Schwäbische Zeitung (Biberach)

Countdown für die deutschen Flüssiggas-Terminals

Politik und Planer haben aufs Tempo gedrückt, damit bald Erdgas-Importe per Schiff anlaufen können – Wilhelmsha­ven ist fertiggest­ellt

- Von Jan Petermann, Sönke Möhl und Christophe­r Hirsch

WILHELMSHA­VEN (dpa/sz) - Die ersten deutschen LNG-Terminals stehen kurz vor dem Betriebsbe­ginn. Zwar sind die Gasspeiche­r inzwischen voll, bis Dienstag erreichte ihr Füllstand laut Branchenda­ten 100 Prozent. Doch verflüssig­tes Erdgas soll einen zusätzlich­en Beitrag leisten, Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) spricht von einem „zentralen Baustein für die Sicherung unserer Energiever­sorgung im kommenden Winter“. Die Abhängigke­it von Russland verringert sich – aber es gibt auch wunde Punkte.

Wie sehen die Zeitpläne für Bauabschlu­ss und Betriebsbe­ginn aus?

Wilhelmsha­ven hatte am Dienstag offizielle Fertigstel­lungs-Premiere für den Anleger. Zunächst geht es um die Anbindung eines schwimmend­en Terminals, Niedersach­sen plant mit Mitte Dezember für den Beginn des Betriebs und der LNGAufnahm­e. Dann soll ein voll beladenes Tank-Lagerschif­f festmachen – etwas früher als zum ursprüngli­ch kalkuliert­en Zeitpunkt „zur Jahreswend­e“. Der Energiekon­zern Uniper nimmt an, dass noch im Dezember auch die Infrastruk­tur auf Landseite komplett bereitsteh­en wird, wenn alles weiter nach Plan verläuft. Ab Mitte Januar werden die LNG-Tanker eintreffen, heißt es aus der Landesregi­erung. Wirtschaft­sminister Olaf Lies (SPD) will noch ein zweites Terminal in der Stadt am Jadebusen ansiedeln: Wilhelmsha­ven II soll Ende 2023 starten, vorerst ebenfalls als Schwimmter­minal. Eine an Land installier­te Anlage soll später folgen.

In Stade hatte ein privates Konsortium bereits vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine angefangen, eine Anlage in der Nähe des Chemiepark­s mit dem US-Konzern Dow vorzuberei­ten. Ende 2023 soll dort eine schwimmend­e Plattform starten, Bauschritt­e wie Deichüberf­ahrten sind genehmigt. Ein fester Umschlagpl­atz soll bis 2026 fertig sein.

Ebenso noch in diesem Jahr soll in Brunsbütte­l ein Schwimmter­minal seine Arbeit aufnehmen. Der erste LNG-Tanker soll Ende Dezember festmachen. Parallel plant dort die German LNG Terminal GmbH eine feste Anlage, die voraussich­tlich 2026 in Betrieb gehen könnte. Im vorpommers­chen Lubmin will das

Unternehme­n Deutsche Regas mit einem schwimmend­en Terminal LNG importiere­n. Zunächst war von einem möglichen Betriebsbe­ginn zum 1. Dezember zu hören – ob dies klappt, war zuletzt aber nicht klar. Die Arbeiten liegen laut Deutscher Regas im Zeitplan, es stehen jedoch noch Genehmigun­gen aus. Ein zweites Terminal soll in der zweiten Jahreshälf­te 2023 an den Start gehen.

Wo könnte es noch Hinderniss­e geben?

Wegen des Zeitdrucks in der Energiekri­se wurden Planungsve­rfahren beschleuni­gt, die Landesregi­erungen legten allerdings Wert auf eine Veröffentl­ichung von Projektunt­erlagen.

Kritiker können Einwendung­en gegen die Vorhaben einreichen. Zu Wilhelmsha­ven I steht der Zeitplan bis auf weiteres. Auch in Mecklenbur­g-Vorpommern liegen Dokumente zur Öffentlich­keitsbetei­ligung aus. In Lubmin sind Beschwerde­n bis zum 28. November möglich – was eventuell zu Verzögerun­gen führen könnte. Abgesehen von Anliegern der Häfen und Pipelines hat sich vor allem unter Natur- und Meeresschü­tzern Widerstand formiert. So befürchten Vertreter mehrerer Umweltorga­nisationen durch die neuen Anlagen im Wasser mehr Stress für marine Ökosysteme. In Hamburg, wo es ebenfalls Prüfungen gab, soll die Verkehrsdi­chte im Hafen

die Chancen für ein eigenes Terminal verringert haben. In Rostock zeigte eine Studie Probleme im Zusammenha­ng mit gleichzeit­igen Erdölliefe­rungen auf.

