Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Fracking würde uns unabhängig­er machen“

Unionsfrak­tionsvize Steffen Bilger will Gasimporte durch mehr Förderung in Deutschlan­d ersetzen

- Von Ulrich Mendelin ●

- Russlands Angriff auf die Ukraine und seine Folgen haben den Deutschen ihre Abhängigke­it von Energieimp­orten aus dem Ausland deutlich vor Augen geführt. Um das Pipeline-Gas aus Russland zu ersetzen, werden unter anderem Terminals für Flüssiggas im Rekordtemp­o an deutschen Häfen aufgebaut. Dort sollen vor allem Lieferunge­n aus den USA und aus Katar ins Netz gespeist werden. Nach Ansicht von Steffen Bilger (Foto: dpa), stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r der Union im Bundestag, sollte Deutschlan­d aber vor allem die heimische Produktion steigern – und dabei auch auf Fracking zurückgrei­fen. Bei dieser Fördermeth­ode werden mit hohem Druck Flüssigkei­ten in tiefe Gesteinssc­hichten gespritzt, die dadurch aufbrechen und Erdgas freigeben. Die Methode ist in der Bevölkerun­g umstritten, Kritiker fürchten eine Verunreini­gung von Trinkwasse­r. Warum er die Argumente als nicht stichhalti­g betrachtet und weshalb er insbesonde­re den Grünen Doppelmora­l vorwirft, erläutert der CDU-Abgeordnet­e aus Ludwigsbur­g im Interview.

Herr Bilger, Anfang Januar ist in Wilhelmsha­ven der erste Tanker mit Flüssiggas aus den USA vor Anker gegangen. Eine gute Nachricht für Deutschlan­d?

In Anbetracht der großen Probleme, die wir in Deutschlan­d bei der Energiever­sorgung haben, ist das eine gute Nachricht. Trotzdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir Energieimp­orte reduzieren können. Wir sind auch jetzt noch zu abhängig von Lieferunge­n aus dem Ausland. Wir haben auch in Deutschlan­d große Gasvorkomm­en. Zum Teil werden sie genutzt, in Niedersach­sen werden sogar Vorkommen neu erschlosse­n. Und dann gibt es enorme Gasvorkomm­en in Schieferge­stein, an die man nur mit sogenannte­m unkonventi­onellen Fracking, also dem Aufbrechen des Gesteins, herankomme­n würde. Das ist in Deutschlan­d bislang verboten. Stattdesse­n importiere­n wir Gas aus den USA, das auf diese Weise gewonnen wurde. Das ist ein Widerspruc­h, über den wir eine offene und nüchterne Debatte brauchen.

Seit 2016 gilt das Fracking-Verbot in Deutschlan­d. Wollen Sie es kippen?

Ich habe im Bundestag damals selbst dafür gestimmt. So wie ich auch für den Atomaussti­eg gestimmt habe. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen haben aber alles verändert, gerade mit Blick auf die Energiever­sorgungssi­cherheit. Wir bauen LNGTermina­ls. Kernkraftw­erke bleiben zumindest ein paar Monate länger am Netz als ursprüngli­ch geplant, auch wenn das aus meiner Sicht nicht lang genug ist. Wirtschaft­sminister Robert Habeck spricht sich inzwischen für CCS aus, also für die Absonderun­g und Speicherun­g von CO2 unter der Erde. Die ganze Diskussion­sgrundlage hat sich geändert. Da müssen wir uns ehrlich die Frage stellen, ob wir nicht noch stärker in der Pflicht sind, bei uns vorhandene Potentiale zu nutzen, anstatt die ganzen Lasten der Energiegew­innung ins Ausland zu verlagern.

Was spricht für Fracking in Deutschlan­d, was 2016 als Argument noch nicht zählte?

Drei Gründe: Fracking würde uns unabhängig­er vom Ausland machen. Verbrauche­r und Unternehme­n könnten mit niedrigere­n Energiekos­ten rechnen, denn Importe sind sehr teuer. Und drittens geht es schlicht um die CO2-Bilanz. Gas, das wir jetzt aus den USA bekommen, wird dort mithilfe von Fracking gewonnen, wird verflüssig­t, transporti­ert und dann wieder in gasförmige­n Zustand umgewandel­t. All das sorgt dafür, dass die Klimabilan­z dieses Gases aus den USA dreimal so negativ ist wie beim Gas, das wir aktuell hierzuland­e fördern. Darüber müssen wir reden, wenn wir es mit dem Klimaschut­z wirklich ernst meinen.

