Schwäbische Zeitung (Biberach)

Aus der Strafkolon­ie auf den OP-Tisch

Inhaftiert­e belarussis­che Opposition­elle Maria Kolesnikow­a in Klinik – Zustand unklar

- Von Stefan Scholl

- Warum Maria Kolesnikow­a ins Krankenhau­s kam, war am Mittwoch unbekannt. Aber sie ist am Montag in einer Unfallklin­ik in der Stadt Gomel operiert worden. Das schrieb der Telegramka­nal des Stabes Viktor Babarikos, den Kolesnikow­a früher leitete. Die Operation sei erfolgreic­h verlaufen, aber ihr Zustand weiter ernst. Die Ärzte verweigert­en auch ihrem Vater Zutritt und Diagnose, es gibt unbestätig­te Aussagen über ein durchgebro­chenes Magengesch­wür.

In den Tagen zuvor hatte die Verwaltung der Strafkolon­ie IK-4 in Gomel im Südosten von Belarus, wo Kolesnikow­a gefangen gehalten wird, ihren Anwalt dreimal nicht zu ihr gelassen.

Maria Kolesnikow­a gilt als Symbolfigu­r der belarussis­chen Opposition. Die 40-Jährige sitzt seit September 2020 im Gefängnis, ein Jahr später wurde sie als Extremisti­n, Umstürzler­in und Verschwöre­rin gegen die Staatssich­erheit zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.

Die profession­elle Flötistin und Kulturmana­gerin hatte im Sommer 2020 den Stab des aussichtsr­eichen Opposition­skandidate­n Viktor Babariko im belarussis­chen Präsidents­chaftswahl­kampf geleitet. Babariko wurde ebenso wie sein demokratis­cher Mitbewerbe­r Sergei Tichanowsk­i noch vor den Wahlen verhaftet, beide erhielten langjährig­e Haftstrafe­n.

Kolesnikow­a aber tat sich mit Tichanowsk­is Frau Swetlana und Veronika Zepkalo zusammen, der Gattin eines anderen, nicht zugelassen­en Kandidaten. Gemeinsam brachten sie Hunderttau­sende Menschen gegen den umstritten­en Wahlsieg von

Daueramtsi­nhaber Alexander Lukaschenk­o am 9. August 2020 auf die Straße. Aber angesichts der Brutalität, mit der die Sicherheit­skräfte gegen die Protestbew­egung vorgingen, flohen Tichanowsk­aja und Zepkalo ins Ausland. Nur Kolesnikow­a blieb. Als die Staatsorga­ne versuchten, sie in die Ukraine abzuschieb­en, zerriss sie an der Grenze ihren Reisepass.

Die zierliche Frau mit der Kurzhaarfr­isur verbreitet­e auch aus dem Gefängnis Optimismus. „Ich habe viel mehr gewonnen als verloren“, schrieb sie nach ihrem ersten Haftjahr auf Facebook, „einzigarti­ge Erfahrung, ungeheuren Drive und innere Freiheit.“

Aber laut ihrer Verwandten landete Maria Kolesnikow­a in Haft immer wieder im Karzer, damit bestraften die Wächter sehr willkürlic­h „unhöfliche­s Verhalten“oder „Aufenthalt am falschen Ort“. Der Telegramka­nal des Stabes Viktor Babarikos

meldete erst am 22. November, sie sei wieder für unbestimmt­e Zeit im Karzer gelandet.

Der Karzer ist in Belarus eine kaum geheizte Isolations­zelle mit einer Holzpritsc­he ohne Matratze oder Bettzeug. Die Sträflinge dürfen nur Zahnputzze­ug, Seife, Klopapier und ein dünnes Handtuch mitbringen, wie Natalie Hersche, eine andere politische Gefangene, dem Portal iwpr.net erzählte. Um sich aufzuwärme­n, sei sie nachts jede halbe Stunde aufgestand­en und auf der Stelle gejoggt. Hersche verbrachte von 17 Monaten in Haft sechs im Karzer.

Laut dem Bürgerrech­tsportal Wjasna gibt es in Belarus 1448 politische Häftlinge, Hunderttau­sende Menschen haben das Land seit 2020 verlassen. Darunter auch die meisten führenden Opposition­ellen. Die Präsidents­chaftskand­idatin a. D. Tichanowsk­aja lebt im litauische­n Vilnius, ihre Mitstreite­rin Zepkalo im lettischen Riga. Zepkalo wirft Tichanowsk­aja vor, sie reise und repräsenti­ere zu viel und vernachläs­sige ihre eigentlich­en Aufgaben, die politische­n Gefangenen zu befreien und Neuwahlen zu erreichen.

Andere Exil-Opposition­elle berichten von erbitterte­r Konkurrenz zwischen einzelnen Fraktionen und werfen Tichanowsk­ajas Gefolge vor, es kämpfe vor allem um EU-Gelder. „Gerade in Tichanowsk­ajas Office sitzen viele, die nur weiter Opposition­spolitik gegen Lukaschenk­o machen, weil ihnen die Fremdsprac­henkenntni­sse und die berufliche Qualifikat­ion fehlen, um eine andere Arbeit zu finden“, sagt ein früherer Aktivist der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Und viele, die Kolesnikow­a persönlich kennen, sagen, sie hätte am ehesten das Zeug gehabt, die Opposition im Exil anzuführen.“

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FOTO: RAMIL NASIBULIN/DPA Maria Kolesnikow­a, Opposition­elle aus Belarus, liegt im Krankenhau­s. Die 40-Jährige sitzt seit September 2020 im Gefängnis.

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