Ein trauriger Tag für Europa
Verärgerung in Brüssel über Tsipras’ Entscheidung – Euro-Finanzminister reden aber noch nicht von Grexit
BRÜSSEL - „Es ist ein trauriger Tag für Europa – aber wir werden ihn überwinden“, rief Griechenlands Finanzminister Giannis Varoufakis am Samstagabend den Journalisten zu, bevor er seinen kleinen rotgrauen Rucksack schulterte und in den bereitstehenden silbernen Bus eines deutschen Autobauers sprang. Er nutzte dabei die englischen Worte „We shall overcome“, eine Zeile aus einem Protestlied der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Kurz zuvor war das Sondertreffen der 19 Eurofinanzminister in Brüssel zu Ende gegangen. Nur zwei Stunden hatten die 18 Verhandlungspartner von Varoufakis gebraucht, um sich auf eine Botschaft zu einigen. Sie lautet: Mit der Ankündigung eines Referendums für den 5. Juli hat Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras den Verhandlungen jede Grundlage entzogen. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem betonte, die Eurozone bestehe nach wie vor aus 19 Mitgliedern. Man werde die Entwicklung verfolgen, im Notfall wieder zusammentreten und alle nötigen Maßnahmen „im Interesse Griechenlands und der Eurozone“ergreifen.
„Technische Hilfe“angeboten
als Minimalmaßnahme von Athen erwartet, konnte man der dürren Erklärung doch entnehmen: „Das Auslaufen des Hilfsprogramms ohne Aussicht auf weitere Arrangements wird Maßnahmen der griechischen Autoritäten erfordern. Die Institutionen stehen bereit, technische Hilfe zu leisten, um die Stabilität des griechischen Finanzsystems zu gewährleisten.“Im Klartext heißt das: Die griechische Regierung muss Kapitalverkehrskontrollen einführen, um zu verhindern, dass die Spareinlagen aus dem Land geschafft werden.
Varoufakis hatte zuvor in seiner Pressekonferenz deutlich gemacht, dass die Referendumsankündigung in der Nacht zu Samstag ein weiterer Versuch sei, den Gläubigern und den übrigen Mitgliedern der Eurozone die Pistole auf die Brust zu setzen. Auf die Frage eines Journalisten, welche Alternative man denn den Griechen zur Abstimmung vorlegen wolle, antwortete er: „Vor zwei Tagen kamen die Gläubiger mit einem sehr eindeutigen Angebot zu uns. Diesen Vorschlag legen wir dem griechischen Volk vor. Die Frage wird lauten: Sollen wir auf der gepunkteten Linie unterschreiben? Natürlich kann der Vorschlag von den Gläubigern bis zum Referendum noch verbessert werden. Wenn es so kommt, würden wir keine Ablehnung, sondern ein Ja empfehlen.“
Pokerspiel wird verlängert
Geht es nach der griechischen Regierung, wird das Pokerspiel also bis zum Referendum am 5. Juli verlängert – über den 30. Juni hinaus, der bisher als letzter Tag einer Einigung genannt worden war. Einen Hinweis darauf gaben mehrere der 18 Finanzminister, die nach Varoufakis Abfahrt aus Brüssel noch mit Eurogruppenchef Dijsselbloem berieten. „Klar ist: Griechenland bleibt Mitglied der Eurozone und Teil Europas“, erklärte Bundesfinanzminister Schäuble in Brüssel. Der finnische Finanzminister Alexander Stubb, ein scharfer Kritiker Griechenlands, sagte zwar, die Entscheidung für ein Referendum habe Verhandlungen unmöglich gemacht. Doch auch er betonte: „Wir spekulieren nicht über einen Grexit, über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone – Griechenland ist Mitglied.“Es sei nicht ausgeschlossen, dass es zu weiteren Hilfen komme.
Die Zitterpartie geht also weiter. Die Europäische Zentralbank gab gestern bekannt, sie verlängere die Notkredite für Griechenland „im bisherigen Umfang“. Zahlen werden nicht mehr bekannt gegeben. Sollte diese Nothilfe auch nach dem 30. Juni fortgeführt werden, würde das eine unausgesprochene Verlängerung der Galgenfrist bedeuten. Kapitalverkehrskontrollen soll es wohl trotzdem nicht geben, obwohl sich Beobachter seit Wochen fragen, warum die Regierung Tsipras den Kapitalabfluss nicht stoppt. Sie hat, so viel ist klar, das Pokern noch nicht aufgegeben.