Politiker fordern Konsequenzen nach Spionageskandal
Bundesanwaltschaft ermittelt nach Bespitzelung von Gegnern des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland
BERLIN - „Wir haben der Türkei schon mehrfach gesagt, dass sowas nicht geht. Unabhängig davon, wie man zu der Gülen-Bewegung steht, hier gilt deutsches Recht und hier werden nicht Bürger, die hier wohnen, von ausländischen Behörden ausspioniert“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte am Dienstag nach den Enthüllungen über die Bespitzelung von Gegnern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ein konsequentes Vorgehen an.
„Ein schwerwiegender Vorgang“, zeigte sich auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) alarmiert. Wegen des Spionageverdachts ermittelt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die Ermittlungen richten sich gegen unbekannte Angehörige des türkischen Geheimdienstes MIT, wie eine Sprecherin sagte.
Oppositionelle eingeschüchtert
Ganz überraschend kommt die Nachricht nicht, gibt es doch seit Langem Hinweise auf Versuche aus Ankara, Oppositionelle hierzulande auszuspionieren und einzuschüchtern. Jetzt ist es offenkundig: Der MIT hat Hunderte mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung, die Erdogan für den Putschversuch im vergangenen Sommer verantwortlich macht, beschattet, gefilmt und fotografiert. Doch nicht nur das: Der MIT verlangte von den deutschen Behörden auch noch die Mithilfe beim Ausspionieren von Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik, die nach Einschätzung hiesiger Stellen völlig unbescholten sind.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht eine weitere Eskalation der Spannungen nach Erdogans Nazi-Vergleichen und dem Streit über Wahlkampfauftritte erreicht. Auch die Union macht Druck auf die Regierung, Konsequenzen zu ziehen: Wenn Erdogans Spitzel identifiziert werden könnten, sollten diese ausgewiesen werden, forderte CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. Der Abgeordnete beschrieb die Affäre als „diplomatischen Störfall“.
Der Hergang ist kurios: MIT-Chef Kakan Fidan hatte BND-Chef Bruno Kahl im Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz eine Liste mit mehr als 300 Namen, 200 Vereinen, Unternehmen und Schulen überreicht. Sie alle sollen in Verbindung zur Gülen-Bewegung stehen. Für die Beteiligung des in den USA lebenden Fethullah Gülen am gescheiterten Putsch sehen die deutschen Geheimdienste keinerlei Anhaltspunkte.
Statt sich zum Helfershelfer des MIT bei der Jagd auf Oppositionelle zu machen, drehte BND-Chef Kahl den Spieß um, gab die Liste mit teils detaillierten Angaben und Kontaktdaten an die Sicherheitsbehörden in sämtlichen Bundesländern weiter, damit diese die betroffenen Bürgerinnen und Bürger warnen: Bei Reisen in die Türkei drohe ihnen womöglich die Festnahme, selbst beim Betreten türkischer Konsulate in Deutschland, etwa zur Stimmabgabe für das Verfassungsreferendum, könnten sie doch dabei den türkischen Behörden ins Netz gehen.
Die Empörung in Deutschland ist groß. „Erdogan richtet einen ungeheuren Schaden an“, sagte am Dienstag Oppermann. Zumal es nicht der erste Vorwurf ist, der türkische Präsident lasse Gülen-Anhänger in Deutschland bespitzeln. Auch Imame des Moscheevereins Ditib sollen dafür mobilisiert worden sein. Die nun bekannt gewordene massive Bespitzelung ist auch eine Blamage für die deutsche Gegenspionage, die offenbar davon nichts mitbekommen hatte. „Die Bundesregierung muss endlich für ernsthafte Ermittlungen gegen die Verantwortlichen sorgen“, forderte Volker Beck, migrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Bisher hätten die Auftraggeber der Bespitzelungen „ungestört und unbefragt in Deutschland ein- und ausreisen“können, sagte Beck.
Zur Identifizierung der ErdoganSpione hat MIT-Chef Fidan den deutschen Sicherheitsbehörden ungewollt wertvolle Informationen gegeben. Die von ihm übergebene Liste könnte Aufschluss geben, wer an den Überwachungsaktionen beteiligt war. Mehrere Experten schätzen die Zahl der türkischen Schnüffler in Deutschland auf rund 6000.