Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wohin mit den deutschen Patriots?
Debatte um Flugabwehrsysteme aus Bundeswehrbeständen – Polen will sie nicht, Ukraine soll sie nicht erhalten
- Polen hat es vorgeschlagen, die Ukraine will es ohnehin und inzwischen ist es auch für den NatoGeneralsekretär nicht mehr undenkbar: die Lieferung von deutschen Patriot-Flugabwehrsystemen an die Ukraine. Ausdrücklich warb Jens Stoltenberg beim Außenministertreffen in Bukarest für die Lieferung zusätzlicher Flugabwehrsysteme an das Land im Krieg gegen Russland. Die konkrete Entscheidung hält er für eine nationale Angelegenheit. Damit liegt der Ball nun wieder in
Berlin. Die Sache ist allerdings nicht nur militärisch, sondern auch diplomatisch höchst brisant.
Seinen Anfang hatte die Angelegenheit Mitte November nach dem tödlichen Raketeneinschlag in Polen genommen. Umgehend bot Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) Warschau die Lieferung von Patriots der Bundeswehr an. „Zusammen mit meinem polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak bin ich übereingekommen, PatriotFlugabwehrsysteme nach Polen zu schicken“, verkündete Lambrecht wenige Tage später. Doch kurz darauf schlug Warschau öffentlich und ohne Vorwarnung vor, die Patriots statt nach Polen in die bedrängte Ukraine zu liefern. In Berlin reagierte man höchst irritiert. Vermutet wird hinter vorgehaltener Hand unter anderem, dass Polens nationalkonservative Regierung sich ihren geplanten antideutschen Wahlkampf im nächsten Jahr nicht verderben lassen will.
Lambrecht sprach in der „FAZ“von einer „völlig überraschenden Wende“und einer „sehr lebendigen Debatte“in Polen. Zugleich bekräftigte sie: „Wir halten unser Angebot aufrecht.“Von einer Lieferung an die Ukraine hält man in Berlin dagegen wenig. Der SPD-Verteidigungsexperte Johannes Arlt weist darauf hin, dass die Entsendung des Materials ohne deutsches Personal schwierig sei. Dann müssten die Ukrainer zunächst geschult werden. Außerdem unterlägen die von den USA hergestellten Systeme einem Geheimschutz. Eine Entsendung der Patriots zusammen mit Bundeswehrfachleuten aber wäre das „Überschreiten unserer eigenen roten Linie“: die Entsendung von Soldaten ins Kriegsgebiet nämlich.
Schon die angebotene Abgabe der Flugabwehrsysteme an Polen ist nicht völlig unproblematisch: Von früher einmal knapp 40 Patriots sind in der Bundeswehr nur noch zwölf vorhanden. Zwei Systeme sind für die Ausbildung reserviert, zwei weitere derzeit in der Slowakei stationiert. Für den Betrieb einer Staffel, die unter anderem aus Feuerleitstelle, Radar, Startgerät und Stromversorgung besteht, sind rund 90 Soldatinnen und Soldaten nötig. Nicht mal im zuständigen Bundeswehrverband sind nach Angaben von Arlt derzeit alle Dienstposten besetzt. „Es ist wirklich knirsch“, sagt er. Dennoch sei das Angebot an Polen nicht nur eine „sehr gute solidarische Geste“, sondern auch militärisch sinnvoll. Die Verteidigung des Nato-Bündnisses in Polen liege „in deutschem Interesse“.