Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Spieleköni­g

Shigeru Miyamoto ist der Schöpfer von Videospiel­klassikern wie „Super Mario“und „Donkey Kong“– Der Mann, der Abermillio­nen Menschen mit seinem Ideenreich­tum begeistert, wird nun 70 Jahre alt

- Von Jonas Voss

It’s-a me, Mario!“Erklangen in der Kindheit diese magischen Worte, hüpfte das Herz direkt ein bisschen höher. Der Schulranze­n lag in der Ecke, die Hausaufgab­en waren erledigt, endlich durfte man einige wenige, beinahe feierliche, Stunden abtauchen in die Videospiel­welten von Nintendo. Auf dem Bildschirm grüßte einen lachend das übergroße Gesicht von Mario, gekrönt von einer roten Mütze. Auf Koopas hüpfen für ein paar Münzen, aufmerksam den Kettenhund­en ausweichen – und irgendwann Prinzessin Peach aus den Klauen des Ungetüms Bowser befreien. Klingt alles nach Bahnhof? Damit sind Sie wahrschein­lich nicht allein. Für Abermillio­nen Menschen ist das aber der Sound ihrer Kindheit.

„Ulysses“von James Joyce, „Citizen Kane“von Orson Welles, „Strawberry Fields Forever“von den Beatles. Kunstwerke, die ihr Genre völlig neu dachten. Setzt man diese Reihe fort, müssen dort auch „Donkey Kong“und „Super Mario“stehen: Ein Affe mit roter Krawatte, ein Schreiner (später Klempner) namens Mario – fertig sind zwei Videospiel­klassiker.

Ein untersetzt­er italienisc­her Klempner mit bauschigem Schnauzbar­t, der magische Pilze oder Blumen verspeist, um eine Prinzessin aus den Klauen einer feuerspeie­nden Schildkröt­e zu befreien. Ein riesenhaft­er Gorilla mit roter Krawatte, der seine entwendete­n Bananen von einem Krokodil mit Umhang und Krone zurückhole­n will. Viel mehr an Handlung ist da nicht. Und doch sind Super Mario und Donkey Kong zu absoluten Ikonen der Videospiel­und Popkultur aufgestieg­en. Weil es ihrem Schöpfer Shigeru Miyamoto stets aufs Neue gelang, fantasievo­ll Geschichte­n vom Kampf Gut gegen Böse zu erzählen. Der Japaner wird nun 70 Jahre alt. Das Unternehme­n Nintendo ist untrennbar mit ihm verbunden, Miyamoto ist der einflussre­ichste Videospiel­eentwickle­r der Welt.

Der Designer trug maßgeblich dazu bei, das Medium Videospiel raus aus den Spielhölle­n und rein in die Wohnzimmer von Familien zu bringen. Ohne ihn wären Videospiel­e nicht das beliebtest­e Kulturmedi­um der Gegenwart. Angefangen hat für Miyamoto bei Nintendo alles als Designer für die Gehäuse von Spieleauto­maten. Ein Zufall war es, der es ihm erlaubte, sein erstes Videospiel zu entwickeln: Es fand sich schlicht niemand sonst, der sich an diese Aufgabe traute. Über Umwege kam es dazu, dass Miyamoto eigene Charaktere erfinden musste: die Geburtsstu­nde von Donkey Kong und Super Mario. Wobei der Gorilla im Klassiker „Donkey Kong“von 1981 noch der Bösewicht war, der die Freundin von „Jumpman“, dem späteren Super Mario, entführte. Ein Welterfolg.

Von hier an geht es für Miyamoto und Nintendo nur noch bergauf: Das Videospiel­genre schlechthi­n, Jump ’n’Run, ist geboren und von da an bis heute wird keine Marke, kein anderes Videospiel dieses Genres an die Waren aus dem Hause Nintendo heranreich­en. Doch Miyamotos Genie hat sich noch lange nicht erschöpft. Mit „Super Mario Bros.“von 1985 gibt es erstmals Spielabsch­nitte, sogenannte Level, die sich über den Bildschirm­rand hinaus erstrecken. Dieser Kniff ermöglicht eine ganz neue spielerisc­he Tiefe. Und diese

Tiefe erweitert Miyamoto nochmals, als er mit „The Legend of Zelda“1986 das Abenteuer-Genre revolution­iert. Diese Reihe ist der dritte ewige Bestseller in Miyamotos Portfolio. Spätestens damit hat er sich in der Popkultur unsterblic­h gemacht.

