Schwäbische Zeitung (Biberach)
Varta kommt ins Straucheln
Der Batteriehersteller muss in Nördlingen 500 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken – Fabrikneubau liegt auf Eis
- Der Tag stand unter keinen guten Vorzeichen – weder für das Management des Ellwanger Varta-Konzerns noch für dessen Mitarbeiter und schon gar nicht für seine Aktionäre. Am Dienstagvormittag hatte das Unternehmen eigentlich die Veröffentlichung der Quartalsergebnisse für die Zeit von Juli bis September geplant Doch IT-Probleme am Standort Nördlingen, wohin sich das Vorstandstrio um Markus Hackstein zurückgezogen hatte, machten einen Strich durch die Rechnung. Erst am frühen Nachmittag konnte die Mitteilung verschickt und die Pressekonferenz durchgeführt werden. Und dessen Inhalt hatte es in sich. Der über Jahre auf einer Welle des Erfolgs wirtschaftende Batteriehersteller ist in eine ernsthafte Krise geschlittert. Umsatz und Gewinn brechen ein, Investitionen werden auf Eis gelegt und am Produktionsstandort Nördlingen wird quasi die komplette Belegschaft entweder in Kurzarbeit geschickt oder verliert ihren Job. Doch der Reihe nach.
Dass Varta an diesem 15. November mehrheitlich schlechte Nachrichten verbreiten würde, hatte sich in den Wochen zuvor bereits abgezeichnet – mit mehrfach zusammengestrichenen Geschäftsprognosen, der plötzlichen Demission des langjährigen Vorstandschefs Herbert Schein und enttäuschenden Vorabzahlen. Nun bestätigte sich die angespannte Lage des Batterieherstellers. In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres musste Varta einen Umsatzrückgang von acht Prozent auf 571 Millionen Euro verkraften. Das Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abgaben brach gar um 64 Prozent auf nur noch 66 Millionen Euro ein. Die Gründe dafür hatte Varta im Vorfeld auch schon benannt: steigende Energie- und Rohstoffkosten, pandemiebedingte Produktionsunterbrechungen auf Kundenseite, fehlende Halbleiter und Konsumenten, denen das Geld für Premiumprodukte nicht mehr so locker sitzt wie noch vor einigen Monaten. „Varta befindet sich in herausfordernden Zeiten. Wir werden diese aber meistern“, übte sich Vorstandssprecher Hackstein in Optimismus.
Doch kurzfristig hilft dieser Optimismus nicht. Kurzfristig muss Varta Kosten senken und seine Kapazitäten an die geringere Nachfrage anpassen. Das geschieht vornehmlich am Standort Nördlingen, wo Varta vor allem kleine Lithium-Ionen-Zellen herstellt, die in sogenannten Wearables zum Einsatz kommen. Das sind Geräte, die direkt am Körper getragen werden
wie kabellose Ohrhörer, Fitnessuhren oder Brillen mit Displays. Diese Zellen, firmenintern Coinpower genannt, waren es, die der mit 102 Millionen Euro staatlicher Fördermittel angeschobenen Wachstumsstory Varta in den vergangenen Jahren Glanz verliehen hatten. In dem noch bis vor Kurzem schnell wachsenden Segment reklamiert das Unternehmen bei der Batterietechnik die globale Markt- und Technologieführerschaft für sich. Weil aber bei den Kunden Teile fehlen, um etwa kabellose Kopfhörer fertigzustellen, und sich die Konsumenten zurückhalten, hakt es in dem einst boomenden Hauptgeschäft mit den silbrigen Knopfzellen schon seit dem Jahresstart.
Nun werden 500 von aktuell noch 700 Beschäftigten in Nördlingen in Kurzarbeit auf 80 Prozent geschickt – zunächst befristet vom 1. Dezember bis zum 30. April des kommenden Jahres. Die Belegschaft, sagt Hackstein, sei am Vormittag darüber informiert worden. Ob ab Mai 2023 wieder im Normalbetrieb gearbeitet werde, ließ der Manager genauso offen wie die Möglichkeit über das Instrument Kurzarbeit hinausgehender Personalmaßnahmen. Zudem wird Varta rund 200 befristete Arbeitsverträge in Nördlingen nicht verlängern. In Summe ist damit fast die komplette Belegschaft
des Standortes von Personalmaßnahmen betroffen. Ausgenommen sei lediglich die Elektrodenfertigung, so Hackstein.
