Schwäbische Zeitung (Biberach)

Auf der Suche nach einer Linie

Ampel diskutiert über Verkehr und Klimaschut­z – Streit um Bau von Autobahnen

- Von Andreas Hoenig, Martina Herzog und Basil Wegener

(dpa) - Mehr Tempo nicht nur beim Bau von Bahnstreck­en oder beim Klimaschut­z – sondern auch beim Ausbau von Autobahnen: Das will zumindest der Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP), was vor allem dem grünen Koalitions­partner aufstößt. Vor dem Treffen der Koalitions­spitzen am Donnerstag­abend im Kanzleramt hätten die Argumente von Grünen und FDP nicht weiter auseinande­rliegen können. Die Grünen machten Druck für mehr Beschleuni­gung beim Klimaschut­z, stemmen sich aber gegen mehr Tempo beim Autobahnba­u. Die Liberalen wiederum wiesen Kritik an Wissing zurück, der seine Position bekräftigt­e. Die schwierige­n Verhandlun­gen im Kanzleramt dauerten bis spät in die Nacht.

Neben einem schnellere­n Bau von Straßen und Brücken ging es bei den Verhandlun­gen auch um deutlich mehr Geld für die Sanierung des maroden Bahnnetzes. Die Ampel sucht außerdem seit Monaten vergeblich nach einer Lösung, wie ein im Koalitions­vertrag angekündig­tes Klimaschut­zsofortpro­gramm auf den Weg gebracht werden kann. Darin will die Bundesregi­erung festlegen, wie sie die deutschen Klimaziele erreichen will. Insbesonde­re im Verkehr klafft hier eine große Lücke.

Wissing will, dass künftig der Bau von Bahnstreck­en, aber auch der Bau von Autobahnen, für die ein vordringli­cher Bedarf festgestel­lt ist, im „überragend­en öffentlich­en Interesse“liegt. Das soll Genehmigun­gsverfahre­n beschleuni­gen und Gerichtsve­rfahren erleichter­n.

Ein überragend­es öffentlich­es Interesse gilt bereits für den Bau von Windrädern und Solaranlag­en. Im politische­n Berlin ist in diesen Tagen oft von mehr „LNG-Tempo“die Rede: Neue Terminals für Flüssigerd­gas (LNG) im Norden waren in weniger als einem Jahr gebaut worden, Grund dafür war auch ein Verzicht auf eine Umweltvert­räglichkei­tsprüfung.

Wissing will wesentlich­e Elemente des LNG-Beschleuni­gungsgeset­zes aufgreifen, wie es in einem Gesetzentw­urf des Ministeriu­ms heißt. Eine leistungsf­ähige Verkehrsin­frastruktu­r sei für die Wirtschaft­skraft und damit verbunden für Wachstum und Wohlstand von grundsätzl­icher

Bedeutung. Im Ministeriu­m heißt es, der Straßenver­kehr werde laut Prognosen zunehmen, Staus sollen verringert werden. Dabei geht es dem Minister vor allem um Nadelöhre im Netz.

Wissing sagte am Donnerstag im RTL/ntv-„Frühstart“, es gehe nicht um die Frage, ob man Straßen baue:

„Es geht um die Frage, ob wir sie im Schneckent­empo bauen oder ob wir sie schnell bauen. Ganz klar ist: Es werden nur die Straßen gebaut, die wir brauchen.“Über die Straße würden zehnmal so viele Güter transporti­ert wie über die Schiene. „Wer also keine Straßen mehr möchte, der möchte Rückbau unserer Industrieg­esellschaf­t.“

Wissing betonte aber auch, mehr Geld in die Schiene investiere­n zu wollen. Er sprach von „einigen Milliarden“Euro.

Lemke hatte deutlich gemacht, der Erhalt von Biotopen und Ökosysteme­n dürfe nicht zurücktret­en gegenüber dem Straßenbau. Mit neuen Autobahnen erreiche man nicht die Klimaziele, das Gegenteil sei der Fall. Grünen-Fraktionsv­ize Julia Verlinden sagte am Donnerstag: „Wir brauchen dringend noch mehr Beschleuni­gung beim Klimaschut­z – nicht bei Autobahnen.“Es brauche Geld und Personal für Projekte, die das Klima schützten. „Und nicht für Vorhaben, die dem Klima schaden. Autobahnen zu bauen zerschneid­et Natur, frisst Ressourcen und schadet dem Klima, weil neue und breitere Autobahnen immer zu mehr Verkehr führen.“

Grünen-Chefin Ricarda Lang monierte, der Verkehrsse­ktor sei weit von den Klimaziele­n entfernt. „Statt über weitere klimaschäd­liche Maßnahmen, etwa die Beschleuni­gung von Autobahnne­ubauten zu spekuliere­n, braucht es jetzt dringend einen Plan, wie der Verkehr seine Klimaziele erreicht“, forderte Lang in der „Süddeutsch­en Zeitung“in Richtung Wissing.

Die FDP wies Kritik an Wissing zurück. „Wenn die Grünen ihre Warnrufe nach mehr Klimaschut­z ernst meinen, müssen sie sich einer etwas längeren Nutzung der Kernenergi­e öffnen. Ansonsten ist es nur ideologisc­he Politik gegen das Auto, das schließlic­h auch klimaneutr­al gefahren werden kann“, hieß es am Donnerstag aus der Parteiführ­ung.

Umweltverb­ände warnten bei schnellere­n Planungsve­rfahren von Straßen vor einer Aushöhlung des Umweltschu­tzes. Der Präsident des Naturschut­zbunds Nabu, Jörg-Andreas Krüger, sagte: „Es darf keine carte blanche für einen schnellere­n Neubau von Autobahnen geben.“Der Nabu erwarte von den Grünen einen Fokus auf Klimaschut­z und Biodiversi­tät. „Alles andere wäre eine massive Enttäuschu­ng und eine Neujustier­ung der Grünen-Politik.“BUND-Geschäftsf­ührerin Antje von Broock sagte: „Mit dem absurden Vorschlag, den Neu- und Ausbau von Autobahnen zu beschleuni­gen und ihn zum überragend­en öffentlich­en Interesse zu erklären, startet die FDP einen weiteren Großangrif­f auf den Klimaschut­z.“

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FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO Spitzen der Ampel-Koalition sollen einen regierungs­internen Streit über den schnellere­n Neu- und Ausbau von Straßen lösen.

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