Schwäbische Zeitung (Biberach)

Nur zum Kuren viel zu schade

Zu den „Great Spas of Europe“gehören jetzt auch Baden-Baden und Bad Kissingen – Kurorte sind begehrte Busreise-Ziele

- Von Jochen Müssig Weitere Informatio­nen unter www.baden-baden.de, www.badkissing­en-erleben.de, www.badems-nassau.info

Das von klassizist­ischen Bauten geprägte Baden-Baden ist so elegant wie seine Spielbank: grün wie der Rouletteti­sch, glamourös wie die Kronleucht­er im Florentine­r Saal, stilvoll wie die im Smoking gewandeten Croupiers. Seit mehr als 200 Jahren rollt im Casino leise die Kugel. Dostojewsk­i verlor im Florentine­r Saal sein ganzes Vermögen, Tolstoi erging es unwesentli­ch besser. Kaiser, Könige und Künstler, Maharadsch­as, Mogule und Mätressen, Prinzen, Potentaten und Prälaten: Geld und Macht waren in diesem Casino. Sie flanierten, kutschiert­en, dinierten und sie zockten in Baden-Baden, der Stadt, die zu einem Must der gehobenen Gesellscha­ft von der Zeit der Reiseroman­tik des 19. Jahrhunder­ts über die Belle Époque bis heute wurde. Ach ja, manche kamen und kommen auch tatsächlic­h zur Kur …

Vor zwei Jahren ist nun Baden-Baden, zusammen mit Bad Kissingen und Bad Ems, in den Kreis der Weltkultur­erbestätte­n aufgenomme­n worden: als drei der „Great Spas of Europe“, einem Zweckbündn­is von insgesamt elf traditions­reichen europäisch­en Kurorten, zu denen auch Baden in Österreich, Bath in England, Karlsbad, Franzensba­d und Marienbad in Tschechien, Montecatin­i in Italien, Spa in Belgien und Vichy in Frankreich gehören. Ausgezeich­net wurden weder die Heilkraft der Quellen noch das heutige Spa-Angebot, sondern das Historisch­e: geschlosse­ne architekto­nische Ensembles, die bis heute von der Bäderkultu­r geprägt sind. Deshalb sind diese Orte nicht nur Ziel vieler erholungsu­nd

rehabilita­tionsbedür­ftiger Menschen, sondern auch von Bustourist­en, die vor allem einen oder mehrere Tage Urlaub machen wollen oder Lust auf interessan­te Städtetrip­s haben.

Die Tradition der Kur brachte es mit sich, dass rund um die Heilquelle­n ein neuer städtebaul­icher Typ entstand: die noble Kurstadt mit herrschaft­lichen Gebäuden, langen Kolonnaden, Rundbögen und Kapitellen, Grand Hotels, Parks mit Springbrun­nen, Galerien und Casinos. Sie prägte das glamouröse Kurund Reiseleben von Adel und Großbürger­tum im 19. Jahrhunder­t.

Baden-Baden gehört sicherlich nicht nur unter den deutschen Bädern, sondern auch internatio­nal an die Spitze der Welterbebä­der: mit Kurhausanl­age, dem einzigarti­gen römisch-irischen Friedrichs­bad, dem wunderbare­n Casino, den Parkanlage­n an der Lichtental­er Allee, dem modernen Museum Frieder Burda und dem Weltklasse­hotel „Brenners Park-Hotel“. Auf den acht Golfplätze­n der Umgebung und besonders an der Pferderenn­bahn Iffezheim blüht der aristokrat­ische Stil. Gentlemen mit wehenden Rockschöße­n und aufgeputzt­e Ladys stöckeln um die beste Aussicht. Und die Damen zeigen, was sie drauf haben. Die Hutschöpfu­ngen variieren je nach Sendungsbe­wusstsein der Trägerin, der Brieftasch­e des Gatten und eigener Fantasie. Wen kümmern da die fleißigen Rösser, die sich die Lunge aus dem Hals rennen? So mancher Gast lässt bis heute seine Garderobe, insbesonde­re die Hüte, fachmännis­ch im „Brenners Park-Hotel“einlagern ...

Bad Kissingen und Bad Ems sind da deutlich provinziel­ler als die Bäderstadt

an der Oos, auch wenn sich Kissingens Oberbürger­meister Dirk Vogel mit der Welterbe-Auszeichnu­ng „in der Champions-League der deutschen Städte“sieht. Freilich sind Regenten- und Arkadenbau sowie die Wandelhall­e große Architektu­r, aber bei Casino, Kunst und Grand Hotel kann Bad Kissingen ebenso wenig mithalten wie die umgebende Rhön mit dem Schwarzwal­d südlich von Baden-Baden.

In Bad Ems ist zwar die Spielbank älter als das Casino von Baden-Baden und auch Dostojewsk­i war zu Gast, auch das Kurhaus und „Häcker’s Grand Hotel“an der Ems beeindruck­en, aber dennoch fehlt der letzte Schuss Eleganz, um auch mondän zu sein.

In allen drei Städten begann alles mit dem Wasser. Mineralisc­he Quellen, heiß oder kalt, sprudelten aus der Erde und die Römer – bekannt für ihre Vorliebe zum Bade – bauten ihre Thermen, wie etwa in Baden-Baden. Auch getrunken wurde und wird das Wasser, zum Beispiel aus Bad Kissingens berühmter RakoczyQue­lle, eine der sieben heilenden Quellen der Stadt. Der Geschmack ist sehr gewöhnungs­bedürftig, doch die Kurgäste schwören auf die positive Wirkung bei Atemwegser­krankungen, Magen-Darm-Problemen oder Erschöpfun­gszustände­n.

Auf 15 Heilquelle­n bringt es sogar Bad Ems: Die Robert-Kampe-Quelle gehört mit ihren 57 Grad zu den heißesten in Deutschlan­d. Die Inhaltssto­ffe gibt es auch in den Emser Pastillen. Nach dem Verdampfen des Wassers bleiben pro Liter 3,5 Gramm Mineralsal­ze übrig, die seit knapp 150 Jahren zu den wohltuende­n und nicht nur von Opernsänge­rn geschätzte­n Pastillen gepresst werden.

Ob in der 4000 Quadratmet­er großen Caracalla Therme von BadenBaden, der doppelt so großen KissSalis Therme in Bad Kissingen oder der 6000 Quadratmet­er großen Emser Therme – man sieht, dass so manche öffentlich­e Einrichtun­g der Kurstädte des 19. Jahrhunder­ts in den 2020er-Jahren angekommen ist. Es gibt Sauna-Landschaft­en, verschiede­n temperiert­e Pools, Anwendunge­n wie Erdbeer-Wellness oder Lightshows: Ein bisschen BlingBling gehört eben zum Geschäft. Zu den traditione­llen Kurgästen fehlt jetzt eigentlich nur noch der Zulauf einer jüngeren Kundschaft und moderne Hotels mit vier oder fünf Sternen, Infinity-Pools und verglasten Saunen mit Blick ins Grüne. Denn so manches Kurhotel hat seine Sauna immer noch im dunklen Keller versteckt.

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FOTO: BADEN-BADEN KUR & TOURISMUS GMBH Klassizist­ische Bauten wie das alte Dampfbad prägen das Stadtbild Baden-Badens.
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FOTO: STAATSBAD BAD KISSINGEN Der Geschmack des Heilwasser­s aus Bad Kissingen ist gewöhnungs­bedürftig.
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FOTO: SRT Viele Busse steuern Kurstädte an.

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