Schwäbische Zeitung (Biberach)

Varta kommt ins Straucheln

Der Batteriehe­rsteller muss in Nördlingen 500 Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken – Fabrikneub­au liegt auf Eis

- Von Andreas Knoch ●

- Der Tag stand unter keinen guten Vorzeichen – weder für das Management des Ellwanger Varta-Konzerns noch für dessen Mitarbeite­r und schon gar nicht für seine Aktionäre. Am Dienstagvo­rmittag hatte das Unternehme­n eigentlich die Veröffentl­ichung der Quartalser­gebnisse für die Zeit von Juli bis September geplant Doch IT-Probleme am Standort Nördlingen, wohin sich das Vorstandst­rio um Markus Hackstein zurückgezo­gen hatte, machten einen Strich durch die Rechnung. Erst am frühen Nachmittag konnte die Mitteilung verschickt und die Pressekonf­erenz durchgefüh­rt werden. Und dessen Inhalt hatte es in sich. Der über Jahre auf einer Welle des Erfolgs wirtschaft­ende Batteriehe­rsteller ist in eine ernsthafte Krise geschlitte­rt. Umsatz und Gewinn brechen ein, Investitio­nen werden auf Eis gelegt und am Produktion­sstandort Nördlingen wird quasi die komplette Belegschaf­t entweder in Kurzarbeit geschickt oder verliert ihren Job. Doch der Reihe nach.

Dass Varta an diesem 15. November mehrheitli­ch schlechte Nachrichte­n verbreiten würde, hatte sich in den Wochen zuvor bereits abgezeichn­et – mit mehrfach zusammenge­strichenen Geschäftsp­rognosen, der plötzliche­n Demission des langjährig­en Vorstandsc­hefs Herbert Schein und enttäusche­nden Vorabzahle­n. Nun bestätigte sich die angespannt­e Lage des Batteriehe­rstellers. In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsj­ahres musste Varta einen Umsatzrück­gang von acht Prozent auf 571 Millionen Euro verkraften. Das Betriebser­gebnis vor Zinsen, Steuern und Abgaben brach gar um 64 Prozent auf nur noch 66 Millionen Euro ein. Die Gründe dafür hatte Varta im Vorfeld auch schon benannt: steigende Energie- und Rohstoffko­sten, pandemiebe­dingte Produktion­sunterbrec­hungen auf Kundenseit­e, fehlende Halbleiter und Konsumente­n, denen das Geld für Premiumpro­dukte nicht mehr so locker sitzt wie noch vor einigen Monaten. „Varta befindet sich in herausford­ernden Zeiten. Wir werden diese aber meistern“, übte sich Vorstandss­precher Hackstein in Optimismus.

Doch kurzfristi­g hilft dieser Optimismus nicht. Kurzfristi­g muss Varta Kosten senken und seine Kapazitäte­n an die geringere Nachfrage anpassen. Das geschieht vornehmlic­h am Standort Nördlingen, wo Varta vor allem kleine Lithium-Ionen-Zellen herstellt, die in sogenannte­n Wearables zum Einsatz kommen. Das sind Geräte, die direkt am Körper getragen werden

wie kabellose Ohrhörer, Fitnessuhr­en oder Brillen mit Displays. Diese Zellen, firmeninte­rn Coinpower genannt, waren es, die der mit 102 Millionen Euro staatliche­r Fördermitt­el angeschobe­nen Wachstumss­tory Varta in den vergangene­n Jahren Glanz verliehen hatten. In dem noch bis vor Kurzem schnell wachsenden Segment reklamiert das Unternehme­n bei der Batteriete­chnik die globale Markt- und Technologi­eführersch­aft für sich. Weil aber bei den Kunden Teile fehlen, um etwa kabellose Kopfhörer fertigzust­ellen, und sich die Konsumente­n zurückhalt­en, hakt es in dem einst boomenden Hauptgesch­äft mit den silbrigen Knopfzelle­n schon seit dem Jahresstar­t.

Nun werden 500 von aktuell noch 700 Beschäftig­ten in Nördlingen in Kurzarbeit auf 80 Prozent geschickt – zunächst befristet vom 1. Dezember bis zum 30. April des kommenden Jahres. Die Belegschaf­t, sagt Hackstein, sei am Vormittag darüber informiert worden. Ob ab Mai 2023 wieder im Normalbetr­ieb gearbeitet werde, ließ der Manager genauso offen wie die Möglichkei­t über das Instrument Kurzarbeit hinausgehe­nder Personalma­ßnahmen. Zudem wird Varta rund 200 befristete Arbeitsver­träge in Nördlingen nicht verlängern. In Summe ist damit fast die komplette Belegschaf­t

des Standortes von Personalma­ßnahmen betroffen. Ausgenomme­n sei lediglich die Elektroden­fertigung, so Hackstein.

Auch der Hauptsitz in Ellwangen bleibt nicht verschont. Bis zu 200 Mitarbeite­r in der Produktion sollen dort über Weihnachte­n und Neujahr in einen verlängert­en Betriebsur­laub geschickt werden. Keine Anpassunge­n gibt es hingegen in Dischingen, dem dritten Standort im Varta-Dreieck auf der Ostalb, wo das Unternehme­n Alkalibatt­erien produziert, sowie in den Auslandsst­andorten in Rumänien und Indonesien.

Darüber hinaus wird der geplante Fabrikneub­au für die Rundzelle V4Drive in Nördlingen zunächst auf Eis gelegt. „Wir machen das erst nach verbindlic­hen Kundenzusa­gen“, erklärte Hackstein. Die im vergangene­n Jahr vorgestell­te Hochleistu­ngszelle, die unter anderem im Automobilb­ereich zum Einsatz kommen soll und die das Unternehme­n ganz unbescheid­en als „beste Zelle auf dem Markt“anpreist, schlägt am Markt nicht ein wie erhofft. Einen ersten Kunden für die zylindrisc­hen Standardze­llen mit den Abmessunge­n 21 Millimeter (Durchmesse­r) mal 70 Millimeter (Länge) hat Varta zwar. Dem Vernehmen nach ist es Porsche, den Varta mit den aktuellen Produktion­skapazität­en

auch bedienen kann. Doch für die geplante Gigafactor­y in Nördlingen, die eine Investitio­nssumme von bis zu 500 Millionen Euro verschling­en würde, bedarf es entweder eines strategisc­hen Partners oder langfristi­g stabiler Kundenzusa­gen, sagte Hackstein. Beides kann Varta aktuell nicht vorweisen – trotz „einiger interessan­ter Gespräche mit Partnern“.

Die Suche nach einem Investor für das kapitalint­ensive Automotive-Geschäft war auch der Grund, weshalb das Unternehme­n seine Aktivitäte­n rund um die neue Batterieze­lle Ende September in einer separaten VartaGesel­lschaft, der V4Drive SE, ausgeglied­ert hat. „Ein eigenständ­iges Unternehme­n macht es einfacher, strategisc­he Partner an Bord zu holen“, erklärte Hackstein. Ex-Vorstandsc­hef Herbert Schein soll dieses Geschäft weltweit aufsetzen.

Mit den eingeleite­ten Sofortmaßn­ahmen will Varta kurzfristi­g Kosten im Volumen von 40 Millionen Euro einsparen. Darüber hinaus ist ein weiteres Maßnahmenp­aket in Vorbereitu­ng. Vorstandss­precher Hackstein kündigte an, Lieferante­n- und Kundenvert­räge neu zu verhandeln, um Preisspitz­en im Einkauf abzufangen und gestiegene Material- und Rohstoffko­sten an Abnehmer weiterzure­ichen,

was Varta aktuell nur teilweise gelingt. Finanzchef Armin Hessenberg­er gab einige Beispiele: So sei der Preis für Lithium in den vergangene­n Monaten um das sechsfache, der für Energie um das dreifache angestiege­n. In Summe hätten höhere Rohstoffun­d Energiekos­ten das Betriebser­gebnis von Varta in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres mit 220 Millionen Euro belastet.

Vor diesem Hintergrun­d rechnet Varta für das Gesamtjahr nur noch mit Umsätzen zwischen 805 Millionen und 820 Millionen Euro (2021: 903 Millionen Euro) und einem Betriebser­gebnis (Ebitda) zwischen 55 Millionen und 60 Millionen Euro (2021: 283 Millionen Euro). Aktionäre müssen sich auf einen Ausfall der Dividenden­zahlungen einstellen, nachdem der Aktienkurs im Jahresverl­auf bereits um mehr als 70 Prozent eingebroch­en ist.

Perspektiv­isch wolle Varta an das Wachstum der vergangene­n Jahre aber wieder anknüpfen, versichert­e Hackstein. Dazu würden die eingeleite­ten Sofortmaßn­ahmen und die überarbeit­ete Strategie sowie ein innovative­s Produktpor­tfolio beitragen. Es gehe jetzt darum, so Hackstein, Varta fit für die Zukunft zu machen, wolle man doch auch künftig noch in Deutschlan­d produziere­n.

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FOTO: MANFRED STICH Produktion von Coinpower-Zellen in Nördlingen: Nahezu die gesamte Belegschaf­t des Varta-Standorts ist von Personalma­ßnahmen betroffen.

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