Eigentlich zu alt für sowas
Torhüterin Nadine Angerer rettet die deutschen Fußballerinnen im WM-Viertelfinale gegen Frankreich
MONTRÉAL (SID/dpa/sz) - Nachdem die Elfmeter-Spezialistin vom Dienst wieder einmal die deutsche Mannschaft gerettet hatte, gab es kein Halten mehr. Die völlig ausgepumpten Mitspielerinnen stürmten mit letzter Kraft auf Nadine Angerer zu, selbst Bundestrainerin Silvia Neid rannte nach der WM-Nervenschlacht im Vollsprint über den Kunstrasen von Montréal, um sich der Heldin in die Arme zu werfen.
„Eigentlich bin ich zu alt für sowas“, sagte die 36-jährige Angerer stöhnend nach dem dramatischen 5:4 im Viertelfinal-Elfmeterkrimi gegen Frankreich. Vollgepumpt mit Adrenalin steckte die Torhüterin nach dem abgewendeten vorzeitigen Ende ihrer Karriere im DFB-Trikot im Gefühlschaos: „Ich habe mich total gefreut, gleichzeitig aber auch total leer gefühlt. Trotz Happy End muss man so ein Spiel erst mal sacken lassen.“
Nachdem fünf deutsche und vier französische Schützinnen vom Punkt getroffen hatten, witterte Angerer, die nach der WM ihre Nationalmannschaftskarriere beenden wird, bei Youngster Claire Lavogez (21) ihre Chance. „Ich hatte das Gefühl, dass sie Angst hatte. Der Rest war mehr Intuition.“Den halbhohen Schuss wehrte Angerer mit dem linken Knie ab – Halbfinale
Celia Sasic verriet nach dem Elfmeterschießen: „Natze hat vor dem Spiel gesagt: ,Wir dürfen auf keinen Fall nach Hause fahren, weil ihr Shampoo noch nicht leer ist.’“Für zwei Spiele reicht das Haar-Waschmittel noch. Die Hürde im Halbfinale ist in der Nacht zum Mittwoch (1.00 MESZ/ARD und Eurosport) erneut im Olympiastadion der ebenfalls zweimalige Weltmeister USA, der China 1:0 (0:0) besiegte.
Vor dem Elfer-Duell hatte Bundestrainerin Silvia Neid ihrer Kapitänin noch etwas aufgetragen: „Ich sagte: ,Du musst zwei Elfmeter halten.’ Sie sagte: ,Zwei gleich? Okay!’“Es ist in großen Spielen einfach die Spezialität der Weltfußballerin von 2013: Im WM-Finale 2007 parierte Angerer einen Strafstoß von Brasiliens Superstar Marta, im EM-Endspiel vor zwei Jahren gegen Norwegen entschärfte sie sogar zwei Elfmeter – damals jeweils aus dem Spiel heraus.
„Endlich mal frei sein“
Seit Angerer vor acht Jahren nach über einem Jahrzehnt als Ersatztorhüterin hinter Silke Rottenberg die Nummer eins im deutschen Team wurde, hat sie alle Höhen und Tiefen an vorderster Front miterlebt. Nicht nur wegen ihrer sportlichen Heldentaten, sondern auch als charismatische Führungsfigur ist sie aus dieser Auswahl nur schwer wegzudenken.
„Natze ist einfach ein Phänomen. Sie geht immer voran und ist in wichtigen Situation verlässlich voll da“, sagte Melanie Leupolz: „Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn sie nach der WM aufhört.“
Und doch, nur noch zwei WMAuftritte, dann ist nach 146 Länderspielen Schluss im DFB-Trikot: „Ich kann dann endlich mal frei sein, ohne Druck, ohne funktionieren zu müs- sen.“Irgendwann hat selbst die Elfmeter-Expertin vom Dienst genug vom Adrenalin.
Zunächst aber wird der Druck noch steigen – das Spiel gegen die USA ist laut Angerer eines mit völlig anderem Charakter. Im Gegensatz zu den französischen Edeltechnikerinnen lebt das Team von Jill Ellis von der Kraft, von hoher Laufbereitschaft und unbedingtem Siegeswillen. Spielerisch ist es im Mittelfeld, das stets schnell überbrückt wird, eher limitiert: „Die USA sind ein richtig starker Gegner mit einer erfahrenen Mannschaft, die viel individuelle Klasse hat. Sie sind sehr athletisch und kommen über ihre Po- wer“, erläuterte Angerer, die in ihrer zweiten und letzten Saison für die Portland Thorns in der US-Profiliga spielt. „Ich habe mit einigen Nationalspielerinnen bereits zusammengespielt. Sie kennen mich, aber ich kenne sie auch. Es wird auf jeden Fall wieder ein sehr, sehr schweres Spiel werden.“