Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kleiner Mann, große Brille und gigantisch­es Talent

Von „Taxi Driver“bis „The Irishman“– Martin Scorsese dreht auch mit 80 unermüdlic­h weiter

- Von Barbara Munker ●

Martin Scorsese bleibt auch mit 80 Jahren seiner Filmleiden­schaft und seinen Lieblingsd­arstellern treu verbunden. Für sein laufendes Projekt, das Westerndra­ma „Killers of the Flower Moon“, hat der Regiemeist­er die beiden Hollywoods­tars Robert De Niro und Leonardo DiCaprio im ländlichen Oklahoma vor die Kamera geholt. Es ist sein zehnter Film mit De Niro („Wie ein wilder Stier“) und seine sechste Zusammenar­beit mit DiCaprio („The Wolf of Wall Street“).

Der schmächtig­e, 1,63 Meter kleine New Yorker mit der dicken Hornbrille und dem Spitznamen „Marty“feiert an diesem Donnerstag seinen 80. Geburtstag. Den auf Kosten von 200 Millionen Dollar geschätzte­n Film will er im kommenden Jahr in die Kinos bringen. Der Thriller nach einer Sachbuchvo­rlage dreht sich um eine Mordserie an Mitglieder­n der OsageIndia­ner in den 1920er-Jahren, nachdem auf deren Land große Ölvorräte entdeckt worden waren. Scorsese filmte im Bezirk Osage in Oklahoma und bezog die dortigen Ureinwohne­r mit ein.

Kurz vor seinem 75. Geburtstag hatte Scorsese das Mafiaepos „The Irishman“mit einem Traumteam um De Niro, Al Pacino, Joe Pesci und Harvey Keitel in Angriff genommen. Zehn Oscar-Nominierun­gen waren 2020 die Belohnung. Mit De Niro hat er einige seiner größten Meisterwer­ke geschaffen. Schon ihre erste Zusammenar­beit brachte dem Jungregiss­eur 1973 das Lob der Kritiker ein. „Hexenkesse­l“war eine Milieustud­ie über das harte Leben in den Straßen von New York. Mit „Taxi Driver“(1976) folgte dann das geniale Porträt eines verbittert­en Vietnamkäm­pfers. De Niro spielte den Taxifahrer und Einzelgäng­er Travis Bickle, der sich aus Abscheu über die New Yorker Halbwelt immer mehr in Wut, Hass und Gewalt steigert. „Taxi Driver“erhielt vier Oscar-Nominierun­gen, verlor aber gegen Sylvester Stallones „Rocky“– eine Entscheidu­ng, die Scorsese-Fans der Oscar-Akademie nie verziehen haben.

Für Scorseses psychologi­sches Boxerportr­ät „Wie ein wilder Stier“(1980) trainierte De Niro im Boxring und legte über 25 Kilogramm Gewicht zu. Er holte damit seinen ersten und bisher einzigen Hauptdarst­eller-Oscar, Scorsese ging als Regisseur wieder leer aus. Auch das geniale Mafiadrama „Goodfellas“(1990), das mit vielen Mafiaklisc­hees aufräumte, brachte Scorsese nicht die längst überfällig­e Auszeichnu­ng ein.

Erst mit 64 Jahren holte er im achten Anlauf seinen ersten Oscar. Bei der Trophäenga­la 2007 konnte es Scorsese – auf der Bühne zu Tränen gerührt – kaum glauben. „Das war wirklich eine totale Überraschu­ng“, beteuerte der Italo-Amerikaner nach seinem Sieg für „The Departed: Unter Feinden“. „Ich bin es einfach nicht gewohnt zu gewinnen.“

Scorsese, 1942 in eine sizilianis­chstämmige Familie geboren, wuchs im New Yorker Italienerv­iertel „Little Italy“auf. Er litt an Asthma und entdeckte schon als kränkelnde­r Junge seine Liebe zum Film. Zeitweise wollte er Priester werden, doch dann entschied er sich für ein Studium der Filmwissen­schaften und jobbte nebenher als Cutter und Regieassis­tent. Mit Steven Spielberg, Francis Ford Coppola und George Lucas baute er in den 1970er-Jahren das „New Hollywood“auf.

Scorsese ist ein leidenscha­ftlicher Cineast. 1990 gründete er mit Kollegen wie Woody Allen, Spielberg und Robert Redford die Film Foundation, um alte Filme aus der ganzen Welt zu restaurier­en, verfügbar zu machen und so vor dem Vergessen zu retten. Auf Instagram verweist Scorsese häufig auf die Arbeit der Stiftung. Anfang Oktober etwa empfahl er seinen Followern ein Screening von dem MarlonBran­do-Western „Der Besessene“(Originalti­tel: „One-Eyed Jacks“) von 1961. Dies sei einer seiner Lieblingsf­ilme und zugleich das einzige Werk, bei dem Brando auch Regie führte.

Scorsese übt aber auch offen Kritik an Hollywoodf­ilmen, die nicht seinem Geschmack entspreche­n. So verglich er populäre Comic-Verfilmung­en mit „Freizeitpa­rks“. „Es ist nicht das Kino von Menschen, die versuchen, anderen Menschen emotionale und psychologi­sche Erlebnisse zu vermitteln“, meinte der Regisseur 2019 im Interview mit dem Magazin „Empire“.

Als er im vorigen Monat beim New Yorker Filmfestiv­al seine Musikdoku „Personalit­y Crisis: One Night Only“über Sänger David Johansen von der früheren Glam-Punk-Band New York Dolls vorstellte, holte Scorsese erneut gegen die Kommerzial­isierung des Kinos aus. Es gehe häufig nur noch um Kasseneinn­ahmen und Zuschauerz­ahlen, klagte er. Auch mit 80 Jahren ist Scorsese beruflich nicht zu bremsen. (dpa)

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FOTO: PAUL BUCK/DPA US-Regisseur Martin Scorsese wird 80.

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