Schwäbische Zeitung (Biberach)
Warum die Rettung des Klimas unter der Erde liegen könnte
Technisch ist es möglich, Kohlendioxid „einzufangen“und zu speichern – Leere Öllagerstätten in der Nordsee sind im Gespräch
- Wenn man so will, nahm das Problem unter anderem hier seinen Anfang. In Backsteinhallen im Norden Berlins wurden einst die Lokomotiven von August Borsig zusammengenietet, die anschließend den Fortschritt quer durch Europa transportierten – und zugleich das Weltklima mit Kohlendioxid (CO2) anreicherten. Jetzt soll von hier aus auch die Lösung des Klimaproblems ausgehen, zumindest ein Teil davon. In der Fertigungshalle der Firma MAN Energy Solutions werden tonnenschwere Hochleistungskompressoren gebaut, gigantische Maschinen, mit deren Hilfe das klimaschädliche CO2 verdichtet wird.
Die Turbinen ermöglichen sogenanntes CCS (Carbon Capture and Storage), indem sie das CO2 transportfähig und speicherbar machen. Ohne den breiten Einsatz von CCS seien die Klimaziele nicht zu erreichen, zitiert MAN-Chef Uwe Lauber den Weltklimarat. Zu Besuch sind die CDU-Politiker Jens Spahn und Andreas Jung, die das Thema aus der Opposition antreiben wollen. Manche Emissionen lassen sich nicht vermeiden, etwa in der Zement- oder Betonherstellung, so Jung. „Wer sich der Diskussion über diese Technologien verschließt, stellt unseren Industriestandort infrage.“
Doch obwohl deutsche Unternehmen auf diesem Gebiet Weltmarktführer sind, wird hierzulande auf CCS verzichtet, auch wegen des Widerstands von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden, die eine Verunreinigung des Grundwassers fürchten. Laut Experten sind diese Ängste jedoch unbegründet. Dies zeige nicht nur die jahrzehntelange Erfahrung der Norweger in diesem Bereich, sagt später am Nachmittag Susanne Buiter, Leiterin des Deutschen Helmholtz-Geoforschungszentrums in Potsdam (GFZ) – die Union hat inzwischen in den Bundestag eingeladen. Auch im brandenburgischen Ketzin lieferte ein Pilotprojekt positive Ergebnisse, so Buiter.
Dort hat ihr Institut zwischen 2008 und 2013 insgesamt 67.000 Tonnen CO2 in 650 Meter Tiefe eingebracht und die Folgen beobachtet.
Selbst im tiefen Erdreich, direkt oberhalb der Speicherstelle, sei kein CO2 entwichen. „Das Beispiel Ketzin hat gezeigt, dass CO2-Speicherung im norddeutschen Becken möglich und sicher ist und zuverlässig durchgeführt werden kann“, sagt Buiter.
Die Speicherung finde zudem weit weg vom Grundwasser statt, das sich in zehn bis 150 Metern Tiefe befinde.
Nicht nur in der Opposition, auch in der Regierung kommt nun Bewegung in die Debatte. So soll noch in diesem Jahr das CO2-Speichergesetz
evaluiert werden, im kommenden Jahr laut Koalitionsvertrag eine CO2Speicherstrategie entworfen werden. Vergangene Woche haben sich laut „Spiegel“bereits Gesandte von Industrie und Denkfabriken im Kanzleramt getroffen und diskutiert,
wie CCS in Deutschland etabliert werden könnte. Angeblich bestehe Einigkeit darüber, dass nicht auf dem Festland gespeichert werden soll, sondern in leer geförderten Gas- und Öllagerstätten in der Nordsee, insbesondere in Norwegen.
Schon im August haben Deutschland und Norwegen eine Partnerschaft zur Speicherung von CO2 unter der Nordsee vereinbart. Der norwegische Ministerpräsident hatte sogar angeboten, das gesamte deutsche CO2 aufzunehmen. Anne-Mette Cheese, Chefgeologin des norwegischen CCS-Staatsunternehmens Gassnova, erläutert den Vorschlag: Ihr Land habe ausreichend Kapazitäten, um über 75 Jahre das gesamte CO2 Europas aufzunehmen. „Norwegen hat den Platz, wir nehmen es gerne.“
Auch auf Wirtschaftsebene gibt es erste Abkommen. Die Energiekonzerne Wintershall Dea und Equinor planen den Bau einer 900 Kilometer langen Pipeline, die CO2 aus Deutschland in die norwegische Nordsee transportieren soll. Sie soll „noch vor 2032“in Betrieb gehen und 20 bis 40 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr transportieren, was rund 20 Prozent der deutschen Industrieemissionen pro Jahr entspräche. Als Umschlagplatz ist die Rede von den gerade entstehenden Flüssiggasterminals an der norddeutschen Küste.
Sich nur auf Norwegen zu konzentrieren betrachtet FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler, der das Thema in Deutschland mit vorangetrieben hat, allerdings mit Skepsis. „Ob das CO2 am Ende vor allem unter der Nordsee oder in geeigneten Gebieten auf dem Festland gespeichert wird, ist vor allem eine wirtschaftliche Frage“, sagt er. Auch GFZ-Forscherin Buiter verweist auf den erhöhten Energiebedarf, den der Transport nach Norwegen bedeute. Nicht nur die Norweger würden sich mit Einspeicherung auskennen, auch Deutschland habe 60 Jahre Erfahrung mit der Erdgasspeicherung. „Das ist teilweise die gleiche Technologie“, so Buiter. Unter der deutschen Erde wäre Platz für die Emissionen von etwa zehn Jahren.
MAN-Chef Lauber, der angesichts der deutschen Debatten etwas resigniert klingt, würde es freuen, seine Turbinen auch in Deutschland zu sehen. Am Ende ist ihm allerdings egal, wohin er sie verkauft, in den USA oder Norwegen teile man die deutschen Bedenken nicht. „Wir werden unsere Technologie in die Länder bringen, die diese Technologie auch wollen.“