„Multinationale Zusammenarbeit verbessern“
In Ulm tagen ab heute Truppenpsychologen aus aller Welt - Wissenschaftler tragen vor
ULM - Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Kulturen – aber gemeinsam im Einsatz: Truppenpsychologen müssen möglichst alle Soldaten ihres möglicherweise international bunt gemischten Verbandes verstehen, ihren sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund kennen, nationale Eigenheiten respektieren. „Das ist eine große Herausforderung, denn nicht jede Nation kann in jeden Einsatz ihren eigenen Truppenpsychologen entsenden“, sagt Ulrike Beckmann-Zimmermann. Die Regierungsdirektorin ist Truppenpsychologin beim Ulmer Multinationalen Kommando Operative Führung. Ab Montag hat BeckmannZimmermann mehr als 80 Psychologen aus aller Welt zu Gast in Ulm. Ihr Thema: Wie kann die Wissenschaft die Praxis unterstützen und wie können Praktiker Wissenschaftlern Impulse zu Forschungsfragen geben. Damit beispielsweise ein französischer Psychologe im Einsatz deutsche, englische und belgische Soldaten beraten kann. Ludger Möllers sprach mit Beckmann-Zimmermann über den Kongress und Aufgaben der Truppenpsychologie.
Frau Beckmann-Zimmermann, warum braucht die Bundeswehr Truppenpsychologen. Kommen die Soldaten nicht alleine klar?
Doch, die meisten Soldaten kommen alleine klar. Es geht aber darum, Belastungen aus dem Einsatz besser zu verarbeiten. Ich erinnere mich an Soldaten, die im Kosovo Leichen bergen mussten. Sie wurden den Geruch später nicht mehr los. Immer dann, wenn irgendwo gegrillt wurde, erinnerten sie sich an diese Situation. Truppenpsychologen helfen dabei, diese Belastung besser zu verarbeiten.
Das klingt einsichtig. Und im Inland?
Ein anderes Beispiel: Ein schwerer Verkehrsunfall und seine Folgen beschäftigen den Soldaten. Er fragt: Ist das alles so richtig, was ich tue? Ist das sinnhaft? Truppenpsychologen helfen dabei, solch kritische Situationen zu verarbeiten. Unser Grundsatz: Wir beraten, wir behandeln nicht.
Seit wann gibt es in der Bundeswehr Psychologen?
Psychologen waren bereits kurz nach der Gründung der Bundeswehr dabei, sie waren aber hauptsächlich in der Personalauswahl, in der Forschung oder in anderen Bereichen tätig. Truppenpsychologen gibt es bei der Bundeswehr seit Ende der 90-er Jahre. Die ersten Einsätze folgten in Bosnien. Gerade aus den Belastungen in den Einsätzen entstand die Erkenntnis, dass auch Soldaten psychologische Betreuung brauchen.
Muss ein Soldat, der Belastendes verarbeiten muss, eigentlich sofort zum Psychologen?
Nein. Es gibt drei Stufen: Die erste Stufe ist der Kamerad. Die zweite Stufe besteht aus dem Psychosozialen Netzwerk mit dem Pfarrer, dem Sozialdienst, dem Truppenarzt und dem Truppenpsychologen. Die dritte Stufe ist dann die klinische Stufe.
Lassen Sie uns über Einsätze und die Belastungen sprechen. Was geben Sie Soldaten, die aus dem Einsatz nach Deutschland zurückkommen, mit auf den Weg?
Wir müssen die Soldatinnen und Soldaten schon im Einsatzland darauf vorbereiten, dass sie nach Hause kommen. Sie nehmen Bilder aus dem Einsatzland mit Hause. Dort versteht das niemand. Sie müssen wissen, wie die Familie reagieren wird, wenn sie aus dem Einsatz berichten und über dort erlebte Armut und Tod sprechen. Beispiel: Da reagieren Soldaten nach ihren Erlebnissen in Armutsländern auch einmal ungehalten, wenn aus ihrer Sicht zuhause zu viel Geld ausgegeben wird. Das kann zu Konflikten in der Familie führen. Und ganz wichtig: Wir müssen den Soldaten sagen: Ihr habt euch verändert. Deutschland hat sich aber nicht verändert. Zurück in Deutschland, folgt das Nachbereitungsseminar.
Nun beraten Sie im Einsatz Soldaten. Was kann der Kommandeur, der Befehlshaber, der Kompaniechef von Ihnen erwarten?
Wir beraten in erster Linie die militärischen Vorgesetzten. Nach einem Gefecht beispielsweise können wir beurteilen, ob die Truppe, rein psychologisch gesehen, weiter durchhaltefähig ist. Wir können Tipps geben. Und manchmal ist es gut, Entscheidungen auch zu modifizieren. Nach lang anhaltenden Gefechtsbelastungen muss man vielleicht auch einmal eine geplante Operation verschieben.
Nochmal ein Blick in den Einsatzalltag: Was kann denn der erste Schritt nach einer belastenden Situation sein?
Wieder ein Beispiel: Nach einer Kampfhandlung oder nachdem ein Fahrzeug auf eine Mine gefahren ist, können schon einfache Hinweise hilfreich sein, wie zum Beispiel, dass die Kameraden gegenseitig aufeinander achten: Wenn jemand schlecht schläft, dann soll es der Kamerad neben ihm bemerken.
Und was tun Sie, um Soldaten für den Einsatz fit zu machen?
Jeder Soldat, jede Soldatin nimmt an einer Einsatzvorbereitung teil. Dabei geht es um allgemeine und länderspezifische Belastungen und dem persönlichen Umgang damit. Es geht darum, ihm Verfahren an die Hand zu geben, wie er oder sie langfristigen oder plötzlich eintretenden Belastungen entgegenwirken kann, ohne daran Schaden zu nehmen. Es geht aber auch um Fragen wie beispielsweise: Wer soll im Fall von Verletzung oder Tod eigentlich angerufen werden? Vieles muss geregelt sein. Und es geht darum sich auf vielfältige Situationen und Gegebenheiten vorzubereiten: Dass es in Afghanistan beispielsweise anders riecht und dass die Wachsamkeit auch am Ende eines Einsatzes nicht nachlassen darf.
Nun haben Sie hier im Ulmer Kommando ein ausgesprochen internationales Umfeld. Wie gehen Sie vor?
Hier im Ulmer Kommando beraten wir natürlich auch Einzelpersonen aus allen Nationen, die hier im Kommando vertreten sind, natürlich dann auch auf Englisch. Deren Problem sind in aller Regel keine anderen als bei unseren Deutschen. Sie berichten ebenso aus ihren Einsätzen im Sudan, aus der Türkei; sie wollen ihre Familien und die Kameraden damit vielleicht nicht belasten. Manchmal kommen auch Vorgesetzte und fragen: „Darf ich meinen Mitarbeiter schicken?“
Wo ist die große Herausforderung?
Es geht darum, dass Verständnis für Angehörige verschiedener Nationen zu fördern, um die multinationale Zusammenarbeit zu verbessern. Wer nicht weiß, dass es in manchen Ländern nicht üblich ist, sich jeden Morgen die Hand zu geben, wird dies sehr schnell als unhöflich bewerten und sein Gegenüber als eingebildet abstempeln. Wer nur weiß, dass es weiße Schwäne gibt, wird einen schwarzen Schwan nicht als Schwan erkennen.
Wen erwarten Sie ab Montag hier in Ulm?
Es kommen Gäste aus ganz 23 ganz unterschiedlichen Ländern. Die Rumänen beispielsweise haben Truppenpsychologen, in Indonesien wächst das Interesse. Dort merkt man: Truppenpsychologen und ihre Arbeit tun der Truppe und der Erfüllung ihres Auftrags gut.
Und die Inhalte der Konferenz?
Es geht um die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Psychologie um sie für die Praxis des militärischen Alltags nutzbar zu machen: „Science meets Practice“, das Motto der Konferenz: Zum zweiten geht es um die Vernetzung der Militärpsychologen, um den Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen und um die mögliche Zusammenarbeit.
Was kann die Wissenschaft Ihnen bringen?
Wir sind angewiesen auf die Wissenschaft. Denn unser Aufgabenumfeld als Truppenpsychologen ist breit: Wir sind in aller Regel Arbeits- und Organisationspsychologen und beraten zur Führungsfragen, zur Resilienz, zur Familie, zur Belastung, zu Krisenintervention und zur Organisationsentwicklung. Zu all diesen Gebieten bedarf die Praxis der ständigen Rückkopplung mit Wissenschaft. Die gerade genannten Themen gestalten sich im Ulmer Kommando im Alltag multinational.
Wie wird das Ulmer Kommando, die hier arbeitenden Soldaten von der Konferenz, profitieren?
Die Themen und Vorträge der Konferenz sind in besonderer Weise auf Strukturen und Aufgaben des multinationalen Kommandos in Ulm zugeschnitten. So gibt es Hauptvorträge zu Führung und Organisationsentwicklung gerade in multinationalen Einheiten und Verbänden, die dieses Kommando im Einsatzfall führt.