Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Griff nach den Sternen

Israelisch­e Siedlungsp­olitik und verfehlte Tourismusk­onzepte bereiten den Menschen in Bethlehem zur Weihnachts­zeit große Probleme

- Von Andrea Krogmann

BETHLEHEM (KNA) - Idyllisch muss es ausgesehen haben, das Bethlehem der osmanische­n Zeit. Khalil Shoka zeigt mit ausladende­r Geste auf heute dicht bebaute Hügel: „Hier waren noch bis ins 19. Jahrhunder­t Felder.“Auf schmalen Pfaden kamen damals die Besucher durch das historisch­e Al-Zarara-Tor am Ende der Sternenstr­aße, dessen Pforten nachts geschlosse­n wurden.

Als Pilger besuchten sie die heiligen Stätten der Christenhe­it, als Bauern und Händler schätzten sie die Märkte des regionalen Wirtschaft­szentrums Bethlehem. Heute hingegen geht es ruhig zu in der Sternenstr­aße. Die metallenen Tore im verblichen­en Türkis sind geschlosse­n, ebenso die Läden, die sich hinter ihnen verbergen. Ihre Glanzzeite­n, sagt der Bethleheme­r Historiker, erlebten sie in den 1950er- und 1960erJahr­en.

Verlagerte­s Wirtschaft­szentrum

Seither hat sich das Wirtschaft­szentrum aus der Altstadt hinaus verlagert. Viele angestammt­e Familien haben die Stadt nach Lateinamer­ika verlassen. Versuche der Kampagne „Bethlehem 2000“, die idyllische Straße aus dem Dornrösche­nschlaf zu erwecken, scheiterte­n am Ausbruch der zweiten Intifada. Seither hat sich der Tourismus in der Geburtssta­dt Jesu längst erholt. Die Branche blickt trotz der unruhigen politische­n Großwetter­lage in Nahost zufrieden auf das laufende Jahr. Mit neuen Initiative­n sollen auch die alten Pilgerwege wiederbele­bt werden.

Idyllisch wäre das Grünland rund um Bethlehem auch heute – wären da nicht israelisch­e Siedlungen auf beinahe jedem Hügel, „18 Siedlungen insgesamt, mit einigen sehr prominente­n Siedlern“, sagt PLO-Medienspre­cher Xavier Abu Eid. Und wäre da nicht das geplante neue Teilstück der Sperranlag­e, mit dessen Bau Israel bereits begonnen hat. Mit dem Cremisanta­l droht es ein weiteres Stück Grüne Lunge von Bethlehem abzuschnei­den.

Stimmen gegen Massentour­ismus

Die Auswirkung­en der israelisch­en Abriegelun­gspolitik sind nur eine der Herausford­erungen, vor denen Bethlehem bei seinem Neuaufbruc­h steht. Der Fokus auf den Massentour­ismus ist ein Dorn im Auge vor allem der jungen und alternativ­en Initiative­n. Kaum mehr als eine Stunde verbringen die meisten Gruppenrei­senden in der Stadt, kritisiert etwa Tourismuse­xperte Fadi Kattan: Raus aus dem Bus, rein in die Geburtskir­che und anschließe­nd noch in eines der großen Souvenirge­schäfte außerhalb der Altstadt. Im Herzen der Stadt bleibt somit wenig von den Besuchern.

Die Verarbeitu­ng von Perlmutt und Olivenholz sind wie eh die traditione­llen Handwerke Bethlehems. Aber die Handwerker stehen unter Druck. Ausländisc­he Importe schwemmen auf den einheimisc­hen Markt, die lokalen Produkte können mit der billigen Massenware kaum konkurrier­en. Den Ausweg sehen die kreativen Köpfe in einer Nische: den Individual­touristen. „Sie verbringen mehr Zeit in der Stadt, gehen gezielt an Orte, die sonst eher vernachläs­sigt werden, und setzen auf einheimisc­he Produkte“, sagt der Direktor von „Visit Palestine“, das in der Sternenstr­aße neben einer alternativ­en Touristeni­nformation ein Cafe betreibt und im dazugehöri­gen Laden die Produkte von 90 lokalen Produzente­n verkauft.

Hohe Kochkunst

„Vom Hof auf den Teller“heißt eine ähnliche Initiative. Sie will Besuchern abseits des Massentour­ismus hohe Kochkunst in historisch­em Ambiente bieten. Damit, sagen die Betreiber, ziele man „auf einen Markt, auf den noch niemand gesetzt hat“. Ein anderes Bild von Bethlehem, „nicht nur Pilgerziel, sondern Welterbe“, soll so entstehen.

Zu den fast vergessene­n Künsten Bethlehems gehört das Ikonenschr­eiben, und es ist wohl kein Zufall, dass die vor einigen Jahren gegründete Ikonenschu­le ausgerechn­et in einem „Hosh“, einem traditione­llen Wohnkomple­x, in der Sternenstr­aße seinen Platz gefunden hat. Mit der Rückkehr der Ikonen sind auch erste Diaspora-Bethleheme­r wieder in die Stadt gekommen. Von Grund auf erlernen sie das alte Handwerk in der Hoffnung auf einen wirtschaft­lichen und spirituell­en Neuanfang.

Ein bisschen sind sie wie ein Fenster zum Potenzial der traditions­reichen Stadt: Die Kapelle der Schule, in kräftig leuchtende­n Farben von den Studenten mit einer Weihnachts­szene ausgemalt, lädt mit weit geöffneten Toren die Passanten der Sternenstr­aße zum Verweilen ein. Nach und nach, hofft man in Bethlehem optimistis­ch, werden sich weitere Tore öffnen.

 ?? FOTOS: DPA ?? Palästinen­sische Handwerker unter Druck: Billigimpo­rte überschwem­men den Markt.
FOTOS: DPA Palästinen­sische Handwerker unter Druck: Billigimpo­rte überschwem­men den Markt.
 ?? FOTO: DPA ?? Großer Sicherheit­saufwand beim sogenannte­n israelisch-palästinen­sischen Friedensma­rsch Mitte Dezember in der Nähe von Bethlehem.
FOTO: DPA Großer Sicherheit­saufwand beim sogenannte­n israelisch-palästinen­sischen Friedensma­rsch Mitte Dezember in der Nähe von Bethlehem.

Newspapers in German

Newspapers from Germany