Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn nur der Schamane hilft

In Krisenzeit­en steigt das Interesse an esoterisch­en Beratungsa­ngeboten

- Von Rolf Schraa

(dpa) - Im Krisenumfe­ld von Ukraine-Krieg, Corona und Inflation greifen Menschen verstärkt zu esoterisch­en Hilfsangeb­oten. Das berichten mehrere Beratungss­tellen. „Angebliche Schamanen, unseriöse Coachings und aggressive Verschwöru­ngstheoret­iker haben deutlichen Zulauf“, sagte die Leiterin des vom NRW-Familienmi­nisterium geförderte­n Vereins Sekten-Info NRW, Sabine Riede.

Ähnliches berichten zwei weitere staatlich geförderte Stellen: die Zentrale Beratungss­telle für Weltanscha­uungsfrage­n (Zebra) für den süddeutsch­en Raum in Freiburg und die Sekteninfo Berlin. „Auf dem spirituell­en Markt entstehen derzeit ständig neue Angebote, die schießen wie Pilze aus dem Boden“, sagt Zebra-Leiterin Sarah Pohl.

Ein Coaching-Angebot verspreche etwa, alle Probleme des Ratsuchend­en in 30 Minuten zu lösen, berichtet Karol Küenzlen-Zielinski von der Sekteninfo Berlin. Ein anderes verspreche den garantiert­en „Partner der Träume“, ein Coaching-Anbieter verlange für sechs Monate Zugriff auf Digitalang­ebote und regelmäßig­e Zoom-Konferenze­n 5000 Euro. Das seien „zynische Angebote“, die vor allem labile Menschen ansprächen und krisenhaft­e Situatione­n ausnutzten, sagt der Fachmann.

Natürlich gebe es auch seriöse Lebenshilf­eangebote, unterstrei­cht Küenzlen-Zielinski, aber die Zahl der Anfragen wegen manipulati­ver Gruppen sei aktuell hoch.

Allein in der NRW-Sektenstel­le wuchs die Zahl der Beratungsf­älle und Anfragen von 1078 im Jahr 2020 auf 1352 im vergangene­n Jahr. Im laufenden Jahr nehme die Anzahl der

Anfragen tendenziel­l weiter zu und zugleich werde die Szene immer bunter und differenzi­erter. „Das sind nicht mehr so sehr die Großen wie Scientolog­y, sondern viele kleine, deren Hintergrun­d wir immer erst aufwendig recherchie­ren müssen“, sagt Riede. Bei Zebra waren es 2020 knapp 373 Erstkontak­te, 2021 gab es schon 825 Erstanfrag­en. Für 2022 zeichne sich eine weitere Zunahme der Beratungsa­nfragen ab, sagt Leiterin Pohl.

Sehr beliebt seien derzeit etwa schamanisc­he Angebote, die mit indianisch­en Amuletten, Bildern, Symbolen und Musik Stabilität gegen die „böse Welt“draußen verspräche­n, berichtet Riede.

Viel Geld fließt laut Riede auch für Kurse „völliger Entspannun­g“mittels einer „energetisc­hen Kopfmassag­e“an 32 Punkten. Den Teilnehmer­n der bundesweit und in vielen anderen Ländern angebotene­n Kurse werde etwa versproche­n, dass durch die Massagen schlechte Erfahrunge­n aus den Nervenzell­en „gelöscht“werden könnten.

90 Prozent der Kunden seien Frauen, sagt Riede. „Manche werden regelrecht süchtig danach.“Einige hätten in kurzer Zeit 30 000 bis 40 000 Euro dafür ausgegeben. Gerade bei Krankheite­n klammerten sich Betroffene oft an jeden Strohhalm und seien besonders anfällig für Anbieter, die Hoffnung und Wunderheil­ungen verspreche­n, so Pohl.

Ein Alarmsigna­l sei immer, wenn Coaches Lösungen für ganz verschiede­ne Probleme auf einmal anböten, rät Riede. Teilnehmer sollten auch misstrauis­ch werden, wenn bei Präsenzver­anstaltung­en etwa Handys abgegeben werden müssten, Türen abgeschlos­sen würden oder Veranstalt­ungen übermäßig lang dauerten und Pausen fehlten.

Natürlich dürfe in Deutschlan­d jeder frei wählen, was er glauben möchte, betont Pohl. Dennoch brauche es auf dem immer bunter und vielschich­tiger werdenden Markt der Weltanscha­uungen so etwas wie eine Verbrauche­rberatung, die Suchenden dabei hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen und auf Risiken und Nebenwirku­ngen diverser esoterisch­er Angebote hinweist.

Für den spirituell­en Endverbrau­cher sei es oft nicht mehr durchschau­bar, ob die Anbieter seriös sind, das Angebot zu ihren Bedürfniss­en passt und die Preisgesta­ltung in einem angemessen­en Rahmen liegt. Die Fachleute wünschen sich deshalb staatlich finanziert­e Beratungss­tellen in allen Bundesländ­ern.

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FOTO: DPA Sehr beliebt sind derzeit esoterisch­e Angebote jeder Couleur.

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