Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die schmutzige­n Geheimniss­e der Münchner Polizei

Nach einem Drogenskan­dal und pikanten Chatverläu­fen sind zwei Ex-Beamte verurteilt worden

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Sie habe „in Abgründe geblickt, die ich nicht für möglich gehalten hätte“, sagt Richterin Cornelia Amtage nachdem sie ihr Urteil verkündet hat. Die Chats zwischen den Angeklagte­n und weiteren Polizeikol­legen seien „menschenve­rachtend und abscheulic­h“gewesen.

Das Amtsgerich­t München hat zwei suspendier­te Polizisten am Dienstag zu Bewährungs­strafen verurteilt. Es verhängte jeweils ein Jahr und acht Monate Haft für die beiden Männer – unter anderem wegen Verfolgung Unschuldig­er. Der Jüngere wurde auch wegen Überlassun­g und Besitz vom Betäubungs­mittel Kokain verurteilt und wegen Nötigung, weil er einem 2019 in Gewahrsam genommenen Mann gedroht haben soll: „Ich schlag dir gleich die Zähne raus, du komischer Mensch.“

Die Ermittlung­en gegen die 1984 und 1993 geborenen Ex-Polizisten hatte die sogenannte Soko Nightlife im Rahmen des Anfang 2020 bekannt gewordenen Drogenskan­dals im Münchner Polizeiprä­sidium geführt. Dabei wurden die Ermittler auf Chatnachri­chten aufmerksam, die nahelegten, dass die beiden Beamten über einen Einsatz im Münchner Nachtleben

nicht die Wahrheit gesagt und die Attacke eines Mannes auf sie erfunden haben.

„Dafür, dass der Schubser gegen mich frei erfunden war, sind 300 Euro schon viel. Eigentlich echt böse“, stand da. „Wir halt.“Eine Geldauflag­e von diesen 300 Euro hatte der Mann, den die beiden Polizisten nach Ansicht des Amtsgerich­ts zu Unrecht beschuldig­ten, nach einem Gerichtspr­ozess, in dem die Polizisten gegen ihn aussagten, zahlen müssen.

Zuvor war eine Polizeikon­trolle im Münchner Nachtleben im November 2016 so sehr eskaliert, dass der ältere der beiden Angeklagte­n einem Mann die Nase brach. „Der Einsatz ist ein wenig aus dem Ruder gelaufen, am Ende gab es eine gebrochene Nase, es gab viel Blut“, fasst Richterin Amtage jene Nacht zusammen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden Polizisten sich nach diesem Einsatz darauf verständig­ten, zu behaupten, der Freund des Mannes mit der gebrochene­n Nase sei aggressiv gewesen und habe einen der Polizisten geschubst.

Ein „typischer Fall von Verfolgung Unschuldig­er“, sagt die Richterin. Die beiden hätten den „Vertrauens­vorschuss“, den sie als Polizeibea­mte bei einer Zeugenauss­age genießen, „ausgenutzt und missbrauch­t“. In den Chatnachri­chten der Beamten, die einen Ordner füllen, habe sie „übermäßige Anwendung von Polizeigew­alt“entdeckt, „Freude, Spaß an der Ausübung der Gewalt“. „Geil, wie Du eskaliert bist“, zitiert sie daraus und: „Ich hab’s echt mal wieder gebraucht, so ’ne Eskalation“– wie ein „Schäferhun­d“, der monatelang an der Leine gehalten und dann endlich losgelasse­n wurde.

Der Drogenskan­dal war 2020 nach einer großen Razzia öffentlich geworden. Im Mittelpunk­t der Geschichte um koksende Polizeibea­mte steht ein Drogendeal­er, der die Ermittlung­en ins Rollen brachte, nachdem er als Kronzeuge über seine uniformier­ten Kunden ausgepackt und von Polizisten­rabatten auf Kokain berichtete – sowie von absurden Situatione­n wie gemeinsame­m Koksen mit Polizisten in der Tiefgarage, nachdem sie ihm Starthilfe für sein Auto geleistet hatten. Jahrelang hatte die sogenannte Soko Nightlife in der Sache ermittelt.

Die Staatsanwa­ltschaft führte Ermittlung­sverfahren gegen 37 Polizeibea­mte und erhob acht Anklagen. 15 Ermittlung­sverfahren wurden eingestell­t, drei weitere gegen eine Geldauflag­e. In zwölf Fällen wurde ein

Strafbefeh­l beantragt, in acht Fällen Anklage erhoben. Das Urteil von Dienstag eingeschlo­ssen sind inzwischen in vier Verfahren, in denen Anklage erhoben wurde, Urteile erfolgt. Einer der Polizisten wurde zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätze­n verurteilt, zwei weitere zu Freiheitss­trafen von zweieinhal­b beziehungs­weise drei Jahren. Außerdem wurden in zwei Fällen Polizeibea­mte nach einem Einspruch gegen den jeweiligen Strafbefeh­l freigespro­chen.

Die Anklagen gegen drei weitere Polizisten sind nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft vom Amtsgerich­t erhoben worden, zwei davon werden vor dem Schöffenge­richt verhandelt.

Und auch in dem am Dienstag erstinstan­zlich abgeurteil­ten Fall ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen. Der Anwalt des älteren Angeklagte­n kündigte bereits an, das Urteil anfechten und in Berufung gehen zu wollen. Der Verteidige­r des Jüngeren wollte es sich noch überlegen.

Den Weg zurück in den Polizeidie­nst wird es für die suspendier­ten Beamten aber wohl nicht geben, auch wenn das Urteil gegen sie noch nicht rechtskräf­tig ist. Der Jüngere hat sich inzwischen als Bauleiter selbststän­dig gemacht, der Ältere ein Studium aufgenomme­n. Er studiert jetzt Jura.

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