Schwäbische Zeitung (Biberach)
Von der Klagemauer in den Weinkeller
Dass diese Glosse in unserer Leserschaft als eine Art Klagemauer gesehen wird, ist nicht verwunderlich – schließlich bitten wir hier auch immer um Anregungen zu sprachlichen Problemen. So kommen jetzt kurz vor der Adventszeit schon wieder genervt klingende Anfragen, warum in der Zeitung immer wieder Weihnachtsgrippe steht, obwohl doch Krippe gemeint ist. Da gibt es nur eine Antwort, in Abwandlung eines Goethe-Zitats: Es irrt der Mensch, solang’ er schreibt. Solche Fehler rutschen – wie jetzt wieder – in der Regel wider besseres Wissen ins Blatt, was angesichts des großen Zeitdrucks, unter dem solche Artikel oft genug in den Computer gehämmert werden, auch etwas Nachsicht verdient.
Aber es sei hier noch einmal festgehalten: Die ehrwürdige Krippe für das kleine Jesulein im Stall von Bethlehem hat natürlich mit jener lästigen Attacke auf unseren Atmungsapparat namens Grippe rein gar nichts zu tun. Und die Kinderkrippe übrigens auch nicht. Erst vor wenigen Tagen war in einem Artikel der „schwäbischen Zeitung“über die Einweihung einer neuen Kindertagesstätte wieder einmal von einer Kindergrippe die Rede … Anscheinend unausrottbar! Nun ist Krippe/Grippe nur eine von vielen Paarungen, mit denen manche Zeitgenossen orthografisch auf Kriegsfuß stehen: Verließ/Verlies, Geisel/Geißel, bekleiden/begleiten, Komma/Koma, Stil/Stiel, Laib/Leib … Und auch Grad/Grat gehört dazu. So fiel dieser Tage beim Stöbern in Artikeln der „Schwäbischen Zeitung“vom August zur umstrittenen Entscheidung
des Ravensburger Verlags, die Bücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“aus dem Programm zu nehmen, der Blick auf eine diesbezügliche Fehlleistung: „Diese Bücher winselnd einzustampfen ist jämmerlich und zeigt die Rückgradlosigkeit der Unternehmungsleitung“, stand da. Scharf formuliert – und falsch dazu. Aber dies ist kein Einzelfall. Wer sich im Internet umschaut, findet unzählige Texte, in denen Schreiber und Schreiberinnen den Grat fälschlicherweise zum Grad mutieren lassen. Rechtschreibung ist eben stets ein Wandeln auf schmalem Grat.
Aber apropos Schreiber und Schreiberinnen: Das Thema Gendersprache ist viel zu komplex, um ihm an dieser Stelle nur annähernd gerecht werden zu können. Dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung pointiertes Gendern, also Formulierungen wie Schreiber*innen, ablehnt und vor allem auch die Mehrheit der Frauen ihm nichts abgewinnen kann, spricht allerdings Bände. Beim Ausformulieren der beiden Formen wie im Fall Schreiber und Schreiberinnen fällt das Urteil nicht ganz so hart aus.
Welche Probleme jedoch auch hier entstehen können, zeigt wiederum ein Beispiel aus der „Schwäbischen Zeitung“. Vor drei Wochen wurde hier berichtet, die neue Weinkönigin Katrin Lang wolle „Winzerinnen und Winzer stärker vernetzen“. Hätte sie – analog zu Beamtenschaft, Lehrerschaft, Pfarrerschaft etc. – von der Winzerschaft geredet, wäre alles klar gewesen. So aber ist das Missverständnis denkbar, dass sie Winzerinnen einerseits und Winzer andererseits stärker miteinander vernetzen will – was auch immer das heißen mag. Wird dann der Weinkeller zum Eheanbahnungsinstitut? Eine Passage im Hohelied des Alten Testaments (2,4) liefert eine mögliche Antwort: „Er führt mich in den Weinkeller, und die Liebe ist sein Banner über mir.“
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion,
Karlstraße 16, 88212 Ravensburg ●»