Auch der Hauptsitz in Ellwangen bleibt nicht verschont. Bis zu 200 Mitarbeiter in der Produktion sollen dort über Weihnachten und Neujahr in einen verlängerten Betriebsurlaub geschickt werden. Keine Anpassungen gibt es hingegen in Dischingen, dem dritten Standort im Varta-Dreieck auf der Ostalb, wo das Unternehmen Alkalibatterien produziert, sowie in den Auslandsstandorten in Rumänien und Indonesien.
Darüber hinaus wird der geplante Fabrikneubau für die Rundzelle V4Drive in Nördlingen zunächst auf Eis gelegt. „Wir machen das erst nach verbindlichen Kundenzusagen“, erklärte Hackstein. Die im vergangenen Jahr vorgestellte Hochleistungszelle, die unter anderem im Automobilbereich zum Einsatz kommen soll und die das Unternehmen ganz unbescheiden als „beste Zelle auf dem Markt“anpreist, schlägt am Markt nicht ein wie erhofft. Einen ersten Kunden für die zylindrischen Standardzellen mit den Abmessungen 21 Millimeter (Durchmesser) mal 70 Millimeter (Länge) hat Varta zwar. Dem Vernehmen nach ist es Porsche, den Varta mit den aktuellen Produktionskapazitäten
auch bedienen kann. Doch für die geplante Gigafactory in Nördlingen, die eine Investitionssumme von bis zu 500 Millionen Euro verschlingen würde, bedarf es entweder eines strategischen Partners oder langfristig stabiler Kundenzusagen, sagte Hackstein. Beides kann Varta aktuell nicht vorweisen – trotz „einiger interessanter Gespräche mit Partnern“.
Die Suche nach einem Investor für das kapitalintensive Automotive-Geschäft war auch der Grund, weshalb das Unternehmen seine Aktivitäten rund um die neue Batteriezelle Ende September in einer separaten VartaGesellschaft, der V4Drive SE, ausgegliedert hat. „Ein eigenständiges Unternehmen macht es einfacher, strategische Partner an Bord zu holen“, erklärte Hackstein. Ex-Vorstandschef Herbert Schein soll dieses Geschäft weltweit aufsetzen.
Mit den eingeleiteten Sofortmaßnahmen will Varta kurzfristig Kosten im Volumen von 40 Millionen Euro einsparen. Darüber hinaus ist ein weiteres Maßnahmenpaket in Vorbereitung. Vorstandssprecher Hackstein kündigte an, Lieferanten- und Kundenverträge neu zu verhandeln, um Preisspitzen im Einkauf abzufangen und gestiegene Material- und Rohstoffkosten an Abnehmer weiterzureichen,
was Varta aktuell nur teilweise gelingt. Finanzchef Armin Hessenberger gab einige Beispiele: So sei der Preis für Lithium in den vergangenen Monaten um das sechsfache, der für Energie um das dreifache angestiegen. In Summe hätten höhere Rohstoffund Energiekosten das Betriebsergebnis von Varta in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres mit 220 Millionen Euro belastet.
Vor diesem Hintergrund rechnet Varta für das Gesamtjahr nur noch mit Umsätzen zwischen 805 Millionen und 820 Millionen Euro (2021: 903 Millionen Euro) und einem Betriebsergebnis (Ebitda) zwischen 55 Millionen und 60 Millionen Euro (2021: 283 Millionen Euro). Aktionäre müssen sich auf einen Ausfall der Dividendenzahlungen einstellen, nachdem der Aktienkurs im Jahresverlauf bereits um mehr als 70 Prozent eingebrochen ist.
Perspektivisch wolle Varta an das Wachstum der vergangenen Jahre aber wieder anknüpfen, versicherte Hackstein. Dazu würden die eingeleiteten Sofortmaßnahmen und die überarbeitete Strategie sowie ein innovatives Produktportfolio beitragen. Es gehe jetzt darum, so Hackstein, Varta fit für die Zukunft zu machen, wolle man doch auch künftig noch in Deutschland produzieren.