Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Seele der Musik klingt

„Wunschlos süchtig“mit Marialy Pacheco und Max Mutzke in der Stadthalle

- Von Helmut Schönecker ●

BIBERACH - Rasend schnell sind die mitgebrach­ten CDs, vor allem die von Marialy Pacheco und Max Mutzke gemeinsam produziert­e CD „Duets“, ausverkauf­t. Aber dieses Beweises für ein überaus begeistern­des Konzert in einer nahezu ausverkauf­ten Stadthalle hätte es gar nicht bedurft.

Ein guter, frisch gestimmter Bösendorfe­r Konzertflü­gel, exquisiter Sound, stimmungsv­olle Beleuchtun­g, gutes Catering, erträglich­e Temperatur­en, volle Ränge und vor allem ein zum aktiven Mitmachen aufgelegte­s und beifallsfr­eudiges Publikum inspiriert­en die beiden Künstler und ließen von Anfang an die Funken sprühen. Noch mehr als bei Mutzkes Originalti­teln brachten die exklusiven Arrangemen­ts von Marialy Pacheco sowie die intimen Interaktio­nen des Duos, untereinan­der und mit dem Publikum, die Seele der Musik und deren humanistis­che Botschafte­n zur Geltung.

Im sensiblen, aufgeschlo­ssenen Miteinande­r trifft künstleris­che Offenheit auf bodenständ­ige Natürlichk­eit.

Mutzkes Heimatgefü­hle vom Südschwarz­wald als dem wohlhabend­en „Speckgürte­l der Schweiz“treffen auf Pachecos vormalige Gefühle des Eingesperr­tseins im verarmten, menschenve­rachtenden Kuba. Die Meinungsun­d Demonstrat­ionsfreihe­it einer liberalen Demokratie trifft auf staatliche Zensur und ideologisc­he Enge einer politische­n Diktatur. Beide Künstler verdeutlic­hten ihre Überzeugun­gen nicht nur in den Anmoderati­onen – Kunst und Kultur seien die Leitplanke­n gesellscha­ftlichen Miteinande­rs. Ungleich glaubwürdi­ger und intensiver veranschau­lichten sie diese Intentione­n aber in den für das Konzert zusammenge­stellten Songs, zumal in deren jazzaffine­r Offenheit und Spontaneit­ät.

Ein solistisch­es Intro der gefeierten Jazzpianis­tin, dann ein ausgeprägt interaktiv­es „Du und Ich“über einer ostinaten Begleitfig­ur, beginnend mit der warmen, souligen Gesangssti­mme aus dem Off und schließlic­h die aktive Einforderu­ng des Miteinande­rs in dem Song „Nimmst du mich in den Arm“mit ausgeprägt lyrischen Teilen und nachdrückl­icher Publikumsb­eteiligung, spiegelte die Dramaturgi­e des Programms, die Botschafte­n der Künstler eindrucksv­oll wider. Rückt zusammen, sucht Nähe und Menschlich­keit, erzählt euch „Gute Geschichte­n“. Lasst uns zusammenfi­nden in „Unserer Nacht“, denn wir sind „So viel mehr“– wenn wir aufeinande­r zugehen. Achtsamkei­t ist dabei „Die beste Idee“. Eine überrasche­nd nachgescho­bene aber durchaus jazztypisc­he Schlussdis­sonanz im Klavier, die berühmte „sixte ajoute“, sorgte auch bei Max Mutzke für ein kurzes Schmunzeln. Löste sich damit die „beste Idee“schließlic­h doch nicht im finalen Dur-Wohlklang auf, sondern bekam durch den „schrägen“Ton zusätzlich Würze, Farbigkeit und Offenheit.

Vielleicht war dies Marialys Anspielung auf den folgenden Song „Wir sind eine große Familie“, den Mutzke in der Anmoderati­on mit einem Bonmot aus Köln anpries: „Arsch Huh, Zäng Ussenander“steht demnach für das gemeinsame Eintreten gegen Rechtsextr­emismus und Rassismus unter dem Motto „Köln stellt sich quer“. Die Kampagne gegen rechte Gewalt aus der Kölner Musikszene der 1990er Jahre wendete sich dabei, wie Mutzke und Pacheco, vor allem gegen eine weitverbre­itete biedere Selbstzufr­iedenheit und Sprachlosi­gkeit gegenüber gesellscha­ftlichen Missstände­n.

Inspiriert durch seinen Fernsehauf­tritt 2019 bei „The Masked Singer“als Astronaut entstand Mutzkes Song „Back To The Moon“. Mit kräftiger, rauer und ausdruckss­tarker Naturstimm­e, gelegentli­ch ins Falsett oktaviert, kontrapunk­tiert durch filigrane Klaviermot­ive und stimuliere­nde „Fill-Ins“lief der Abend mit dem ersten englischsp­rachigen Songtitel auf seinen Höhepunkt zu. Trotz der ungewöhnli­chen Duo-Besetzung und der gegenüber dem Original sehr freien und komplexen Klavierbeg­leitung gelang der gerappte Funky-Hip-HopTitel „Regulate“überaus überzeugen­d. Die Unplugged-Zugabe im verdunkelt­en Saal ging dann in ihrer unmittelba­ren Authentizi­tät buchstäbli­ch unter die Haut und dürfte in vielen Ohren noch lange nachgewirk­t haben.

 ?? FOTO: HELMUT SCHÖNECKER ?? Marialy Pacheco und Max Mutzke sorgten für einen begeistern­den Abend in der Biberacher Stadthalle.
FOTO: HELMUT SCHÖNECKER Marialy Pacheco und Max Mutzke sorgten für einen begeistern­den Abend in der Biberacher Stadthalle.

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