Schwäbische Zeitung (Biberach)
Countdown für die deutschen Flüssiggas-Terminals
Politik und Planer haben aufs Tempo gedrückt, damit bald Erdgas-Importe per Schiff anlaufen können – Wilhelmshaven ist fertiggestellt
WILHELMSHAVEN (dpa/sz) - Die ersten deutschen LNG-Terminals stehen kurz vor dem Betriebsbeginn. Zwar sind die Gasspeicher inzwischen voll, bis Dienstag erreichte ihr Füllstand laut Branchendaten 100 Prozent. Doch verflüssigtes Erdgas soll einen zusätzlichen Beitrag leisten, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht von einem „zentralen Baustein für die Sicherung unserer Energieversorgung im kommenden Winter“. Die Abhängigkeit von Russland verringert sich – aber es gibt auch wunde Punkte.
Wie sehen die Zeitpläne für Bauabschluss und Betriebsbeginn aus?
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Wilhelmshaven hatte am Dienstag offizielle Fertigstellungs-Premiere für den Anleger. Zunächst geht es um die Anbindung eines schwimmenden Terminals, Niedersachsen plant mit Mitte Dezember für den Beginn des Betriebs und der LNGAufnahme. Dann soll ein voll beladenes Tank-Lagerschiff festmachen – etwas früher als zum ursprünglich kalkulierten Zeitpunkt „zur Jahreswende“. Der Energiekonzern Uniper nimmt an, dass noch im Dezember auch die Infrastruktur auf Landseite komplett bereitstehen wird, wenn alles weiter nach Plan verläuft. Ab Mitte Januar werden die LNG-Tanker eintreffen, heißt es aus der Landesregierung. Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) will noch ein zweites Terminal in der Stadt am Jadebusen ansiedeln: Wilhelmshaven II soll Ende 2023 starten, vorerst ebenfalls als Schwimmterminal. Eine an Land installierte Anlage soll später folgen.
In Stade hatte ein privates Konsortium bereits vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine angefangen, eine Anlage in der Nähe des Chemieparks mit dem US-Konzern Dow vorzubereiten. Ende 2023 soll dort eine schwimmende Plattform starten, Bauschritte wie Deichüberfahrten sind genehmigt. Ein fester Umschlagplatz soll bis 2026 fertig sein.
Ebenso noch in diesem Jahr soll in Brunsbüttel ein Schwimmterminal seine Arbeit aufnehmen. Der erste LNG-Tanker soll Ende Dezember festmachen. Parallel plant dort die German LNG Terminal GmbH eine feste Anlage, die voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen könnte. Im vorpommerschen Lubmin will das
Unternehmen Deutsche Regas mit einem schwimmenden Terminal LNG importieren. Zunächst war von einem möglichen Betriebsbeginn zum 1. Dezember zu hören – ob dies klappt, war zuletzt aber nicht klar. Die Arbeiten liegen laut Deutscher Regas im Zeitplan, es stehen jedoch noch Genehmigungen aus. Ein zweites Terminal soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 an den Start gehen.
Wo könnte es noch Hindernisse geben?
Wegen des Zeitdrucks in der Energiekrise wurden Planungsverfahren beschleunigt, die Landesregierungen legten allerdings Wert auf eine Veröffentlichung von Projektunterlagen.
Kritiker können Einwendungen gegen die Vorhaben einreichen. Zu Wilhelmshaven I steht der Zeitplan bis auf weiteres. Auch in Mecklenburg-Vorpommern liegen Dokumente zur Öffentlichkeitsbeteiligung aus. In Lubmin sind Beschwerden bis zum 28. November möglich – was eventuell zu Verzögerungen führen könnte. Abgesehen von Anliegern der Häfen und Pipelines hat sich vor allem unter Natur- und Meeresschützern Widerstand formiert. So befürchten Vertreter mehrerer Umweltorganisationen durch die neuen Anlagen im Wasser mehr Stress für marine Ökosysteme. In Hamburg, wo es ebenfalls Prüfungen gab, soll die Verkehrsdichte im Hafen
die Chancen für ein eigenes Terminal verringert haben. In Rostock zeigte eine Studie Probleme im Zusammenhang mit gleichzeitigen Erdöllieferungen auf.
Woher sollen die ersten LNG-Lieferungen kommen?
Bisher erhalten Deutschland und andere europäische Länder das über die Niederlande, Belgien oder Frankreich aufgenommene LNG vor allem aus den USA. Zu den größten Exporteuren zählt auch Katar, Wirtschaftsminister Habeck bemühte sich auf einer Reise im Frühjahr um Lieferbeziehungen. Katar will dem Vernehmen nach Langfristverträge. Weitere wichtige LNG-Ausfuhrländer sind Australien, Malaysia oder Nigeria. Mit konkreten Angaben zur Herkunft der Lieferungen halten sich manche Betreiber noch zurück. Brunsbüttel soll zum Beispiel Gas aus Abu Dhabi erhalten. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, betonte kürzlich: „Wir unterstützen den Infrastrukturausbau zum Ersatz russischer Gasimporte, um eine stärkere Diversifizierung unserer Gasquellen voranzutreiben.“
Was ist mit der Anbindung der Pipelines?
Wilhelmshaven I wird über eine 26Kilometer-Pipeline an das überregionale Gasnetz angebunden. Sie führt bis zum Anschlusspunkt Etzel und ist laut Wirtschaftsministerium fast fertig. Die Leitung soll anfangs 10 Milliarden, später bis zu 28 Milliarden Kubikmeter pro Jahr transportieren und für Wasserstoff genutzt werden können. In Stade wird das Gas direkt ins Netz des niederländischen Betreibers Gasunie eingespeist. „Dafür laufen die entsprechenden Vorbereitungen für das Genehmigungsverfahren“, heißt es aus der Landesregierung. In SchleswigHolstein wird vom Hafen Brunsbüttel aus bereits eine drei Kilometer lange Leitung gebaut. Die gesamte Anbindetrasse an das europäische Verbundnetz soll über 50 Kilometer lang werden.
Wie sieht es mit der Klima- und Umweltbilanz von LNG aus?
Auch beim Verbrennen von Erdgas wird viel CO2 frei – Klimaschützer gehen mit dem Ausbau der LNG-Kapazitäten deshalb hart ins Gericht. Die hauptsächlich aus Methan bestehenden Gemische werden für den Transport lediglich zusammengepresst und ultratiefgekühlt. Hinzu kommt, dass vor allem die USA mit dem umstrittenen Fracking-Verfahren fördern: Das Gas wird unter Hochdruck aus Gesteinsporen gepresst, im Fall älterer Technik kommt ein Chemikalien-Cocktail zum Einsatz. Umweltschützer sorgen sich zudem um die Lebensräume von Meerestieren und -pflanzen.
Jüngst erst wurde das Schiff „Höegh Esperanza“, das nun in Wilhelmshaven anlanden soll, in Australien abgewiesen. Der Grund: Gravierende Bedenken der örtlichen Behörden im Bundesstaat Victoria bezüglich der Auswirkungen auf die Umwelt. Seiner Einschätzung nach werde das Projekt „inakzeptable“Folgen für die Natur haben, schrieb der damals zuständige Minister des Bundesstaats, Richard Wynne, in einer Analyse. Er begründete das unter anderem mit der Einleitung von Chlor in die Gewässer des umliegenden Naturschutzgebiets.