Von Bord gegangen
Gespräche mit Griechenland gescheitert Athen droht Staatsbankrott EZB setzt Tsipras unter Druck Heute Krisentreffen bei Merkel
BERLIN - Herrschte am Samstag in Brüssel noch Entsetzen und Verwunderung, so hat die Zuspitzung im Schuldenstreit mit Griechenland die Berliner Politik am Sonntag in Alarmbereitschaft versetzt. Angesichts des denkbaren Staatsbankrotts in Athen lud Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien für heute zu einem Krisentreffen ins Kanzleramt. Am Abend telefonierte Merkel mit US-Präsident Barack Obama. Beide hielten es übereinstimmend für „entscheidend wichtig“, Griechenland auf einen Reformweg zurückzuführen und in der Eurozone zu halten, erklärte das Weiße Haus.
Einigkeit herrschte bei Union und SPD, dass die griechische Regierung für das vorzeitige Ende der Verhandlungen in Brüssel beim Treffen der Euro-Finanzminister am Samstag verantwortlich sei. Regierungschef Alexis Tsipras hatte in der Nacht zum Samstag überraschend ein Referendum über die Vorschläge der Geldgeber für kommenden Sonntag angekündigt. Die Finanzminister der Eurozone warfen Tsipras daraufhin vor, einseitig die Verhandlungen abgebrochen zu haben. Sie entschieden, das am Dienstag auslaufende Hilfsprogramm nicht zu verlängern.
Tsipras und sein Finanzminister Giannis Varoufakis seien „Hasardeure“und mit ihrer Strategie einer Spaltung Europas gescheitert, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder. „Sie führen das Land ins Chaos“, warnte er. Tsipras schlage die ausgestreckte Hand für „eine Hilfe zur Selbstbehauptung in Würde“aus, erklärte SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel der „Süddeutschen Zeitung“. Er sei „entsetzt“über das Vorgehen der griechischen Regierung. Die Angebote der Euroländer „gingen weiter als alles, was es bisher gab“. Gabriel stellte klar, dass es auch nach dem Referendum kein besseres Angebot geben werde.
Somit steuert das Land womöglich auf einen Staatsbankrott zu. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Nothilfen an Griechenlands Finanzinstitute zwar vorerst nicht gestoppt, was möglicherweise einige Banken in die Pleite getrieben und damit auch die dortige Wirtschaft lahmgelegt hätte. Am Sonntag fror die Notenbank die Notkredite, die sogenannten ELA-Kredite, jedoch auf dem aktuellen Stand von rund 90 Milliarden Euro ein. Das drastischste Szenario, dass die Bank nach Scheitern der Gespräche zwischen Athen und seinen Gläubigern die Hilfen streichen würde, trat nicht ein. Dennoch setzte die EZB Athen mit der Entscheidung, den Geldhahn nicht weiter zu öffnen, unter Zugzwang.
Griechische Banken bleiben bis auf Weiteres geschlossen
Die erste Reaktion folgte am Sonntagabend. Laut Ministerpräsident Tsipras bleiben die Banken in Griechenland vorerst geschlossen, gerüchteweise sogar bis nach dem Re- ferendum. Gleichzeitig beteuerte der Regierungschef, die Ersparnisse, Löhne und Renten der Bürger seien „garantiert“. Zugestimmt hat Tsipras auch sogenannten Kapitalverkehrskontrollen. Damit werden zum Beispiel die Beträge für Abhebungen an Geldautomaten auf kleine Summen gekappt. Finanzminister Varoufakis hatte sich zunächst noch vehement dagegen ausgesprochen. „Kapitalkontrollen in einer Währungsunion sind ein Widerspruch in sich. Die griechische Regierung lehnt dieses Konzept ab“, hatte er beim Online-Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben. Zuletzt hatten allerdings immer mehr seiner verunsicherten Landsleute Bargeld abgehoben – insgesamt in Milliardenhöhe.
In dieser Woche läuft zudem das Hilfsprogramm von Euro-Partnern, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EZB aus. Damit fehlen dem hoch verschuldeten Staat Milliarden, die zur Tilgung von IWFSchulden benötigt werden. Allein am Dienstag sind 1,6 Milliarden Euro fällig. Denkbar ist mittelfristig somit zudem das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Diese Gefahr leugnete Varoufakis ebenfalls. „Die Europäischen Verträge sehen einen Austritt aus der Eurozone gar nicht vor. Wer das von uns verlangt, muss zunächst einmal die Verträge ändern“, hatte er am Samstag vor seiner Abreise aus Brüssel erklärt.
Derweil warnte Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, vor den außenpolitischen Folgen. „Ein außen- und sicherheitspolitisch vagabundierendes Griechenland wäre in der Balkanregion ein Unsicherheitsfaktor, den wir vermeiden müssen“, sagte der CDU-Politiker der „Schwäbischen Zeitung“. Röttgen weiter: „Das geht nur, wenn Athen bereit ist, sich retten zu lassen. Gegen den eigenen Willen kann Griechenland nicht gerettet werden.“LEITARTIKEL