Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kollektive­r Untergang

Die deutsche U21 wird bei der 0:5-Pleite im EM-Halbfinale von Portugal vorgeführt

- Chancenlos: Die Deutschen – li. Kevin Volland im Zweikampf mit William Carvalho – wirkten gegen Portugal wie Zwerge im Duell mit Riesen. Hängende Köpfe: Matthias Ginter und Dominique Heintz trauern.

PRAG (SID/dpa/sz) - Nach der historisch­en Schmach von Olmütz wollte die deutsche U21 und ihr Trainer nur noch nach Hause. „Ich bin jetzt 64 Jahre alt, ich habe genug Klatschen bekommen. Aber diese Klatsche bleibt haften“, sagte Horst Hrubesch am Morgen nach dem peinlichen 0:5 (0:3) gegen Portugal mit kleinen Augen. Noch am Mittag trat das geprügelte DFB-Team die Heimreise an, der Urlaub rief. „Jetzt freue ich mich darauf, wieder mit meinem Hund spazieren zu gehen“, sagte Hrubesch.

Aufzuarbei­ten gibt es nach der bitteren Lehrstunde im EM-Halbfinale genug. Von einer „Frechheit“sprach Emre Can, Kevin Volland von „Arbeitsver­weigerung“und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gar von einer „Vorführung“. Für die größte Aufregung sorgte aber Weltmeiste­r Matthias Ginter, der nach der Pleite offen seine Mitspieler kritisiert­e.

„Einige müssen sich fragen, ob sie in der Vorbereitu­ng alles so profession­ell gemacht haben, wie man es vor einem Halbfinale machen sollte“, sagte Ginter nach der höchsten Niederlage der deutschen U21-Geschichte (bisher ein 1:5 in Bosnien 2002). Ein Satz, der beileibe nicht zufällig fiel, Ginter wiederholt­e ihn immer wieder. Erst später relativier­te er ein wenig: „Ich bin der Letzte, der einzelne Spieler attackiert.“

Und doch wurde gerätselt, wen und was Ginter genau meinte. „Wir haben nach dem Gruppenspi­el gegen Tschechien Bilder vom Pizza-Essen gepostet. Aber ich glaube, man kann sich mal was gönnen, wenn man zwei Wochen nur Nudeln isst“, sagte Emre Can und tappte im Dunkeln. Hrubesch betonte, Ginters Äußerung sei einzig der Enttäuschu­ng geschuldet. „Es ist absolut nichts vorgefalle­n. Ich wäre der Erste gewesen, der das erfahren hätte“, sagte der Trainer.

Can geißelt sich selbst

Passende Worte fand Can dagegen für seine eigene, über weite Strecken unterirdis­che Leistung. „Vielleicht habe ich vor dem Spiel gedacht, dass ich der Größte bin. Ich glaube, ich muss wieder auf den Boden kommen“, sagte der 21-Jährige selbstkrit­isch. Can war in den vergangene­n Wochen mit Lob überschütt­et worden, gegen Portugal war er wie das Gros der Mannschaft ein Totalausfa­ll. „Man kann von mir aus 0:5 oder 0:10 verlieren. Aber wenn man alles gibt, kann man danach in den Spiegel gucken. Bei mir persönlich war es so, dass ich heute nicht alles gegeben habe“, sagte Can. „Was wir abgeliefer­t haben, war einfach eine Frechheit.“

Das sahen auch die Beobachter so. DFB-Präsident Niersbach, sonst die Diplomatie in Person, sprach von einer „Lehrstunde“und „Vorführung“, Hrubesch war am Ende „heilfroh, dass es nur fünf Stück waren. Es hätte auch schlimmer ausgehen können.“In der Tat war der Mitfavorit gegen die technisch starken Portugiese­n von Beginn heillos unterlegen, leistete sich Fehlpass um Fehlpass und sah tatenlos zu, wie der Titeltraum mit einem lauten Knall zerplatzte.

Auch Kapitän Kevin Volland („Ich weiß von jedem Einzelnen, dass er sich hundertpro­zentig auf die Partie vorbereite­t hat“) war am Ende bedient: „Wir haben uns so gefreut auf das Halbfinale gegen Portugal. Und dann war es von der ersten bis zur 90. Minute eine Arbeitsver­weigerung von jedem Einzelnen.“

Bernardo Silva (25.), Ricardo (33.), Ivan Cavaleiro (45.+1), João Mário (46.) und Ricardo Horta (71.) besiegelte­n vor 9876 Zuschauern das Aus der Deutschen, die erstmals im 4-14-1-System angetreten waren. Bester Mann der Portugiese­n war erneut Mittelfeld­spieler William Carvalho von Sporting Lissabon, der von den besten Topklubs Europas umworben wird und inzwischen bereits einen Marktwert von 40 Millionen Euro hat.

„Heute hätte jede andere Mannschaft gegen uns spielen können, wir hätten trotzdem nicht gewonnen“, sagte Leonardo Bittencour­t. Der Mittelfeld­spieler hatte 25 Minuten nach seiner Einwechslu­ng die Gelb-Rote Karte gesehen. Es war das i-Tüpfelchen auf eine völlig verkorkste Partie. „Ich bin schon stinkig ins Spiel gekommen. Mein Puls war da schon bei 300“, sagte Bittencour­t. Nach dem Spiel habe in der Kabine eine „Totenstill­e“geherrscht.

Und so verabschie­dete sich die deutsche U21 zwar mit dem OlympiaTic­ket im Gepäck aus Tschechien, aber eben auch mit gemischten Gefühlen. „Wir haben in den letzten zwei Jahren viel zusammen erlebt“, sagte Hrubesch und rang sich zum Abschied ein vorsichtig­es Lächeln ab: „Wir gewinnen zusammen – und wir verlieren zusammen.“

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA

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