Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der ewige Sommer
Die Kapverdischen Inseln locken mit Sonne, Sand und Meer – Und einer beneidenswerten Kultur ihrer Bewohner
Wenn Adriano allmorgendlich vom Pier in Santa Maria auf der Insel Sal ablegt, begibt er sich auch auf eine Reise in die Vergangenheit. „Mein Großvater und mein Vater waren schon Fischer, und ich werde es auch bleiben“, betont der 40-Jährige, während er sein kleines Boot mit dem Außenbordmotor aufs offene Meer steuert. Dorthin, wo es Thunfische, Meerbarben, Bonitos, Barrakudas und Papageienfische gibt, die er noch genauso fängt wie seine Vorfahren: mit einer Angelschnur, aufgewickelt um ein schlichtes Holzstück – also ohne Rute, Rolle oder Netz. „Gestern haben drei Thunfische angebissen, ein Glückstag“, berichtet Adriano, dessen Methoden zwar archaisch anmuten, aber nicht sein Geschäftssinn dahinter. „Meinen Fang verkaufe ich vor allem an die Hotels und Restaurants“, sagt er. „Der Tourismus hier ist gut für uns alle.“
Der Fischer verkörpert damit die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft der Kapverden. Deren touristisches Potenzial zwar entdeckt ist, aber noch lange nicht ausgeschöpft. Denn nur sechs Flugstunden entfernt, ist die Inselgruppe im Atlantischen Ozean das nächstgelegene tropische Reiseziel, ein vulkanisches Archipel vor der Küste Senegals. Bestimmt vom Äquatorialklima, mit Temperaturen über das Jahr zwischen 20 und 33 Grad. Eine vielseitige Inselgruppe, die neun bewohnte Inseln umfasst, im Nordwesten mit Gebirgshängen und grünen Tropentälern, im Osten dagegen karg, flach und trocken, darunter Sal.
Die touristisch am besten erschlossene Insel erinnert schon beim Anflug an Wüste und Mondlandschaft. Umgeben allerdings von kilometerlangem feinstem Sandstrand, der beim Flanieren am türkisblauen Meer den Füßen schmeichelt. Genauso angenehm wie der Passatwind, der von November bis Juni weht, der auch hohe Temperaturen abdimmt und die Insel zum Paradies für Surfer macht.
Sonne, Sand und Meer – selten fällt dieser Dreiklang so kompromisslos aus wie auf Sal. Mit 350 Sonnentagen im Jahr wird der ewige Sommer hier zur Wirklichkeit. Die Erfüllung dieser Sehnsucht lockt Reiseveranstalter und Hotelketten an. Die Bautätigkeit ist rege, die schon bestehenden Anlagen sind meist noch relativ neu, die größte im Norden der Insel zählt 1000 Betten. Umberto Lélis, Präsident des Ministeriums für Tourismus, versichert der Expansion zum Trotz: „Wir setzen große Hoffnungen auf einen nachhaltigen Qualitätstourismus“, sagt er. „Und wir achten darauf, dass diese touristische Entwicklung auf
keinen Fall auf Kosten der Einheimischen geht.“
Bisher scheint diese Gratwanderung, die Aufschwung und Fremdenverkehr stets mit sich bringen, aufzugehen. Auch die großen Hotelkomplexe schmiegen sich flach und eher unauffällig in die Dünenlandschaft, von ausufernder Partyatmosphäre ist nur wenig zu spüren. Viele Urlauber werden ohnehin ihre All-Inclusive-Anlagen kaum verlassen, womit
ihnen allerdings etwas entgeht. Denn neben Strand- und Wasservergnügen machen vor allem die Einheimischen den Besuch zu einem Erlebnis, sind die Kapverdianer doch von einer Zuwendung zum Leben beseelt, die einen berühren und begeistern kann. „Morabeza“, so nennen sie diese warme Mischung aus Gastfreundschaft und Geselligkeit, deren Herzstück die Musik ist. Am Abend dringen aus den hübschen Cafés und Bars
in Santa Maria Klänge, die an den portugiesischen Fado erinnern, bereichert um afrikanische Einflüsse. Mit Gitarren und Geigen, mit Melodien und Gesängen der Melancholie und Sehnsucht, der Leidenschaft und Freude. Viele Restaurants präsentieren Live-Musik, serviert wird Fisch in allen Variationen, auch Fleischgerichte kommen auf den Teller. Das Nationalgericht ist Cachupa, ein kreolischer Eintopf aus Mais, Bohnen und Speck, auch mit Würstchen oder Spiegelei. Ihre Wurzeln hat diese reichhaltige Inselkultur in einer bewegten Geschichte.
Bei Ankunft der Portugiesen Mitte des 15. Jahrhunderts waren die Kapverden unbewohnt und wurden ab 1500 zu einem Handelsplatz für Sklaven aus Westafrika. Manche blieben vor Ort und wurden für den Abbau von Salz (Sal = Salz) ausgebeutet. Ihre Identität entwickelten die Inseln somit aus der ersten Generation der Kreolen, der Kinder weißer Händler und schwarzer Sklaven. Im 18. Jahrhundert erlebten die Kapverden durch Dürre und Hungersnöte schlimme Zeiten. Seit der Unabhängigkeit 1973 zählt die Republik jedoch zu den politisch stabilsten Ländern Afrikas und zu den wohlhabendsten, nicht zuletzt dank des Tourismus.
Das weiß auch Fischer Adriano, dessen Frau in einem Hotel arbeitet, während er seinen Vorfahren nacheifert. Anbeißen wollen die Fische an diesem Morgen aber nicht so recht, die Fahrt ist trotzdem ein Erlebnis. In der Ferne springen Delphine in die Luft, ein anderes Mal ragt aus den Wellen eine Haifischflosse. „Der jagt Thunfische“, erklärt Adriano, „ungefährlich“, die Küstennähe meiden die Räuber ohnehin. Dann zieht die Schnur doch noch an. Mühsam auf das Holzstück aufgewickelt, hängen schließlich zwei Rote Zackenbarsche an den Haken. Ein schöner Fang, wie der Fischer versichert, „die schmecken sehr gut“. Zurück in Santa Maria, wartet schon sein gelockter Sohn, wie jeden Tag ist der Zehnjährige direkt von der Schulbank ans Pier geeilt. Nun springt er ins Boot und fährt mit dem Vater raus aufs Meer. Sein Berufswunsch steht schon lange fest.
Edelweiss Air fliegt von Januar bis Juni sowie Oktober bis Dezember von Zürich aus zwei- bis dreimal pro Woche auf die Inseln Sal und Boa Vista. Weitere Informationen: