Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Spielekönig
Shigeru Miyamoto ist der Schöpfer von Videospielklassikern wie „Super Mario“und „Donkey Kong“– Der Mann, der Abermillionen Menschen mit seinem Ideenreichtum begeistert, wird nun 70 Jahre alt
It’s-a me, Mario!“Erklangen in der Kindheit diese magischen Worte, hüpfte das Herz direkt ein bisschen höher. Der Schulranzen lag in der Ecke, die Hausaufgaben waren erledigt, endlich durfte man einige wenige, beinahe feierliche, Stunden abtauchen in die Videospielwelten von Nintendo. Auf dem Bildschirm grüßte einen lachend das übergroße Gesicht von Mario, gekrönt von einer roten Mütze. Auf Koopas hüpfen für ein paar Münzen, aufmerksam den Kettenhunden ausweichen – und irgendwann Prinzessin Peach aus den Klauen des Ungetüms Bowser befreien. Klingt alles nach Bahnhof? Damit sind Sie wahrscheinlich nicht allein. Für Abermillionen Menschen ist das aber der Sound ihrer Kindheit.
„Ulysses“von James Joyce, „Citizen Kane“von Orson Welles, „Strawberry Fields Forever“von den Beatles. Kunstwerke, die ihr Genre völlig neu dachten. Setzt man diese Reihe fort, müssen dort auch „Donkey Kong“und „Super Mario“stehen: Ein Affe mit roter Krawatte, ein Schreiner (später Klempner) namens Mario – fertig sind zwei Videospielklassiker.
Ein untersetzter italienischer Klempner mit bauschigem Schnauzbart, der magische Pilze oder Blumen verspeist, um eine Prinzessin aus den Klauen einer feuerspeienden Schildkröte zu befreien. Ein riesenhafter Gorilla mit roter Krawatte, der seine entwendeten Bananen von einem Krokodil mit Umhang und Krone zurückholen will. Viel mehr an Handlung ist da nicht. Und doch sind Super Mario und Donkey Kong zu absoluten Ikonen der Videospielund Popkultur aufgestiegen. Weil es ihrem Schöpfer Shigeru Miyamoto stets aufs Neue gelang, fantasievoll Geschichten vom Kampf Gut gegen Böse zu erzählen. Der Japaner wird nun 70 Jahre alt. Das Unternehmen Nintendo ist untrennbar mit ihm verbunden, Miyamoto ist der einflussreichste Videospieleentwickler der Welt.
Der Designer trug maßgeblich dazu bei, das Medium Videospiel raus aus den Spielhöllen und rein in die Wohnzimmer von Familien zu bringen. Ohne ihn wären Videospiele nicht das beliebteste Kulturmedium der Gegenwart. Angefangen hat für Miyamoto bei Nintendo alles als Designer für die Gehäuse von Spieleautomaten. Ein Zufall war es, der es ihm erlaubte, sein erstes Videospiel zu entwickeln: Es fand sich schlicht niemand sonst, der sich an diese Aufgabe traute. Über Umwege kam es dazu, dass Miyamoto eigene Charaktere erfinden musste: die Geburtsstunde von Donkey Kong und Super Mario. Wobei der Gorilla im Klassiker „Donkey Kong“von 1981 noch der Bösewicht war, der die Freundin von „Jumpman“, dem späteren Super Mario, entführte. Ein Welterfolg.
Von hier an geht es für Miyamoto und Nintendo nur noch bergauf: Das Videospielgenre schlechthin, Jump ’n’Run, ist geboren und von da an bis heute wird keine Marke, kein anderes Videospiel dieses Genres an die Waren aus dem Hause Nintendo heranreichen. Doch Miyamotos Genie hat sich noch lange nicht erschöpft. Mit „Super Mario Bros.“von 1985 gibt es erstmals Spielabschnitte, sogenannte Level, die sich über den Bildschirmrand hinaus erstrecken. Dieser Kniff ermöglicht eine ganz neue spielerische Tiefe. Und diese
Tiefe erweitert Miyamoto nochmals, als er mit „The Legend of Zelda“1986 das Abenteuer-Genre revolutioniert. Diese Reihe ist der dritte ewige Bestseller in Miyamotos Portfolio. Spätestens damit hat er sich in der Popkultur unsterblich gemacht.
Die Bekanntheit der Kreationen aus Miyamotos Universum steht denen des Disney-Konzerns in nichts nach, das belegen immer wieder Umfragen. Obwohl er beruflich stets in Japan gearbeitet hat, scheint Miyamoto sehr empfänglich für die Schwingungen der globalen Kultur zu sein.
Die Herzen fliegen Super Mario und Co. über alle nationalen Grenzen hinweg zu. Das hat vor allem zwei Ursachen: Miyamotos Charaktere sind universell und dennoch einzigartig. Keinem Massengeschmack angepasst, sondern Individuen voller Charakter, auch ohne filmreife Zwischensequenzen. Und Nintendos Spielwelten sind auf vertraute Weise verfremdet: Es gibt Hochhäuser, Highways oder Schlösser im Neuschwanstein-Look, aber bewohnt werden sie von aufrecht laufenden Schildkröten und Pilzen oder lebendigen Kanonenkugeln. Und das alles in quietschebunt. Alptraumhaftes gibt es in diesen Welten nicht. Anziehendere Orte für Weltflucht vielleicht auch nicht. Es geht nicht um
Rekorde im Spiel (auch wenn man diese durchaus anspruchsvoll erreichen kann), es geht nicht um realistische Überlebenskämpfe oder Nervenkitzel. Wer ein Spiel Miyamotos spielt, soll einfach Spaß haben.
In seinen mehr als 40 Jahren bei dem japanischen Unternehmen veränderte Miyamoto mehr als jeder andere Spieleentwickler unsere Vorstellung von dem, was Videospiele sein können. Und er hält an dem fest, was er unter einem guten Spiel versteht: Während Blockbuster-Spiele, sogenannte „Triple A“-Entwicklungen, heute mit gigantischen Millionenbudgets immer mehr interaktiven Filmen ähneln, setzt Miyamoto weiter auf das „Spiel“an sich. Ein grobes Handlungsgerüst und meist kaum vertonte Dialoge lenken den Fokus auf die Spielmechaniken. Sie sind der Star.
Auch nach fast 40 Jahren zeigt der Japaner in seinen Kreationen eine unbändige Neugierde, die stets zu Innovationen führt – und die ewige Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse langweilt immer noch nicht. Wenig überraschend, dass selbst Menschen, die kaum Berührungspunkte mit Videospielen haben, sich in Miyamotos Welten zu Hause fühlen. Gemeinsam „Mario Kart“oder „Mario Party“zu spielen, ist in vielen Familien längst liebgewonnenes Ritual geworden. Und von solchen kann man in diesem Winter sicher nicht genug haben.