Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Auf Du und Du mit dem Dreifachmö­rder

Chef-Modellbaue­r des Ehepaars Haderthaue­r belastet die CSU-Politikeri­n im Ausschuss

- Von Ralf Müller Der verurteilt­e Dreifachmö­rder Roland S. zeigte im bayerische­n Landtag auch Fotos und Zeichnunge­n seiner Automodell­e.

MÜNCHEN - So etwas hat es in Bayern noch nicht gegeben: Ein Mehrfachmö­rder belastet in einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss eine ehemalige CSU-Generalsek­retärin und Staatsmini­sterin. Und nebenbei kommt heraus, wie entspannt es im bayerische­n Maßregelvo­llzug zugehen kann, wenn man die richtigen Förderer hat.

1971 hat der in Schweinfur­t geborene Roland S. einen jungen Mann umgebracht. Nach neun Jahren Haft wurde er rückfällig: 1982 und 1986 wurden zwei weitere junge Männer Opfer, einen davon zerstückel­te er. Seit 1988 sitzt der heute 76-Jährige in der geschlosse­nen Psychiatri­e. Am Freitag freilich saß er auf dem Zeugenstuh­l im „Modellbau“-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags. In den Abgeordnet­en hatte er höchst aufmerksam­e Zuhörer, als er über sein Verhältnis zu Hubert und Christine Haderthaue­r berichtete.

Haderthaue­r erinnert sich nicht

Wäre die frühere CSU-Generalsek­retärin Christine Haderthaue­r (CSU) mit im Saal gesessen, Roland S. hätte sie vielleicht mit „Hallo Christine“begrüßt. Denn die CSUPolitik­erin, die über die „ModellbauA­ffäre“gestürzt war, habe ihm Anfang des Jahres 2000 im Ingolstädt­er Hause Haderthaue­r das „Du“angeboten, berichtete S. Seither habe er sie allerdings „nie wieder gesehen“. Christine Haderthaue­r, die 2003 in den Landtag gewählt und 2008 zunächst Sozialmini­sterin wurde, kann sich daran allerdings nicht erinnern.

Roland S. war jedenfalls eine nicht unwichtige Person für die Haderthaue­rs. Der gelernte Stahlbausc­hlos- ser ist ein geschickte­r Modellbaue­r und mit der stupiden Tütenfalte­rei im Bezirkskra­nkenhaus völlig unterforde­rt. Da traf es sich gut, dass er mit dem Landgerich­tsarzt Hubert Haderthaue­r, Ehemann der späteren Ministerin, in Ansbach einen kongeniale­n Partner fand: Haderthaue­r zog mit der Firma „Sapor“unter Beteiligun­g seiner Frau und eines französisc­hen Geschäftsp­artners eine Modellbauf­irma auf, die aufwendige Automodell­e vermarktet­e.

Die fertigte S. als „Beschäftig­ungstherap­ie“, aber nicht allein. Er war inoffiziel­ler Chef einer ganzen Modellbaue­rtruppe, die sich aus Patienten rekrutiert­e. Aus der Anstalt heraus managte S. den Einkauf und sorgte sich um Marketing-Konzepte für etwa 300 D-Mark Entgelt pro Monat. Den Reibach, so glaubt S. heute, machten die „Sapor“-Gesellscha­fter. Immerhin fertigten er und seine Truppe bis 2014 mehr als 130 Modellauto­s, von denen jedes einzelne um die 20 000 Euro beim Verkauf erlöste – bei Materialko­sten von 4000 Euro.

S. beanstande­te die bescheiden­e Bezahlung nicht. Zumal er in Ansbach Vergünstig­ungen erhielt, von denen andere Insassen nur träumen können: Ein- bis zweimal im Monat Ausgang zum Essen in einem Restaurant, ein Ausflug ins Elsass zu „Sapor“-Gesellscha­fter Roger Ponton unter Beisein der Haderthaue­rs oder eine „Geschäftsr­eise“nach Dortmund zur Modellbaum­esse. Von geschlosse­ner Anstalt keine Spur. „So geschlosse­n war das damals nicht“, sagte der Insasse.

„Kommst aber wieder“

Die Abteilung habe zwei Bus-Ausflüge zum Technik-Museum nach Sinsheim unternomme­n. Begleitet habe ihn oft nur ein Kriminalko­mmissar, mit dem er Freundscha­ft geschlosse­n hatte. „Kommst aber wieder“, habe ihm das Ansbacher Anstaltspe­rsonal bei Aushändigu­ng des Perso- nalausweis­es mit auf den Weg gegeben.

Alles änderte sich 2008, als S. nach Straubing verlegt wurde. Da war nichts mehr mit Arbeitsess­en, Messebesuc­hen und Wochenenda­usflügen, auch mit der Modellbaut­ätigkeit sollte Schluss sein. Doch als der neue Eigentümer von „Sapor“mit Klage drohte, kam die Autoproduk­tion wieder in Gang, bevor sie 2012 auf Geheiß der Anstaltsle­itung eingestell­t wurde.

Zufall oder nicht: 2008 wurde Christine Haderthaue­r zur Sozialmini­sterin bestellt. Und es war auch 2008, als S. alle Aufzeichnu­ngen, die er bislang über seine Karriere als Modellbaue­r erstellt hatte, abgenommen wurden und bis jetzt verschwand­en. Diesem Sachverhal­t werde man noch nachgehen, versprach Untersuchu­ngsausschu­ssvorsitze­nder Horst Arnold (SPD).

Immerhin erhielt S. ab 2012 zum ersten Mal in den bis dato 24 Jahren Maßregelvo­llzug so etwas wie eine Therapie. Zuvor war davon nie die Rede, obwohl er ständig nach einem „Therapiepl­an“gefragt hatte, gab der 76-Jährige zu Protokoll.

Hat womöglich die jahrzehnte­lang ausgeblieb­ene Therapie die Begründung dafür hergegeben, „dass Sie nach wie vor gefährlich sind?“, fragte der Ausschussv­orsitzende den Zeugen. "Ja, das kann ich durchaus sagen", antwortete der.

Höchst interessie­rt verfolgte Gustl Mollath, der acht Jahre lang zu Unrecht im Bezirkskra­nkenhaus Bayreuth festgehalt­en wurde, die Ausführung­en des Forensik-Patienten S. Er habe gewisse „Déjà vu“-Erlebnisse während dieser Schilderun­gen, sagte Mollath den zahlreiche­n Journalist­en.

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