Fünf Freunde
Nicht nur bei der Diesel-Abgasreinigung sollen sich deutsche Autobauer abgesprochen haben
HAMBURG (dpa) - Deutsche Autobauer stehen unter dem Verdacht jahrelanger illegaler Absprachen zu Lasten von Verbrauchern und Zulieferern. Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler sollen sich in einem gemeinsamen Kartell über Technik, Kosten und Zulieferer abgesprochen haben. Das berichtet das Nachrichtenmagazin „Spiegel“.
Das Magazin berief sich dabei auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht haben soll. Auch Daimler habe eine „Art Selbstanzeige“hinterlegt. Die Aktien der Autobauer sackten am Freitagnachmittag deutlich ab.
Volkswagen, Daimler und BMW wollten sich nicht dazu äußern. Daimler und BMW sprachen von „Spekulationen“. Das Bundeskartellamt in Bonn erklärte mit Blick auf den „Spiegel“-Bericht: „Details laufender Verfahren können wir nicht kommentieren.“
Der Vorwurf wiegt schwer: Mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen sollen sich seit den 1990er-Jahren in geheimen Arbeitskreisen abgestimmt und auf diese Weise den Wettbewerb außer Kraft gesetzt haben. Es soll um alle Details der Autoentwicklung gegangen sein.
Dabei besonders brisant: mögliche Absprachen zur Technik für die Diesel-Abgasreinigung. Laut dem Bericht stimmten sich Daimler, BMW, Audi, Porsche und VW seit Jahren etwa darüber ab, wie groß die Tanks für AdBlue sein sollten – ein Harnstoffgemisch, mit dessen Hilfe Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufgespalten werden. Weil große Tanks teurer gewesen wären, sollen sich die Firmen auf kleine Tanks geeinigt haben. Diese hätten aber später nicht ausgereicht, Abgase ausreichend zu reinigen.
Nach den „Spiegel“-Informationen könnte an dieser Stelle die Basis für den Dieselskandal geschaffen worden sein. Im September 2015 hatte VW zugegeben, millionenfach Dieselmotoren manipuliert zu haben, deren Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand zufriedenstellend arbeitete. Auch das „Handelsblatt“meldete entsprechende Absprachen. Demnach findet sich unter den von der Staatsanwaltschaft München II bei Durchsuchungen im VW-Konzern, in Wohnungen und bei der USKanzlei Jones Day beschlagnahmten Unterlagen eine Audi-Präsentation namens „Clean Diesel Strategie“von April 2010. Darin sei von einem „Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene“die Rede. Dieses betreffe den Einbau kleinerer AdBlue-Tanks.
In den Arbeitsgruppen sei es auch um die Auswahl von Lieferanten oder die Festlegung von Bauteilkosten gegangen, berichtete der „Spiegel“. Es bestehe „der Verdacht“– so soll es in der Selbstanzeige von VW heißen –, dass es zu „kartellrechtswidrigem Verhalten“gekommen sei. Eine Sprecherin der Finanzaufsicht Bafin konnte zunächst nicht sagen, ob die Unternehmen in einem solchen Fall dazu verpflichtet sind, die Finanzmärkte zu informieren.
Im Kartellrecht sind Vereinbarungen verboten, die den Wettbewerb beschränken. Denn solche Absprachen können etwa Preise künstlich hoch halten oder die angebotenen Produktmengen verknappen – und damit Verbraucher schädigen. Verfahren haben bereits zu Millionenstrafen in verschiedenen Industriezweigen geführt. Zementhersteller, Brauereien oder auch Wurstfabrikanten wurden wegen illegaler Absprachen zur Kasse gebeten. Auch die Autobranche stand schon im Fokus. Die Kosten waren allerdings gering im Vergleich zu den Milliardenzahlungen, die VW allein in den USA wegen der Abgas-Manipulationen leisten muss.