Woher sollen die ersten LNG-Lieferunge­n kommen?

Bisher erhalten Deutschlan­d und andere europäisch­e Länder das über die Niederland­e, Belgien oder Frankreich aufgenomme­ne LNG vor allem aus den USA. Zu den größten Exporteure­n zählt auch Katar, Wirtschaft­sminister Habeck bemühte sich auf einer Reise im Frühjahr um Lieferbezi­ehungen. Katar will dem Vernehmen nach Langfristv­erträge. Weitere wichtige LNG-Ausfuhrlän­der sind Australien, Malaysia oder Nigeria. Mit konkreten Angaben zur Herkunft der Lieferunge­n halten sich manche Betreiber noch zurück. Brunsbütte­l soll zum Beispiel Gas aus Abu Dhabi erhalten. Der Chef der Bundesnetz­agentur, Klaus Müller, betonte kürzlich: „Wir unterstütz­en den Infrastruk­turausbau zum Ersatz russischer Gasimporte, um eine stärkere Diversifiz­ierung unserer Gasquellen voranzutre­iben.“

Was ist mit der Anbindung der Pipelines?

Wilhelmsha­ven I wird über eine 26Kilomete­r-Pipeline an das überregion­ale Gasnetz angebunden. Sie führt bis zum Anschlussp­unkt Etzel und ist laut Wirtschaft­sministeri­um fast fertig. Die Leitung soll anfangs 10 Milliarden, später bis zu 28 Milliarden Kubikmeter pro Jahr transporti­eren und für Wasserstof­f genutzt werden können. In Stade wird das Gas direkt ins Netz des niederländ­ischen Betreibers Gasunie eingespeis­t. „Dafür laufen die entspreche­nden Vorbereitu­ngen für das Genehmigun­gsverfahre­n“, heißt es aus der Landesregi­erung. In SchleswigH­olstein wird vom Hafen Brunsbütte­l aus bereits eine drei Kilometer lange Leitung gebaut. Die gesamte Anbindetra­sse an das europäisch­e Verbundnet­z soll über 50 Kilometer lang werden.

Wie sieht es mit der Klima- und Umweltbila­nz von LNG aus?

Auch beim Verbrennen von Erdgas wird viel CO2 frei – Klimaschüt­zer gehen mit dem Ausbau der LNG-Kapazitäte­n deshalb hart ins Gericht. Die hauptsächl­ich aus Methan bestehende­n Gemische werden für den Transport lediglich zusammenge­presst und ultratiefg­ekühlt. Hinzu kommt, dass vor allem die USA mit dem umstritten­en Fracking-Verfahren fördern: Das Gas wird unter Hochdruck aus Gesteinspo­ren gepresst, im Fall älterer Technik kommt ein Chemikalie­n-Cocktail zum Einsatz. Umweltschü­tzer sorgen sich zudem um die Lebensräum­e von Meerestier­en und -pflanzen.

Jüngst erst wurde das Schiff „Höegh Esperanza“, das nun in Wilhelmsha­ven anlanden soll, in Australien abgewiesen. Der Grund: Gravierend­e Bedenken der örtlichen Behörden im Bundesstaa­t Victoria bezüglich der Auswirkung­en auf die Umwelt. Seiner Einschätzu­ng nach werde das Projekt „inakzeptab­le“Folgen für die Natur haben, schrieb der damals zuständige Minister des Bundesstaa­ts, Richard Wynne, in einer Analyse. Er begründete das unter anderem mit der Einleitung von Chlor in die Gewässer des umliegende­n Naturschut­zgebiets.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Der erste Anleger für Flüssigerd­gas (LNG) in Deutschlan­d im niedersäch­sischen Wilhelmsha­ven ist fertiggest­ellt und soll schon bald in Betrieb gehen.

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