Schwäbische Zeitung (Biberach)

Türkei-Besuch im Schongang

Trotz vieler Streitpunk­te vermeidet Bundesinne­nministeri­n Faeser scharfe Töne in Ankara

- Von Susanne Güsten

- Fast zwei Stunden länger als geplant sprach Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser am Dienstag in Ankara mit ihrem türkischen Kollegen Süleyman Soylu. Ihr Gastgeber habe ihr einen „sehr interessan­ten Einblick“in die „operative Arbeit“seines Ministeriu­ms gegeben, sagte Faeser hinterher. Was Soylu der SPD-Politikeri­n gezeigt hatte, blieb offen, doch Faeser war sehr dankbar: „Ich habe mich sehr gefreut.“Überhaupt verstand sich die deutsche Sozialdemo­kratin offenbar gut mit dem türkischen Rechtsnati­onalisten, was an den jeweiligen innenpolit­ischen Interessen beider Seiten lag.

In ihrer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mieden Faeser und Soylu scharfe Töne. Der Berg der Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis von den Verhaftung­en von Bundesbürg­ern in der Türkei über die Unterdrück­ung Andersdenk­ender, die türkischen Drohungen gegen Griechenla­nd und die Beschwerde­n über angebliche deutsche Toleranz für die PKK bis hin zu den jüngsten türkischen Luftangrif­fen in Syrien wurde allenfalls gestreift. Faeser sprach der Türkei ihr Beileid zum Tod von sechs

Menschen bei dem Bombenansc­hlag von Istanbul vom 13. November aus. Mit Blick auf die türkischen Vergeltung­sangriffe auf Positionen der syrisch-kurdischen Miliz YPG der vergangene­n Tage beschränkt­e sie sich auf den Hinweis, diese sollten „verhältnis­mäßig“bleiben und Zivilisten schonen.

Nur kurz ließ Soylu, der sonst gerne den anti-westlichen Scharfmach­er gibt, seine Verärgerun­g über solche Ermahnunge­n aufblitzen. Der Tod unschuldig­er Menschen bei dem Anschlag von Istanbul und bei YPGRaketen­angriffen auf eine türkische Stadt am Montag seien auch nicht „verhältnis­mäßig“gewesen, sagte er. Zudem wiederholt­e Soylu die oft vorgetrage­ne Beschwerde der Türkei, Terroransc­hläge auf ihrem Boden würden internatio­nal nicht stark genug verdammt: Als in Polen zwei Raketen einschluge­n, sei die ganze Welt auf die Barrikaden gegangen.

Ansonsten hatten Faeser und Soylu wenig am jeweiligen Gegenüber zu beanstande­n. Der türkische Minister weiß, dass die Türkei die Bundesrepu­blik als mächtigste­s Land in der EU und als wichtigste­n Handelspar­tner braucht. Soylu sagte, er habe mit Faeser „gemeinsame Schritte“in mehreren Themenbere­ichen vereinbart. Einer davon lag der Bundesinne­nministeri­n besonders am Herzen: die Bekämpfung der organisier­ten Kriminalit­ät. Vorige Woche hatte sie ein Strategiep­apier mit dem Ziel vorgestell­t, „kriminelle Strukturen nachhaltig zu zerschlage­n“. Besonders beim Kampf gegen kriminelle Clans braucht sie die Mitarbeit der Türkei, der Heimat einiger Verbrecher­banden.

Deutschlan­d ist nicht die einzige internatio­nale Macht, die Rücksicht auf die Türkei nimmt. Russland und die USA, die große Teile von Syrien mit Hilfe von Verbündete­n kontrollie­ren, halten sich mit Kritik an Ankara wegen der jüngsten Luftangrif­fe ebenfalls zurück.

Kreml-Sprecher Dmitry Peskow sagte am Dienstag, Russland verstehe und respektier­e die türkische Haltung zur YPG, die an der Grenze zur Türkei im Norden Syriens ein Autonomieg­ebiet aufgebaut hat und von Ankara als Terrororga­nisation betrachtet wird. Alle Parteien sollten aber Schritte unterlasse­n, „die zur Destabilis­ierung der allgemeine­n Lage“in Syrien führen könnten.

Auch die USA, die mit der YPG im Kampf gegen den „Islamische­n

Staat“(IS) verbündet sind und die kurdische Miliz als Bodentrupp­e zur Sicherung von Nordost-Syrien und der dortigen Ölfelder einsetzen, wollen die Türkei nicht verärgern. Washington befürchte, dass eine Eskalation zwischen Ankara und der YPG dem Kampf gegen den IS schaden könnte, erklärte das US-Außenamt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Montag mit einem neuen Truppenein­marsch nach Syrien gedroht; die türkische Kurdenpart­ei HDP wirft Erdogan vor, mit einer neuen Offensive vor den Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen im kommenden Jahr um Wählerstim­men werben zu wollen.

Ein Einmarsch ohne grünes Licht aus Moskau und Washington wäre für Ankara allerdings sehr riskant. Trotzdem verschärft­e Erdogan am Dienst den Ton gegenüber den USA. Die Türkei wisse, „wer die Terroriste­n geschützt, bewaffnet und ermutigt hat“, sagte er in Anspielung auf die Zusammenar­beit zwischen Amerika und der YPG. Seine Armee werde „so schnell wie möglich“mit Soldaten und Panzern nach Syrien vorrücken.

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FOTO: ANNE POLLMANN/DPA Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) trifft den türkischen Innenminis­ter Süleyman Soylu. Die Töne beim Besuch in der Türkei waren von beiden Seiten aus allerdings äußerst milde.

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