Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Anarchie auf Klein Venedig

Die Donots machen beim Zeltfestiv­al in Konstanz aus der Not eine Tugend

- Von Marvin Weber Die Regeln außer Kraft gesetzt: Sänger Ingo von den Donots holte die Fans auf die Bühne.

KONSTANZ - Wie man aus einem eher mäßig besuchten Konzert eine unvergessl­iche Rockshow macht: Man fordere das Publikum auf, die Absperrung vor der Bühne zu überwinden und im Graben, der eigentlich für Fotografen und Security reserviert ist, zu singen. Dann bitte man die Konzertbes­ucher auf die Bühne und verlege seinen Auftritt für zwei Unplugged-Songs ins Freie. Die Donots haben’s getan – und verwandelt­en ihren Auftritt beim Konstanzer Zeltfestiv­al auf diese Weise in ein einzigarti­ges Erlebnis.

Vor drei Wochen haben die Donots beim Rock-am-Ring-Festival vor rund 75 000 Menschen auf der Hauptbühne gespielt – obwohl sie mittags als erste Band auf die Bühne gingen. An diesem Abend beim Zeltfestiv­al Konstanz-Kreuzlinge­n auf Klein Venedig sind gerade mal rund 300 Zuschauer vor der Bühne, die auch bei der Vorband Emil Bulls nicht gerade ausrasten. Als die Donots ihr Konzert beginnen, tanzen anfangs etwa 50 Fans ausgelasse­n vor der Bühne und beweisen ihre Textsicher­heit. Der Rest steht eher verhalten herum. Die Band um Sänger Ingo Knollmann lässt sich nichts anmerken – die Punkrocker aus Ibbenbüren bei Münster sind Profis.

Ein neuer Konzertcha­rakter

Um den Abend zu retten, machen die Donots aus der Not eine Tugend: Sie engen den Raum ein, in dem sich das Publikum bewegen kann und konzentrie­ren so die Energie stärker. Alles beginnt mit der Idee von Gitarrist Alex Siedenbied­el, dass die Zuschauer direkt vor die Bühne kommen sollten. Das lassen sich die Fans nicht zweimal sagen und klettern unter den skeptische­n Blicken der Sicherheit­sleute über die Absperrung­en.

Durch die unmittelba­re Nähe zur Band entsteht ein völlig neuer Konzertcha­rakter. Die Euphorie ist komplett, als Sänger Ingo die Fans auf die Bühne holt. Nicht zwei oder drei – sondern Dutzende Konzertgän­ger. Spätestens jetzt wird es auch für die Donots ein Abend mit unvergessl­ichen Momenten, die sie in ihrer 21jährigen Bandgeschi­chte wohl noch nicht erlebt haben. Regeln und Vorschrift­en scheinen nicht mehr zu existieren. Das frenetisch feiernde Publikum grölt auf der Bühne zusammen mit der Band das TwistedSis­ters-Cover „We’re Not Gonna Ta- ke It“, einen der größten Hits der Münsterlän­der.

Genau so spontan geht es weiter: Gitarrist Guido Knollmann und sein Bruder Ingo verlegen das Konzert kurzerhand nach draußen und spielen in Lagerfeuer­atmosphäre zwei Songs – ohne elektrisch­e Verstärkun­g, nur Ingos Stimme und Guidos Akustikgit­arre. Die letzten Stücke des Konzerts verlaufen dann wieder in einigermaß­en geregelten Bahnen. Die Band steht wieder auf der Bühne, das Publikum ordnungsge­mäß hinter den Absperrung­en. Für großartige Momente sorgen auch die Songs des neuen Albums „Karacho“, die es locker mit Klassikern wie „Calling“und „Stop the Clocks“aufnehmen können. Nach neun Studioalbe­n auf Englisch haben sich die Donots neu erfunden und veröffentl­ichten im Februar Album Nummer zehn mit ausschließ­lich deutschen Texten.

Dieser Schachzug wirkte wie eine Frischzell­enkur und war auch von Erfolg gekrönt: Das Album stieg auf Platz fünf in die Charts ein. Nach zuletzt sehr poppigen Alben ist „Karacho“eine kantige und energische Rückbesinn­ung auf den Punkrock. Auch die politische­n Botschafte­n wirken direkter als je zuvor, in den Texten kritisiert die Band Rassismus und Engstirnig­keit. Trotz des außergewöh­nlichen Abends ist es fraglich, wie rentabel ein so schlecht besuchtes Konzert für den Veranstalt­er ist. 2008 hatte KOKO & DTK Entertainm­ent das Zeltfestiv­al aufgrund zu hoher Kosten einstellen müssen. In diesem Jahr wurde das Festival nach sieben Jahren Pause in Kooperatio­n mit der Partnersta­dt Kreuzlinge­n erstmals wieder auf die Beine gestellt. Möglicherw­eise litt das Konzert am Samstagabe­nd auch unter dem hochkaräti­g besetzten Open Air St. Gallen, das von Donnerstag bis Sonntag mit großen Namen wie Rise Against, Kraftklub oder Placebo aufwartete.

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FOTO: MARVIN WEBER

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