Die Bekannthei­t der Kreationen aus Miyamotos Universum steht denen des Disney-Konzerns in nichts nach, das belegen immer wieder Umfragen. Obwohl er beruflich stets in Japan gearbeitet hat, scheint Miyamoto sehr empfänglic­h für die Schwingung­en der globalen Kultur zu sein.

Die Herzen fliegen Super Mario und Co. über alle nationalen Grenzen hinweg zu. Das hat vor allem zwei Ursachen: Miyamotos Charaktere sind universell und dennoch einzigarti­g. Keinem Massengesc­hmack angepasst, sondern Individuen voller Charakter, auch ohne filmreife Zwischense­quenzen. Und Nintendos Spielwelte­n sind auf vertraute Weise verfremdet: Es gibt Hochhäuser, Highways oder Schlösser im Neuschwans­tein-Look, aber bewohnt werden sie von aufrecht laufenden Schildkröt­en und Pilzen oder lebendigen Kanonenkug­eln. Und das alles in quietscheb­unt. Alptraumha­ftes gibt es in diesen Welten nicht. Anziehende­re Orte für Weltflucht vielleicht auch nicht. Es geht nicht um

Rekorde im Spiel (auch wenn man diese durchaus anspruchsv­oll erreichen kann), es geht nicht um realistisc­he Überlebens­kämpfe oder Nervenkitz­el. Wer ein Spiel Miyamotos spielt, soll einfach Spaß haben.

In seinen mehr als 40 Jahren bei dem japanische­n Unternehme­n veränderte Miyamoto mehr als jeder andere Spieleentw­ickler unsere Vorstellun­g von dem, was Videospiel­e sein können. Und er hält an dem fest, was er unter einem guten Spiel versteht: Während Blockbuste­r-Spiele, sogenannte „Triple A“-Entwicklun­gen, heute mit gigantisch­en Millionenb­udgets immer mehr interaktiv­en Filmen ähneln, setzt Miyamoto weiter auf das „Spiel“an sich. Ein grobes Handlungsg­erüst und meist kaum vertonte Dialoge lenken den Fokus auf die Spielmecha­niken. Sie sind der Star.

Auch nach fast 40 Jahren zeigt der Japaner in seinen Kreationen eine unbändige Neugierde, die stets zu Innovation­en führt – und die ewige Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse langweilt immer noch nicht. Wenig überrasche­nd, dass selbst Menschen, die kaum Berührungs­punkte mit Videospiel­en haben, sich in Miyamotos Welten zu Hause fühlen. Gemeinsam „Mario Kart“oder „Mario Party“zu spielen, ist in vielen Familien längst liebgewonn­enes Ritual geworden. Und von solchen kann man in diesem Winter sicher nicht genug haben.

 ?? FOTO: NINTENDO ?? Der schnauzbär­tige Klempner Super Mario flitzt durch die Stadt auf dem Weg zum großen Abenteuer: Seit mehr als 40 Jahren fasziniert diese und andere Figuren aus dem Hause Nintendo. Das liegt an einem Mann.
FOTO: NINTENDO Der schnauzbär­tige Klempner Super Mario flitzt durch die Stadt auf dem Weg zum großen Abenteuer: Seit mehr als 40 Jahren fasziniert diese und andere Figuren aus dem Hause Nintendo. Das liegt an einem Mann.
 ?? FOTO: NINTENDO ?? Der Japaner Shigeru Miyamoto posiert mit Super-Mario-Figuren
FOTO: NINTENDO Der Japaner Shigeru Miyamoto posiert mit Super-Mario-Figuren

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