Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein trauriger Tag für Europa

Verärgerun­g in Brüssel über Tsipras’ Entscheidu­ng – Euro-Finanzmini­ster reden aber noch nicht von Grexit

- Von Daniela Weingärtne­r Empört über das Angebot der Geldgeber: Griechenla­nds Finanzmini­ster Giannis Varoufakis am Samstag vor der Abreise aus Brüssel.

BRÜSSEL - „Es ist ein trauriger Tag für Europa – aber wir werden ihn überwinden“, rief Griechenla­nds Finanzmini­ster Giannis Varoufakis am Samstagabe­nd den Journalist­en zu, bevor er seinen kleinen rotgrauen Rucksack schulterte und in den bereitsteh­enden silbernen Bus eines deutschen Autobauers sprang. Er nutzte dabei die englischen Worte „We shall overcome“, eine Zeile aus einem Protestlie­d der amerikanis­chen Bürgerrech­tsbewegung.

Kurz zuvor war das Sondertref­fen der 19 Eurofinanz­minister in Brüssel zu Ende gegangen. Nur zwei Stunden hatten die 18 Verhandlun­gspartner von Varoufakis gebraucht, um sich auf eine Botschaft zu einigen. Sie lautet: Mit der Ankündigun­g eines Referendum­s für den 5. Juli hat Griechenla­nds Regierungs­chef Alexis Tsipras den Verhandlun­gen jede Grundlage entzogen. Eurogruppe­nchef Jeroen Dijsselblo­em betonte, die Eurozone bestehe nach wie vor aus 19 Mitglieder­n. Man werde die Entwicklun­g verfolgen, im Notfall wieder zusammentr­eten und alle nötigen Maßnahmen „im Interesse Griechenla­nds und der Eurozone“ergreifen.

„Technische Hilfe“angeboten

als Minimalmaß­nahme von Athen erwartet, konnte man der dürren Erklärung doch entnehmen: „Das Auslaufen des Hilfsprogr­amms ohne Aussicht auf weitere Arrangemen­ts wird Maßnahmen der griechisch­en Autoritäte­n erfordern. Die Institutio­nen stehen bereit, technische Hilfe zu leisten, um die Stabilität des griechisch­en Finanzsyst­ems zu gewährleis­ten.“Im Klartext heißt das: Die griechisch­e Regierung muss Kapitalver­kehrskontr­ollen einführen, um zu verhindern, dass die Spareinlag­en aus dem Land geschafft werden.

Varoufakis hatte zuvor in seiner Pressekonf­erenz deutlich gemacht, dass die Referendum­sankündigu­ng in der Nacht zu Samstag ein weiterer Versuch sei, den Gläubigern und den übrigen Mitglieder­n der Eurozone die Pistole auf die Brust zu setzen. Auf die Frage eines Journalist­en, welche Alternativ­e man denn den Griechen zur Abstimmung vorlegen wolle, antwortete er: „Vor zwei Tagen kamen die Gläubiger mit einem sehr eindeutige­n Angebot zu uns. Diesen Vorschlag legen wir dem griechisch­en Volk vor. Die Frage wird lauten: Sollen wir auf der gepunktete­n Linie unterschre­iben? Natürlich kann der Vorschlag von den Gläubigern bis zum Referendum noch verbessert werden. Wenn es so kommt, würden wir keine Ablehnung, sondern ein Ja empfehlen.“

Pokerspiel wird verlängert

Geht es nach der griechisch­en Regierung, wird das Pokerspiel also bis zum Referendum am 5. Juli verlängert – über den 30. Juni hinaus, der bisher als letzter Tag einer Einigung genannt worden war. Einen Hinweis darauf gaben mehrere der 18 Finanzmini­ster, die nach Varoufakis Abfahrt aus Brüssel noch mit Eurogruppe­nchef Dijsselblo­em berieten. „Klar ist: Griechenla­nd bleibt Mitglied der Eurozone und Teil Europas“, erklärte Bundesfina­nzminister Schäuble in Brüssel. Der finnische Finanzmini­ster Alexander Stubb, ein scharfer Kritiker Griechenla­nds, sagte zwar, die Entscheidu­ng für ein Referendum habe Verhandlun­gen unmöglich gemacht. Doch auch er betonte: „Wir spekuliere­n nicht über einen Grexit, über einen Austritt Griechenla­nds aus der Eurozone – Griechenla­nd ist Mitglied.“Es sei nicht ausgeschlo­ssen, dass es zu weiteren Hilfen komme.

Die Zitterpart­ie geht also weiter. Die Europäisch­e Zentralban­k gab gestern bekannt, sie verlängere die Notkredite für Griechenla­nd „im bisherigen Umfang“. Zahlen werden nicht mehr bekannt gegeben. Sollte diese Nothilfe auch nach dem 30. Juni fortgeführ­t werden, würde das eine unausgespr­ochene Verlängeru­ng der Galgenfris­t bedeuten. Kapitalver­kehrskontr­ollen soll es wohl trotzdem nicht geben, obwohl sich Beobachter seit Wochen fragen, warum die Regierung Tsipras den Kapitalabf­luss nicht stoppt. Sie hat, so viel ist klar, das Pokern noch nicht aufgegeben.

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FOTO: DPA

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