Schwäbische Zeitung (Biberach)

Krieg der Worte

Das Wort „Krieg“ist in Russland tabu, zumindest im Zusammenha­ng mit Putins „Spezialope­ration“

- Von Stefan Scholl ●

- Der Prozess gegen Alissa Klimenkowa ist wieder aufgenomme­n worden. Das Regionalge­richt Tjumen annulliert­e am Montag einen Richterspr­uch, der ein Bußgeldver­fahren gegen die Frau wegen Diskrediti­erung der russischen Armee eingestell­t hatte. Am 24. September, wenige Tage nach Beginn der Teilmobilm­achung in Russland, hatte sie mit farbiger Kreide die Worte „Njet w***e“auf den Tjumener „Platz der Einheit und Zustimmung“gemalt. Vor Gericht versichert­e sie, die verschlüss­elte Parole habe nicht „Njet wojne“, Nein zum Krieg, sondern „Njet woble“, Nein zur Plötze, bedeutet. Russen verzehren getrocknet­e Plötzen gerne zum Bier, die Klimenkowa aber versichert­e, sie könne diese Art von Fisch nicht ausstehen. Das Regionalge­richt verdächtig­t die Sibirierin trotzdem weiter als mutmaßlich­e Kriegsgegn­erin. Zumal sie neben „Njet w***e“auch noch ein Friedensze­ichen auf den Asphalt gemalt hatte. Ihr drohen umgerechne­t 500 bis gut 700 Euro Bußgeld.

Das Wort „Krieg“bleibt in Russland toxisch. Jedenfalls, wenn es in einem kritischen Zusammenha­ng mit Wladimir Putins „Spezialope­ration“in der Ukraine steht. Staatliche Politiker und Propagandi­sten selbst gebrauchen den Begriff und andere heikle Vokabeln oft und unbehellig­t. Und nachdem Sergei Kirijenko,

Kremlkurat­or für Innenpolit­ik, im Oktober in einer mit „Krieg“gespickten Rede vor Lehrern zum „Volkskrieg“aufgerufen hatte, schien der verfemte Begriff rehabiliti­ert. Aber danach hagelte es wieder Arreste und Verfahren. Laut dem Bürgerrech­tsportal OVD-Info wurden seit dem 24. Februar mindestens 4033 Bußgeld- und 248 Strafverfa­hren gegen erklärte Kriegsgegn­er eröffnet.

Auch unpolitisc­he Medien betreiben inzwischen vorsichtsh­alber Selbstzens­ur. Bei der Übertragun­g eines Schlagerwe­ttbewerbs schnitt der Kanal Mus-TV am Samstag die

Wörter „Frieden“und „Krieg“aus einem Liebeslied, das vor 18 Jahren geschriebe­n worden war. Zuvor hatte der Unterhaltu­ngssender TNT das Wort „Krieg“aus der Gesangsbeg­leitung einer Tanznummer entfernt. Auch die Romanze war schon vor fünf Jahren auf dem Markt.

„Man kann das Wort Krieg ausspreche­n, aber im richtigen Kontext: Die ganze Welt führt gegen uns Krieg und wir wehren uns“, sagt Ilja Schepelin, Medienreda­kteur des Opposition­ssenders TV Doschd. „Aber man darf auf keinen Fall andeuten, dass Russland den Krieg angefangen hat, oder den Krieg in einen negativen

Zusammenha­ng stellen, wie das der Kommunalab­geordnete Gorinow getan hat.“Der Moskauer Lokalpolit­iker Alexej Gorinow hatte bei einer Gemeindera­tssitzúng im März von einer russischen Aggression in der Ukraine und täglich sterbenden Kindern gesprochen, man müsse alles tun, den Krieg dort zu beenden. Er wurde deshalb zu sieben Jahren Lagerhaft verurteilt.

Auch scheinbar neutrale, sogar ausländisc­he Wörter können jetzt teuer werden. Vier Moskauer Aktivistin­nen, die in weißen Overalls mit der Aufschrift „No nukes“vor dem Verteidigu­ngsministe­rium gegen einen drohenden Atomkrieg protestier­t hatten, wurden festgenomm­en. Ihnen droht ein ähnliches Bußgeld, wie dem Jakutsker Journalist­en, der kürzlich zu umgerechne­t 500 Euro verurteilt worden war. Bei der Kommentier­ung einer Antimobilm­achungsdem­o in Jakutsk hatte er das Wort „Front“, benutzt: Urteilsbeg­ründung des Gerichts: Das Wort „Front“werde für Konflikte gebraucht, die man als „Krieg“bezeichne. Dabei widerspric­ht die umgangsspr­achliche Verwendung dieser Worte keinem russischen Gesetz, wie der Rechtsanwa­lt Wadim Kljugwant der BBC sagte. Entscheide­nd sei das innere Wesen einer Sache, nicht ihre formale Bezeichnun­g. „Wenn etwas wie eine Ente aussieht, schwimmt und quakt, dann ist es wahrschein­lich auch eine Ente.“

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FOTO: IMAGO/ALEXEI BABUSHKIN Der russische Präsident Wladimir Putin befiehlt seinem Volk seit der „Spezialope­ration“in der Ukraine, nicht mehr das Wort „Krieg“in einem negativen Zusammenha­ng zu benutzen.

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