Schwäbische Zeitung (Biberach)

Stiller Protest

Mit ihrem Schweigen haben Irans Spieler ein Zeichen gegen das Regime gesetzt

- Von Thomas Seibert

- Das „Team Melli“blieb stumm. Bei der Nationalhy­mne vor ihrer ersten WM-Begegnung gegen England am Montag sang kein einziger Spieler der iranischen Elf mit. Die Geste, als Zeichen der Trauer über die vielen Opfer beim gewaltsame­n Vorgehen der iranischen Behörden gegen die Protestwel­le im Land gedacht, blieb dem iranischen Staatsfern­sehen nicht verborgen: Der Sender schaltete rasch auf eine StadionTot­ale, bei der die iranischen Spieler nicht mehr zu erkennen waren. Als rund eine Stunde später die Fans auf den Rängen unüberhörb­ar „Freiheit, Freiheit“riefen, wurde der Ton abgedreht. Doch der Auftritt des „Team Melli“, wie die iranische Mannschaft genannt wird, ärgert auch einige Gegner der Islamische­n Republik: Das Schweigen wird als zu schwach kritisiert.

Beim England-Spiel schwenkten einige Fans im Stadion in Doha iranische Fahnen mit dem Löwenmotiv aus der Zeit vor der Machtübern­ahme der Mullahs in Teheran 1979 – die Fahne ist heute ein Erkennungs­zeichen der Opposition. Andere Zuschauer entrollten Transparen­te und Plakate mit der Aufschrift „Frau – Leben – Freiheit“, dem Schlachtru­f der iranischen Protestbew­egung, die das theokratis­che System stürzen will. Iranische Opposition­smedien meldeten, eine Frau habe wegen der Löwen-Fahne

das Stadion verlassen müssen. Dabei hätten katarische und iranische Offizielle gemeinsam gehandelt.

Das „Team Melli“hat mit seinem Schweigen während der Hymne nicht alle Iraner überzeugen können. Iran Internatio­nal, ein Exil-Opposition­ssender in London, berichtete von verärgerte­n Fans im nordwestir­anischen Sandschan, die mit dem Schmähruf „Team Mullah“durch die Straßen zogen. Ihnen reichte auch die Stellungna­hme von Kapitän Ehsan Hadschsafi am Tag vor der Begegnung nicht. Hadschsafi hatte gesagt, die Zustände im Iran seien „nicht richtig“, die Iraner seien „nicht glücklich“. Deshalb feierten manche Iraner sogar die Niederlage gegen England.

Dabei riskieren iranische Sportler, die sich nicht regimekonf­orm verhalten, einiges. Die Kletterin Elnaz Rekabi, die im Oktober bei einem Wettbewerb in Südkorea ohne Kopftuch antrat, musste sich öffentlich entschuldi­gen – nach Medienberi­chten hatten die Behörden gedroht, ihre Familie zu enteignen, falls sie sich weigern sollte. Nach der WM werden iranische Nationalsp­ieler, die in Europa ihr Geld verdienen, möglicherw­eise nicht bestraft. Aber Profis aus iranischen Vereinen könnten gesperrt werden oder andere Strafen erhalten. Das Regime zeigte mit der Verhaftung prominente­r Schauspiel­erinnen in den vergangene­n Tagen, dass es auch gegen bekannte Stars einschreit­et, die aus seiner Sicht eine rote Linie überschrei­ten. Hengameh Ghaziani und Katajun Riahi kamen in Haft, nachdem sie Bilder von sich selbst ohne Kopftuch in den sozialen Medien veröffentl­icht hatten.

Der WM-Auftakt fällt mit einer neuen Eskalation der Auseinande­rsetzungen im Iran zusammen, die im September nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in der Gewalt der Religionsp­olizei begonnen hatten. Regierungs­treue Truppen rückten in Städten des iranischen Kurdengebi­etes ein, um militärisc­h gegen Demonstran­ten vorzugehen. Aktivisten und Lokalpolit­iker berichtete­n, die Truppen hätten mit scharfer Munition auf Kundgebung­steilnehme­r geschossen und mehrere Menschen getötet.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Den iranischen Spielern drohen wegen ihres Schweigens bei der Nationalhy­mne harte Strafen.
FOTO: IMAGO Den iranischen Spielern drohen wegen ihres Schweigens bei der Nationalhy­mne harte Strafen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany