Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Würde das Bier aus der Flasche trinken“
Hygieneexperte Benjamin Eilts über Keime und Schmutz auf Volksfesten
- Mehrere Hundert Menschen haben sich in Stuttgart auf dem Cannstatter Wasen in einem Festzelt mit dem Norovirus angesteckt. Statt Feierlaune nehmen sie vom Volksfest Übelkeit und Erbrechen mit. Benjamin Eilts (Foto: Hochschule Sigmaringen-Albstadt), Professor für Hygiene an der Hochschule SigmaringenAlbstadt, über Risiken, Vorsichtsmaßnahmen und den Faktor Mensch.
Herr Eilts, der Fall aus Stuttgart macht aktuell Schlagzeilen. Zunächst hieß es, ein Besucher habe das Norovirus möglicherweise eingeschleppt, nach aktuellem Stand soll der Ausbruch allerdings im Servicebereich stattgefunden haben. Was halten Sie für wahrscheinlich?
Das Norovirus wird häufig über Lebensmittel, durch Erbrochenes oder Fäkalien übertragen. Von letzteren nehmen andere Besucher eher Abstand. Ich kenne die Hintergründe nicht, aber bei der hohen Anzahl an Infizierten halte ich einen Ausbruch über Schmutz- Schmierinfektionen zwischen Personal und Besuchern für sehr viel wahrscheinlicher. Geht die Ansteckung vom Personal mit Lebensmittelkontakt oder direkt von den Lebensmitteln aus, wäre ein Verstoß gegen Hygienerichtlinien sehr wahrscheinlich. Wer erkrankt ist oder gewisse Krankheitssymptome hat, darf nicht mit Lebensmitteln arbeiten. Selbst wenn die Erkrankung erst während der Schicht auftritt, gibt es eigentlich Verordnungen und Standards – wie etwa das Waschen und Desinfizieren der Hände nach dem Toilettengang, Durcherhitzen von Speisen, et cetera – die die Ausbreitung verhindern sollten.
Wie sicher sind die großen Volksfeste wie Wasen oder Oktoberfest mit Blick auf die Hygiene?
Grundsätzlich gilt: Wo viele Menschen sind, kann immer etwas passieren. Das gilt nicht nur für die Feste an sich, wo viel an der frischen Luft stattfindet, sondern vor allem auch auf den Anfahrtswegen, inBussen, Bahnen oder Fahrgemeinschaften sind viele Menschen zusammen auf engem Raum. Null Prozent Risiko gibt es leider noch nicht. Für Besucher gibt es aber trotzdem keinen Grund zur Sorge. Wir haben sehr gute Richtlinien und Kontrollinstanzen, die funktionieren und genau darauf ausgelegt sind, die größtmögliche Sicherheit zu bieten. Nur wenn diese einmal nicht eingehalten oder unterschritten werden, kann es zu solchen Vorfällen kommen wie in Stuttgart.
Wenn das passiert, wer trägt die Folgen?
In dem Fall gilt eine Beweislastumkehr. Der Produzent oder Inverkehrbringer der Lebensmittel muss beweisen, dass alle Verordnungen und Standards eingehalten wurden, dass er alles erdenkliche getan hat, um Schaden von Besuchern abzuwenden – und dass sein Konzept dafür tatsächlich geeignet war. Es gibt immer kritische Punkte, etwa bei der Kühlkette, die der Betreiber unter Kontrolle haben muss. Das ist ohnehin das Credo im Lebensmittelrecht. Dass all das beachtet wurde, muss beispielsweise aus der Dokumentation ersichtlich sein. Das gilt genauso für große Volksfeste wie für kleine Restaurants.
Gibt es etwas, was man als Besucher eines Festes selbst beachten kann?
Die Besucher können die üblichen Hygienemaßnahmen wie Händewaschen oder wenn man krank ist zu Hause bleiben einhalten und somit ein Ansteckungsrisiko minimieren. Allerdings neigen wir als Menschen im Kontext von solchen Festen gerne zu einer „Laissez-Faire-Einstellung“. Natürlich wollen wir alle Spaß haben, aber dann wird man auch nachlässiger. Es „menschelt“eben. Nach der zweiten Maß achten Sie vielleicht nicht mehr so ganz genau darauf, welcher Krug Ihr eigener war. Ich würde ohnehin immer das Bier aus der Flasche statt aus dem Maßkrug trinken, da spare ich mir die Sorgen darum, ob der gut gespült ist. Was die Mahlzeiten angeht: Bei einer gut durchgebratenen Wurst in der Semmel kann kaum etwas passieren. Bei nicht ganz durchgebratenem Fleisch oder ganz rohen Lebensmitteln schon eher. Da kann ich mir ganz persönlich überlegen: Müssen solche Sachen sein?
Während der Corona-Pandemie war die Hygiene großes Thema, etwa beim Händewaschen. Haben wir daraus überhaupt etwas gelernt?
Der Mensch lernt nur durch Wiederholungen. Wir sehen das etwa, wenn wir Pf legepersonal schulen. Die nehmen am Anfang alles mit und beachten, was sie gelernt haben. Aber nach zwei bis drei Wochen schleifen sich alte Gewohnheiten wieder ein. Erst wenn wir immer wieder nachschulen, bleibt das Gelernte langfristig hängen. Bei der Hygiene seit Corona haben die Wiederholungen wohl noch nicht ausgereicht. Zunächst war sie total wichtig, später dann vielleicht sogar lästig. Und jetzt verläuft alles eher wieder im Sande.