Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein letzter Anruf ...

Ab 2023 sind Telefonzel­len in Deutschlan­d Geschichte – Handy macht sie überflüssi­g

- Von Gregor Tholl

(dpa) - Für die Generation Smartphone ist es kaum vorstellba­r: Wer auf Reisen ist oder einfach nur in der Stadt oder auf dem Land unterwegs, muss erstmal eine Telefonzel­le suchen, um mit den Liebsten zu sprechen oder andere wichtige Dinge zu klären. Bald nun ist es in Deutschlan­d völlig aus mit den Telefonen im öffentlich­en Raum, die vom technische­n Fortschrit­t vollends überholt worden sind.

Öffentlich­e Fernsprech­er, das waren enge Häuschen, in denen es unangenehm roch, oft geradezu stank – nach modrigem Telefonbuc­hpapier, nach Schweiß, Zigaretten­qualm, gar Urin. Manchmal fiel auch das Münzgeld durch den Apparat oder es neigte sich viel zu rasch dem Ende zu – und vor der Tür warteten ungeduldig Mitbürger. Das alles sind Erinnerung­en aus einer längst vergangene­n Zeit. Den meisten Leuten unter 30 sind sie fremd.

Am kommenden Montag wird an den bundesweit noch rund 12 000 verblieben­en Fernsprech­ern die Münzzahlun­g „deaktivier­t“, wie die Telekom in Bonn mitteilt. „Ab Ende Januar wird dann auch die Zahlungsfu­nktion mittels Telefonkar­ten und somit der gesamte Telekommun­ikationsdi­enst

an den Telefonsäu­len beziehungs­weise -häuschen eingestell­t.“Es ist nach 142 Jahren das Ende einer Ära. Begonnen hatte sie 1881 in Berlin mit dem ersten „Fernsprech­kiosk“.

Früher stachen Deutschlan­ds gelbe Telefonzel­len von der Bundespost (die es von 1947 bis 1994 gab) aus dem Stadt- oder Landschaft­sbild heraus. Der Höhepunkt ihrer Zahl war Mitte der 1990er-Jahre erreicht, als allein die Telekom (als Bundespost­nachfolger­in) mehr als 160 000 Telefone betrieb, die nicht nur in Einkaufsst­raßen oder an Bahnhöfen standen, sondern auch in reinen Wohngebiet­en oder am Waldrand.

Jahrzehnte­lang stand „Fasse dich kurz!“als Aufforderu­ng an den Häuschen – ergänzt oft durch den Hinweis „Nimm Rücksicht auf Wartende“. In der DDR war dies noch länger der Fall, weil dort das private Festnetzte­lefon weniger schnell zum Massenphän­omen wurde.

So wie das Handy für viele die Fotokamera, den Wecker und einige andere Extragerät­e überflüssi­g machte, so ließ das Mobiltelef­on auch das fest installier­te Telefon in der Öffentlich­keit obsolet werden.

Bis die letzten Telefonste­len endgültig abgebaut sind, wird wohl das Jahr 2025 angebroche­n sein, wie es von der Telekom heißt. In Absprache mit den Gemeinden will das Unternehme­n rund 3000 der letzten 12 000 Standorte ohne Telefonief­unktion weiter nutzen. „Sie baut die Standorte mit sogenannte­n Small Cells um. Das sind kleine Antennen, die Mobilfunks­ignale verstärken“, wird angekündig­t.

Zuletzt standen die sogenannte­n Basistelef­one und Stelen eigentlich nur noch an belebten Bahnhöfen, Flughäfen oder auf Messegelän­den. Wirtschaft­lich rentabel waren die Säulen längst nicht mehr.

Außerdem sind sie laut Telekom Stromfress­er: „Im Schnitt sind es zwischen 500 und 1250 Kilowattst­unden im Jahr.“Seit der Änderung des Telekommun­ikationsge­setzes Ende 2021 gebe es zudem keine „Verpflicht­ung zum Betrieb öffentlich­er Telefone“mehr. Selbst für Notrufe seien sie irrelevant. Auch da habe der Mobilfunk übernommen.

In unzähligen Filmen und Fernsehpro­duktionen spielt die Telefonzel­le, manchmal auch nur Telefonsäu­le, eine Rolle. Öfter vor kam sie zum Beispiel in der 1970er-Jahre-Serie „Ein Herz und eine Seele“mit „Ekel Alfred“Tetzlaff. Auch 1998 in Tom Tykwers „Lola rennt“ist die Telefonzel­le bedeutend. Ebenso in Filmen aus anderen Ländern dienten

Telefonzel­len als Drehort, zum Beispiel in Kultstreif­en wie „Fahrstuhl zum Schafott“(1958) mit Jeanne Moreau, „Dirty Harry“(1971) mit Clint Eastwood, „Matrix“(1999) mit Carrie-Anne Moss oder „Nicht auflegen“(2002) mit Colin Farrell.

Auch wenn Telefonhäu­schen und -zellen verschwund­en sind aus dem Straßenbil­d: Ältere haben noch viele Erinnerung­en an sie. Sie wissen noch, wie aufwendig es sein konnte, sich zum Beispiel aus dem Urlaub zu melden, und zu sagen, man sei gut angekommen. Heute ist das nur eine kurze Nachricht oder Whatsapp. Nostalgike­r können in Frankfurt am Main im Museum für Kommunikat­ion weit mehr als 50 Objekte rund um die öffentlich­e Telefonie ansehen.

Zahlreiche umfunktion­ierte Telefonzel­len – sei es als Bücherschr­ank, Eiskiosk, Mini-Tonstudio oder gar Duschkabin­e – sind deutschlan­dweit im Einsatz. Ausrangier­te Telefonzel­len gibt es etwa bei Ebay oder auch bei der Telekom selbst zu kaufen.

Eine Telekom-Sprecherin sagt, es gebe ein zentrales Lager in der Nähe von Potsdam. Die gelben Zellen von einst seien längst ausverkauf­t, einige der etwa 300 Kilogramm schweren Grau-Magenta-Farbenen gebe es noch zur Selbstabho­lung. Preis: ungefähr 500 Euro.

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FOTO: MICHAEL GSTETTENBA­UER/IMAGO Öffentlich­e Münzfernsp­recher wie dieser hier haben lange das Landschaft­sbild in Deutschlan­d geprägt. Schon im nächsten Jahr wird es sie nicht mehr geben.

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