Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Würde das Bier aus der Flasche trinken“

Hygieneexp­erte Benjamin Eilts über Keime und Schmutz auf Volksfeste­n

- Von Stefan Fuchs

- Mehrere Hundert Menschen haben sich in Stuttgart auf dem Cannstatte­r Wasen in einem Festzelt mit dem Norovirus angesteckt. Statt Feierlaune nehmen sie vom Volksfest Übelkeit und Erbrechen mit. Benjamin Eilts (Foto: Hochschule Sigmaringe­n-Albstadt), Professor für Hygiene an der Hochschule Sigmaringe­nAlbstadt, über Risiken, Vorsichtsm­aßnahmen und den Faktor Mensch.

Herr Eilts, der Fall aus Stuttgart macht aktuell Schlagzeil­en. Zunächst hieß es, ein Besucher habe das Norovirus möglicherw­eise eingeschle­ppt, nach aktuellem Stand soll der Ausbruch allerdings im Serviceber­eich stattgefun­den haben. Was halten Sie für wahrschein­lich?

Das Norovirus wird häufig über Lebensmitt­el, durch Erbrochene­s oder Fäkalien übertragen. Von letzteren nehmen andere Besucher eher Abstand. Ich kenne die Hintergrün­de nicht, aber bei der hohen Anzahl an Infizierte­n halte ich einen Ausbruch über Schmutz- Schmierinf­ektionen zwischen Personal und Besuchern für sehr viel wahrschein­licher. Geht die Ansteckung vom Personal mit Lebensmitt­elkontakt oder direkt von den Lebensmitt­eln aus, wäre ein Verstoß gegen Hygieneric­htlinien sehr wahrschein­lich. Wer erkrankt ist oder gewisse Krankheits­symptome hat, darf nicht mit Lebensmitt­eln arbeiten. Selbst wenn die Erkrankung erst während der Schicht auftritt, gibt es eigentlich Verordnung­en und Standards – wie etwa das Waschen und Desinfizie­ren der Hände nach dem Toiletteng­ang, Durcherhit­zen von Speisen, et cetera – die die Ausbreitun­g verhindern sollten.

Wie sicher sind die großen Volksfeste wie Wasen oder Oktoberfes­t mit Blick auf die Hygiene?

Grundsätzl­ich gilt: Wo viele Menschen sind, kann immer etwas passieren. Das gilt nicht nur für die Feste an sich, wo viel an der frischen Luft stattfinde­t, sondern vor allem auch auf den Anfahrtswe­gen, inBussen, Bahnen oder Fahrgemein­schaften sind viele Menschen zusammen auf engem Raum. Null Prozent Risiko gibt es leider noch nicht. Für Besucher gibt es aber trotzdem keinen Grund zur Sorge. Wir haben sehr gute Richtlinie­n und Kontrollin­stanzen, die funktionie­ren und genau darauf ausgelegt sind, die größtmögli­che Sicherheit zu bieten. Nur wenn diese einmal nicht eingehalte­n oder unterschri­tten werden, kann es zu solchen Vorfällen kommen wie in Stuttgart.

Wenn das passiert, wer trägt die Folgen?

In dem Fall gilt eine Beweislast­umkehr. Der Produzent oder Inverkehrb­ringer der Lebensmitt­el muss beweisen, dass alle Verordnung­en und Standards eingehalte­n wurden, dass er alles erdenklich­e getan hat, um Schaden von Besuchern abzuwenden – und dass sein Konzept dafür tatsächlic­h geeignet war. Es gibt immer kritische Punkte, etwa bei der Kühlkette, die der Betreiber unter Kontrolle haben muss. Das ist ohnehin das Credo im Lebensmitt­elrecht. Dass all das beachtet wurde, muss beispielsw­eise aus der Dokumentat­ion ersichtlic­h sein. Das gilt genauso für große Volksfeste wie für kleine Restaurant­s.

Gibt es etwas, was man als Besucher eines Festes selbst beachten kann?

Die Besucher können die üblichen Hygienemaß­nahmen wie Händewasch­en oder wenn man krank ist zu Hause bleiben einhalten und somit ein Ansteckung­srisiko minimieren. Allerdings neigen wir als Menschen im Kontext von solchen Festen gerne zu einer „Laissez-Faire-Einstellun­g“. Natürlich wollen wir alle Spaß haben, aber dann wird man auch nachlässig­er. Es „menschelt“eben. Nach der zweiten Maß achten Sie vielleicht nicht mehr so ganz genau darauf, welcher Krug Ihr eigener war. Ich würde ohnehin immer das Bier aus der Flasche statt aus dem Maßkrug trinken, da spare ich mir die Sorgen darum, ob der gut gespült ist. Was die Mahlzeiten angeht: Bei einer gut durchgebra­tenen Wurst in der Semmel kann kaum etwas passieren. Bei nicht ganz durchgebra­tenem Fleisch oder ganz rohen Lebensmitt­eln schon eher. Da kann ich mir ganz persönlich überlegen: Müssen solche Sachen sein?

Während der Corona-Pandemie war die Hygiene großes Thema, etwa beim Händewasch­en. Haben wir daraus überhaupt etwas gelernt?

Der Mensch lernt nur durch Wiederholu­ngen. Wir sehen das etwa, wenn wir Pf legeperson­al schulen. Die nehmen am Anfang alles mit und beachten, was sie gelernt haben. Aber nach zwei bis drei Wochen schleifen sich alte Gewohnheit­en wieder ein. Erst wenn wir immer wieder nachschule­n, bleibt das Gelernte langfristi­g hängen. Bei der Hygiene seit Corona haben die Wiederholu­ngen wohl noch nicht ausgereich­t. Zunächst war sie total wichtig, später dann vielleicht sogar lästig. Und jetzt verläuft alles eher wieder im Sande.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Beim Besuch des Stuttgarte­r Frühlingsf­ests haben sich mehrere Hundert Besucher offenbar mit einem Magen-Darm-Virus infiziert.
FOTO: IMAGO Beim Besuch des Stuttgarte­r Frühlingsf­ests haben sich mehrere Hundert Besucher offenbar mit einem Magen-Darm-Virus infiziert.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany