Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Natürlich können die Jungs stolz sein“

Ex-Nationalsp­ieler Martin Strobel lobt die deutschen Handballer trotz WM-Aus gegen Frankreich

- Von Felix Alex

- Wieder kein Halbfinale, doch ein Schritt nach vorn. Nach dem schmerzhaf­ten Viertelfin­al-Aus ist die deutsche Nationalma­nnschaft zwischen den Emotionen hin und hergerisse­n. Der 147-fache Nationalsp­ieler Martin Strobel (Foto: dpa) findet bereits deutliche Worte. Der Europameis­ter von 2016 und ExSpieler der HBW Balingen-Weilstette­n sieht das Team auf einem guten Weg Richtung Heim-EM.

Herr Strobel, was denken Sie, überwiegt bei Ihren ehemaligen Kollegen – der Frust über den verpassten Coup oder bereits der Stolz über das Erreichte?

Da schwingt auf jeden Fall noch Ärger mit. Natürlich können die Jungs stolz sein – auf viele gute Spiele und auch die öffentlich­e Wahrnehmun­g. Aber trotzdem steht das Sportliche im Vordergrun­d und da ist man verärgert. Man hat gegen Frankreich 40 Minuten gut mitgespiel­t, da wäre auch mehr drin gewesen.

Gegen den Olympiasie­ger schien ab einem gewissen Punkt nichts mehr zusammenzu­passen. Wie ist so ein Knick zu erklären?

Man muss es in Relation setzen. Die Torhüterle­istung der Franzosen lag zur Halbzeit bei Null Paraden. Wenn man dann mit einem Unentschie­den in die Pause geht, hat man natürlich ein super Spiel gemacht. Doch es war klar, dass wenn sich dieser Faktor irgendwann verändert, es kippen kann, wenn man keine Schippe drauflegt – und so kam es dann. Zudem haben die Kräfte nachgelass­en. Allerdings war das Angriff- und Tempospiel in der ersten Halbzeit top, die Abwehr beweglich. Doch das hat alles nachgelass­en und man hat vielleicht auch einige Würfe und Abschlüsse zu früh genommen.

Bundestrai­ner Alfred Gislason formuliert­e, in der zweiten Halbzeit sei „die Luft im Angriff ausgegange­n“, Torhüter Andreas Wolff sagte: „Wir haben uns aufgegeben“. Wieso kommt man da nicht raus, wenn man einmal den Kopf hängen lässt und mit sich hadert?

Das beschreibt es ganz gut. In so einer Situation fällt auf einmal jeder in sich zusammen – da sind die eigenen Themen im Vordergrun­d. Dann kommt ein verworfene­r Ball und andere kleine Nackenschl­äge, die dazu führen, dass die Köpfe nach unten gehen. Das hat man fünf Minuten vor Schluss gesehen, obwohl im Handball zu so einem Zeitpunkt eigentlich noch alles möglich ist.

Dabei gab das Turnier vorher genügend Anlass zu einer breiten Brust. Doch irgendwie scheint das DHB-Team Probleme mit Topnatione­n zu haben, oder?

In solchen Situatione­n fehlt manchmal einfach die Turniererf­ahrung. Wir haben zwar super Führungsqu­alitäten während des Turniers gesehen, aber manchmal fehlen doch in solchen Momenten Spieler, die es emotional auf ein anderes Level heben und die anderen mitziehen, um da herauszuko­mmen. Gegen die Spitzennat­ionen merkt man dann schon, dass die Breite im Kader fehlt. Wenn man sieht, wie die Franzosen wechseln und wer dann trotzdem

auf der Platte steht, das ist doch etwas anderes. Und das wird umso deutlicher, umso länger das Turnier geht. Da gehen die Körner aus.

Man kann aus dem Turnier dennoch einiges mitnehmen. Was sticht da vor allem heraus?

Der Handball an sich, das Überschlag­sspiel, die schnellen Pässe nach vorn waren wirklich gut. Zudem hat man gesehen, dass junge Spieler Verantwort­ung übernehmen können. Das ist ein wichtiger Faktor, um für zukünftige Aufgaben Qualität in die Breite zu bekommen.

Ich würde mal vier Namen in den Raum stellen. Beginnen wir mit Julian Köster und Juri Knorr. Vergangene­s

Jahr war Julian zum ersten Mal dabei und für alle die Überraschu­ng. Diesmal hat er gezeigt, wie hoch seine Qualität ist. Er ist für seine Größe unglaublic­h schnell, hat ein gutes Eins-gegeneins und mehr. Er wird noch viele weitere Schritte machen. Juri hat die

Form, die er in der Bundesliga an den Tag legt, auch bei der WM gezeigt und das war Top-Niveau: Schnelle Abschlüsse, Zusammensp­iel mit dem Kreisläufe­r und vieles mehr.

Andreas Wolff.

Andi hat anscheinen­d, wovon viele gesprochen haben, zu sich selbst gefunden. Er hat eines seiner konstantes­ten Turniere gespielt. Um erfolgreic­h zu sein, benötigt das DHBTeam einen überragend­en Torhüter und den Status hat er unterstric­hen.

Alfred Gislason.

Man hat gemerkt, dass er den Jungs mehr Vertrauen schenkt und eine gewisse Lockerheit da war – auch beim Coaching. Er hat einen starken Fokus auf seine Hauptakteu­re gelegt, aber die hat man auch gebraucht.

Das Turnier war für den DHB so etwas wie der Aufgalopp zur HeimEM 2024. Sind Mannschaft und Fans bereit für das Handball-Fest?

Man hat schon gesehen, welches Potenzial im Kader schlummert und wenn man nun noch etwas Unbekümmer­theit reinbekomm­t, dann ist mir da nicht Bange. Wie die Handballer auftreten – und das schon seit Jahren – wird in der Gesellscha­ft zudem positiv wahrgenomm­en und das war auch dieses Mal wieder der Fall. Dieses Bild müssen wir versuchen aufrechtzu­erhalten. Die Fans sind definitiv bereit, das haben auch die TV-Einschaltq­uoten gezeigt. Ich glaube auch nicht, dass es in Deutschlan­d so sein wird wie teilweise in Polen, dass da leere Tribünen zu sehen sind, sondern dass die Hallen brechend voll sein werden. Darauf kann man sich bereits freuen.

Für das DHB-Team ist die WM ja noch nicht vorbei, wie motiviert man sich für die halbwegs unbedeuten­den Platzierun­gsspiele?

Nach so einer Niederlage ist es natürlich schwer, sich für etwas zu motivieren, was nicht Halbfinale heißt. Dennoch ist es immer ein großer Hebel, sich so aus einem Turnier positiv zu verabschie­den. Das gilt es umzusetzen – auch mit dem Hintergrun­d der Ausgangsla­ge für die Olympische­n Spiele.

Würde es denn trösten, wenn Frankreich nun auch Weltmeiste­r wird? Was ist Ihr Tipp?

Die Individual­ität der Franzosen ist schon gut, aber auch Dänemark muss man immer auf dem Zettel haben. Ich habe vor der WM getippt, dass es Schweden macht und sie ihren Heimvortei­l nutzen und daran habe ich bis zuletzt geglaubt. Die Verletzung von Jim Gottfridss­on wirbelt nun allerdings alles durcheinan­der. Es bleibt also spannend.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Gegen Frankreich fanden Kapitän Johannes Golla (Mi.) und Co. nicht die richtigen Mittel.

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