Beifang der Stahlkartellermittlung
Hintergrund der Kartellvorwürfe sind laut „Spiegel“Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen. Das Kartellamt hatte im vergangenen Sommer Büros von Autobauern und Zulieferern durchsucht – unter anderem VW, Daimler und BMW sowie Bosch und ZF, wie Sprecher der Konzerne damals bestätigten. Die „Schwäbische Zeitung“hatte die Absprachen im Juli 2016 aufgedeckt. Ein Sprecher des Kartellamts sagte dazu: „Es wurden sechs Unternehmen durchsucht, insgesamt waren 50 Mitarbeiter des Bundeskartellamts beteiligt.“Bis zum Abschluss solcher Verfahren gelte immer die Unschuldsvermutung, betonte er.
Zur Frage, ob bei diesen Aktionen auch Hinweise auf weitergehende mögliche Verstöße gefunden wurden, wollte sich das Amt nicht äußern. Nach Einschätzung des „Spiegel“fanden sich die Hinweise auf mögliche illegale Absprachen als „eine Art Beifang“. Was Angela Merkel als Deutschlands Autokanzlerin seit zehn Jahren macht, das geht überhaupt nicht. Sie macht in Matthias Wissmann einen Parteifreund zum Cheflobbyisten der Autoindustrie. Sie mildert die Grenzwerte aus Brüssel ständig ab und macht mit ihrer Koalition Gesetze, die unglaublich löcherig sind. Seit Jahren forciert sie einen künstlichen Dieselboom durch Vergünstigungen bei Kfzund Mineralölsteuer. Sie weigert sich, gegen die Autokonzerne Strafen auszusprechen, die gegen Gesetze verstoßen. Und sie macht bei der Kontrolle der Grenzwerte den Bock zum Gärtner.
Was meinen Sie damit?
Warum muss das Kraftfahrtbundesamt die Einhaltung der Grenzwerte bei Abgasen prüfen? Diese Behörde ist für solche Dinge gar nicht zuständig, dafür haben wir das Umweltbundesamt.
Was bedeuten die Enthüllungen für die Industrie?
Die Situation für die Autokonzerne wird immer katastrophaler, ihre Verantwortung immer deutlicher, und die Verunsicherung der Kunden immer größer. Es weiß ja keiner mehr, was man der Industrie noch glauben soll, welche Nachrüstungen und Software-Updates überhaupt funktionieren. Selbst Verkehrsminister Alexander Dobrindt gibt andauernd Dinge frei, von denen keiner weiß, ob sie etwas bringen. Die Konzerne verspielen Vertrauen, das ist unbeschreiblich.
Das Ausmaß überrascht: Wie viel kriminelle Energie ist für ein solches Kartell nötig?
Gar nicht so viel. Denn die Autokonzerne sitzen immer beisammen und tauschen sich aus. Sie stellen ihre Systeme und Lösungen für Probleme vor. Das ist nichts Neues und solche Arbeitskreise sind üblich und auch nötig. Und von da ist es nur ein sehr kleiner Schritt bis hin zu illegalen Absprachen. Das ist ein schmaler Grat – und ich glaube, das wird auch schwer nachzuweisen sein. Das ist eher eine Gemeinschaft von Unternehmen, die das gleiche Problem haben. Für uns ist aber nicht die Gemeinschaft das Problem, sondern vor allem die löcherigen Gesetze.
Werden die Vorstandschefs der beschuldigten Konzerne im nächsten Jahr noch dieselben sein?
Das ist Spekulation, das kann man nicht sagen. Allerdings wird die Affäre ein großes Thema in der Bundestagswahl werden. Die Politik wird intensiv darüber diskutieren, was zu tun ist.
Was bedeutet das Kartell für das Ansehen der Unternehmen?
Die deutschen Konzerne werden in aller Welt ihren Heiligenschein verlieren – Verbände, Politiker und Kunden werden ihnen sehr misstrauisch gegenübertreten.