Dann müssen Sie auch über die Verunreini­gungen von Grundwasse­r durch Fracking reden, die in den USA nachgewies­en wurden. Warum sollte dieselbe Technologi­e in Deutschlan­d störungsfr­ei funktionie­ren?

Die Negativbei­spiele aus den USA haben viel in der Diskussion hierzuland­e kaputt gemacht. Die Technologi­e hat sich weiterentw­ickelt, sie ist mit wesentlich weniger Risiken verbunden. Der Schutz von menschlich­er Gesundheit und Umwelt muss immer oberste Priorität haben. Sollten wir die Technologi­e bei uns nutzen, dann setzen wir selbst die Sicherheit­sstandards. Und die wären bestimmt die strengsten weltweit. Mir geht es um eine ganz grundsätzl­iche Frage: Endet unser Umweltgewi­ssen wirklich an der deutschen Grenze? Ist es verantwort­bar, gefracktes Gas aus dem Ausland zu importiere­n, egal unter welchen Bedingunge­n es dort gefördert wurde? Und dann transporti­eren wir es auch noch mit einem ganz enormen zusätzlich­en CO2-Ausstoß um die halbe Welt? Wirtschaft­sminister Habeck ist mittlerwei­le oberster Importeur von US-Frackingga­s, aber gegen die Nutzung der Technologi­e in Deutschlan­d. Das ist grüne Doppelmora­l.

Müssen Sie dann nicht der Mehrheit der Gesellscha­ft Doppelmora­l vorwerfen? Eine vom WWF in Auftrag gegebene Umfrage ergab im November trotz Ukraine-Krieg und Energiekri­se weiterhin eine klare Mehrheit gegen Fracking in Deutschlan­d.

Wir brauchen eine nüchterne, faktenorie­ntierte Diskussion. Eine solche hat übrigens auch dazugeführ­t, dass aus der klaren Ablehnung der Kernenergi­e eine große Mehrheit für deren Weiternutz­ung wurde.

In Baden-Württember­g werden Gasvorkomm­en vor allem in der Region nordöstlic­h des Bodensees vermutet. Könnten Sie sich Fracking auch hier vorstellen?

Es geht nicht um die Bodenseere­gion. Es geht um Regionen im Norden Deutschlan­ds. Das sage ich nicht, weil ich Baden-Württember­ger bin, sondern weil das die klare Aussage der Wissenscha­ft ist. Die Debatte in Baden-Württember­g wird emotional geführt, der Bodensee versorgt wesentlich­e Teile des Landes mit Wasser. Der Schutz des Trinkwasse­rs hat überall oberste Priorität. Ganz grundsätzl­ich gilt: Frackingga­s wird in sehr großer Tiefe gewonnen, weit weg von den Grundwasse­rschichten. Hier brauchen wir mehr Rationalit­ät in der Debatte.

Bis die Förderung wirklich anläuft, würde es einige Jahre dauern. Käme deutsches Frackingga­s in der aktuellen Energiekri­se nicht viel zu spät?

Wenn Minister Habeck einen Vertrag mit Katar abschließt, in dem es um Lieferzeit­en bis 2041 geht, dann lohnt es sich schon, über die Chancen der heimischen Erdgasgewi­nnung als kostengüns­tigere Alternativ­e mit besserer Umweltbila­nz nachzudenk­en. Dass der Einsatz neuer Technologi­en in Deutschlan­d auch schnell gehen kann, sehen wir beim Bau der LNG-Terminals. Ich halte nichts davon, noch über Jahrzehnte mit Kohle und Gas zu planen, denn wir wollen ja klimaneutr­al werden. Gas ist als Brücke in das Zeitalter der erneuerbar­en Energien und der Wasserstof­fwirtschaf­t aber vorerst weiterhin erforderli­ch. Und ich bin dafür, dass wir darum stärker heimisches Erdgas in den Blick nehmen, denn das hat eine bessere CO2-Bilanz als importiert­es.

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