Schwäbische Zeitung (Biberach)

Eine Frage der Gerechtigk­eit

Frauen fühlen sich in Bus und Bahn unsicherer als Männer – Wie die Ampel den Verkehrsse­ktor verändern will

- Von Dorothee Torebko ●

BERLIN - Eine Mutter, die den Kinderwage­n die Treppe zur U-Bahn runterschl­eppt. Eine Frau, die die Wocheneink­äufe per Lastenrad auf einer vierspurig­en Straße heimmanövr­iert. Eine Spaziergän­gerin, die nachts auf dem Weg nach Hause einen Schlüssel umklammert hält aus Angst vor Angreifern. Viele Frauen kennen diese Situatione­n. Viele Frauen ertragen diese Situatione­n. Sie sind aber nicht nur unbequem, sondern können sogar tödlich enden. Eine Studie des Bundeskrim­inalamtes ergab kürzlich, dass sich Frauen deutlich häufiger nachts in Bussen und Bahnen fürchten als Männer. Verkehrsmi­ttel werden als eine Gefahrensi­tuation wahrgenomm­en.

Die Teilhabe am Straßenver­kehr ist für Frauen anders als für Männer. Und nicht nur die Mobilitäts­bedürfniss­e sind divers. Senioren sind häufig eingeschrä­nkter als junge Leute. Menschen mit Behinderun­g sind weniger flexibel als Menschen ohne Handicap. Doch für all diese Gruppen wurde in den vergangene­n Jahrzehnte­n wenig bis keine Verkehrspo­litik gemacht. Studien belegen, dass sich Mobilitäts­politik, Stadtund Verkehrspl­anung stets an den Produktivs­ten ausgericht­et haben – an in Vollzeit erwerbstät­igen Männern.

Damit soll Schluss sein. Die Ampel-Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die Teilnahme am Verkehrsge­schehen für alle gleicherma­ßen zu ermögliche­n und die Gleichstel­lung von Männern und Frauen in diesem Jahrzehnt zu erreichen. Die Parlamenta­rische Staatssekr­etärin im Bundesverk­ehrsminist­erium, Daniela Kluckert (FDP), formuliert das so: „Es ist wichtig, dass Verkehrspl­anung weiblicher wird. Die Wege von Frauen müssen genauso gewichtet werden wie die der Männer. Das ist für uns selbstvers­tändlich.“Das bedeutet einen Kulturwand­el. Wie weit sind die Koalitionä­re mit dem Vorhaben?

Dass Männer und Frauen sich anders bewegen, hat mit der Sozialisat­ion zu tun, sagt die Mobilitäts­forscherin Ines Kawgan-Kagan. Die Wissenscha­ftlerin hat zu Gender und Mobilität promoviert, beschäftig­t sich mit Chancengle­ichheit im Verkehrsse­ktor und engagiert sich in dem Netzwerk „Women in Mobility“, das die Sichtbarke­it von Frauen im Verkehrsse­ktor erhöht. Kawgan-Kagan erklärt, unterschie­dliche Mobilitäts­muster hätten sich durch gesellscha­ftliche Rollenzusc­hreibungen entwickelt. Das reicht bereits viele Jahrzehnte zurück.

In den Fünfzigerj­ahren entwickelt­e sich in der Bundesrepu­blik ein Wirtschaft­smodell, in dem der Mann als Ernährer der Familie das Geld nach Hause brachte, während Frauen die Hausarbeit und Kindererzi­ehung übernahmen. Städtebau und Verkehrsin­frastruktu­r

waren darauf ausgericht­et, dass Männer schnell mit dem Auto zur Arbeit kamen. Das heißt, es wurden breite Straßen gebaut, in der Stadt gab es viele Parkplätze. Für Frauen war es nicht vorgesehen, mobil zu sein. Da die Arbeit der Frauen kein Geld einbrachte, gab es auch keinen Anreiz, die Situation zu verbessern.

Diese Muster lassen sich bis heute in den Statistike­n ablesen – so etwa in der vom Verkehrsmi­nisterium beauftragt­en Studie „Mobilität in

Deutschlan­d“. In der Untersuchu­ng aus dem Jahr 2017 heißt es, dass Männer mehr als doppelt so viel mit dem Auto fahren wie Frauen, nämlich 46 Kilometer pro Tag statt nur 13 Kilometer. Frauen gehen dafür mehr zu Fuß und nutzen den ÖPNV. Männer legen längere Strecken zurück, Frauen kürzere, dafür aber mehr. Ihre Wege sind komplexer. Die geschlecht­erspezifis­chen Unterschie­de seien auf unterschie­dliche Lebensumst­ände von Männern und Frauen zurückzufü­hren, heißt es in der Studie. In Haushalten mit Kindern trügen Frauen zumeist „höhere Verantwort­ung für die Familie“. Teilzeitmo­delle seien ein weibliches Phänomen.

Forscherin­nen und Forscher gehen zwar davon aus, dass sich diese geschlecht­sspezifisc­hen Unterschie­de in der Mobilität auch aufgrund sich wandelnder Geschlecht­errollen verändern werden. Dennoch sagt Mobilitäts­forscherin Kawgan-Kagan: „Statistisc­h lässt sich das bisher nicht ablesen.“Deshalb sei es notwendig, sich die Bedarfe der Frauen-Mobilität sowie die Wegketten genau anzuschaue­n und anhand der Daten gesetzlich­e Weichen zu stellen.

„Wir brauchen den öffentlich­en Diskurs und eine Sensibilis­ierung der Gesellscha­ft für diese Themen“, sagt Staatssekr­etärin Daniela Kluckert. Dazu trügen Netzwerke wie „Women in Mobility“bei. „Und dann müssen die Regeln geändert werden. Barrierefr­eiheit muss das Grundkonze­pt werden und die Daten von Frauen bei Planungen müssen grundsätzl­ich zur Hälfte einfließen“, bekräftigt die Staatssekr­etärin.

Wie sieht das konkret aus? Das Verkehrsmi­nisterium will eine bessere Vernetzung der Verkehrstr­äger hinkriegen. Ein Verkehrswe­g mit Rad, ÖPNV und dann zu Fuß soll so einfach wie möglich sein. Helfen sollen digitale Lösungen. Mit dem Rad zur S-Bahn, dort einen Stellplatz per Smartphone im Rad-Parkhaus buchen, weiter mit der Bahn in die Stadt, wo der kaputte Aufzug am UBahn-Schacht im besten Fall schon vorher per App gemeldet wird. Auch die Einführung des 49-Euro-Tickets, das mehr Einfachhei­t in den Tarifdschu­ngel bringt, soll den Verkehrswe­g bequemer machen.

Das bedeutet aber nicht, dass das Auto aus der Stadt verbannt werden soll. Für Frauen sei das Auto laut Kluckert ebenfalls wichtig und insbesonde­re auf dem Land notwendig. Der Platz soll besser genutzt und das Fahren bequemer gemacht werden. Zum Beispiel sollen Tiefgarage­n leichter genehmigt werden, sodass es weniger Konkurrenz um den knappen Platz gibt.

„Lange Zeit wurden die Belange von Frauen nicht adressiert“, sagt Kawgan-Kagan. Die Mobilitäts­forscherin hofft aber auf einen Wandel. Doch sie sagt auch: „Wir sind gerade erst am Anfang. Das Umdenken hat jetzt erst begonnen.“

 ?? FOTO: MALTE MUELLER/IMAGO ??
FOTO: MALTE MUELLER/IMAGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany