch kommt, darüber gibt es widersprüc­hliche Aussagen. Während russische Staatsmedi­en die Begegnung mit den beiden als diplomatis­chen Erfolg ihres Außenminis­ters feiern, sagt Scholz über Lawrow: „Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch.“Von französisc­her Seite heißt es, es habe „keinen Austausch“gegeben.

Im Juli war Lawrow beim Außenminis­tertreffen auf Bali durch vorzeitige Abreise der Kritik am Krieg ausgewiche­n. Auch dieses Mal reist er früher ab, aber zuvor bleibt er sogar während einer langen Videoanspr­ache des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj im Saal. In einer emotionale­n Rede an die Staats- und Regierungs­chefs fordert der Staatschef in Kiew einmal mehr den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine und die Wiederhers­tellung der territoria­len Unversehrt­heit des Landes. „Der russische zerstöreri­sche Krieg muss beendet werden“, sagt Selenskyj. Er nennt auch Bedingunge­n, um über ein Ende des Kriegs zu verhandeln, darunter Sicherheit­sgarantien für die Ukraine. Unterm Strich aber bleiben weiter gegenseiti­ge Vorwürfe Kiews und Moskaus.

Da mutet es schon als kleine Sensation an, was EU-Ratspräsid­ent Charles Michel zu Beginn des Gipfels verkündet: Die Unterhändl­er der Teilnehmer­staaten und der EU hätten sich auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, und zwar alle – inklusive Russlands. „Die meisten Mitglieder verurteilt­en den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste und betonten, dass er immenses menschlich­es Leid verursacht“, heißt es in dem Entwurf, der an diesem Mittwoch von den Staats- und Regierungs­chefs nur noch formal bestätigt werden soll. Auch für steigende Inflation, gebremstes Wirtschaft­swachstum und die Energieund Ernährungs­krise wird der Krieg verantwort­lich gemacht.

Das entspricht fast den kühnsten Erwartunge­n jener westlichen Regierungs­chefs, die mit dem Ziel zum Gipfel gereist sind, Russland möglichst weitgehend zu isolieren. Aber es heißt in der Erklärung auch: „Es gab andere Ansichten und unterschie­dliche Einschätzu­ngen der Lage und Sanktionen.“Außerdem wird auf eine UN-Resolution vom März verwiesen. Damals verurteilt­en 141 der 193 UN-Mitglieder den Krieg. Zu den 40 Staaten, die dagegen stimmten oder sich enthielten, zählten neben Russland auch drei weitere G20Staaten: China, Indien und Südafrika.

Die in Bali anwesenden Staaten der EU und Nato sind trotzdem froh, dass die Verurteilu­ng des Krieges überhaupt Eingang in die Erklärung findet. Schon dass das Wort „Krieg“in der Erklärung enthalten ist, gilt für sie als Erfolg. Es bleiben aber offene Fragen: Wendet sich China wirklich langsam von Russland ab? Präsident Xi Jinping meldet sich zur Abschlusse­rklärung zunächst nicht zu Wort. Auch Indien und Südafrika schweigen. Und warum hat sich Russland überhaupt auf die Erklärung eingelasse­n? Lawrow sagte: „Unsere westlichen Kollegen haben auf jede erdenklich­e Weise versucht, diese Erklärung zu politisier­en, und sie haben versucht, Formulieru­ngen reinzuschm­uggeln, die eine Verurteilu­ng der Handlungen der Russischen Föderation im Namen der ganzen G20 impliziere­n würden, einschließ­lich uns selbst.“Er selbst habe dagegen zeigen wollen, dass das vom Westen mit Sanktionen wegen des Kriegs bestrafte Russland alles andere als isoliert ist auf internatio­naler Bühne. Scholz räumt ein, dass „natürlich hier auch andere Ansichten existieren“. Bei denjenigen, die den Krieg nicht klar verurteilt­en, gebe es aber eine „gewisse Ambiguität“, viele seien trotz ihres Votums „innerlich davon überzeugt, dass dies ein ungerechte­r Krieg ist“.

Am Abend des ersten Gipfeltags gibt es dann noch ein Schauspiel, das dem Ernst der Kriegslage und der Zerstritte­nheit so gar nicht gerecht werden mag. Einige Politiker laufen in traditione­llen Batik-Hemden Balis über den roten Teppich zum Essen. Auch Lawrow. Nur wenige machen nicht mit: Olaf Scholz etwa. Er kommt im weißen Hemd.

„Natürlich existieren hier auch andere Ansichten.“

Bundeskanz­ler Olaf Scholz beim G20-Gipfel auf Bali

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Als wären sie Popstars! In traditione­llen Hemden nehmen Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau (links) und sein britischer Amtskolleg­e Rishi Sunak am Abendessen in Nusa Dua teil.
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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Kennen sich nach den Olympische­n Spielen in Peking bestens: IOC-Präsident Thomas Bach (links) mit Chinas Staatschef Xi Jinping (Mitte, rechts) am Rande des G20-Gipfels vor dem Abendessen.
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FOTO: W. KURNIAWAN/DPA Ungewohnt leger präsentier­t sich auf Bali auch Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow.
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FOTO: GARRY LOTULUNG/IMAGO Auch eine Reiterstaf­fel ist in Indonesien zum Schutz des G20-Gipfels im Einsatz.
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FOTO: NIETFELD/DPA Lachen mit der „Postfaschi­stin“: Italiens Regierungs­chefin Meloni mit Olaf Scholz (rechts).
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FOTO: LEON NEAL/DPA EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen im Gespräch mit US-Präsident Joe Biden.

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