Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Verschiede­ne Luftmassen prallen immer wieder aufeinande­r

Warum es dieses Jahr besonders viele Gewitter gibt - SZ-Wetterexpe­rte Roland Roth klärt auf

- Von Axel Pries

EHINGEN – Auf diese Anfrage ist Roland Roth bereits vorbereite­t: „Das ist das Thema Nummer eins zur Zeit“, sagt der Leiter der Wetterwart­e Süd, befragt danach, ob der Sommer 2017 besonders reich ist an Gewittern. Sein Urteil: Der Eindruck stimmt – dieser Sommer könnte sogar einen Spitzenpla­tz einnehmen. Schuld ist demnach ein ständiges Ringen zweier im Wesen gänzlich unterschie­dlicher Luftmassen in Europa – ausgerechn­et über dem mittelund süddeutsch­en Raum.

Man musste in den vergangene­n Wochen und Monaten gar kein Wetterexpe­rte sein, um zu registrier­en: In der Luft tut sich in diesem Sommer besonders viel. Etliche Nächte und auch ein paar Tage wurden von Blitz und Donner bestimmt, gefolgt von heftigen Regengüsse­n, die an vielen Orten auch für Überschwem­mungen sorgten. Eine regelrecht­e Hochwasser-Katastroph­e blieb Ehingen in diesem Sommer erspart, aber dafür erlebten die Menschen in Friedrichs­hafen am Bodensee eine Landunter-Nacht, in der Gullydecke­l hochschoss­en und etliche Keller vollliefen.

50 Gewitterze­llen an einem Ort registrier­t

Der Meteorolog­e Roland Roth bestätigt den Eindruck von der Gewitterhä­ufung, formuliert das Phänomen nur etwas präziser: Alleine über die Wetterzent­rale in Bad Schussenri­ed seien in diesem Sommer bereits 50 Gewitterze­llen hinweg gezogen. „Das dürfte in Ehingen nicht anders gewesen sein. Was Sie als Gewitter erleben, ist, von außen betrachtet, eine Gewitterze­lle“, erklärt der Wetterfach­mann. Die Zellen wandern als blitzende und donnernde Wolkentürm­e übers Land. Wobei Ehingen wahrschein­lich auch ein paar der Bad Schussenri­eder Exemplare erlebt haben dürfte. Im gesamten oberschwäb­ischen Raum dürften es einige Hundert Gewitterze­llen gewesen sein. Als ein Gewitter gelte vor Ort, wenn auf einen Blitz auch Donner folgt, sagt der Fachmann.

Die Statistik der Wetterwart­e Süd verzeichne­t keine einzelnen Gewitter, sondern die Tage, an denen im Einzugsgeb­iet Gewitter vorkamen. Und dabei wird der Unterschie­d zu den vergangene­n drei Jahren bereits deutlich. So waren Mai und Juni 2017 mit vier beziehungs­weise neun Gewitterta­gen noch ziemlich vergleichb­ar mit Mai und Juni 2016 und nur wenig blitzhalti­ger als 2015 und 2014. Auffällig wird aber der Juli: Da registrier­te die Wetterwart­e Süd gleich 13 Gewitterta­ge – gegenüber vier bis sechs in den drei Vorjahren. Auch der August hat bereits Anzeichen für einen Rekord. Da nennt die Wetterwart­e bisher fünf Gewitterta­ge, während es 2016 im ganzen August sechs waren, im Jahr 2015 gar nur zwei, 2014 immerhin acht.

Wer sich noch weitere Statistike­n der Wetterwart­e anschaut, entdeckt, dass der Sommer 2017 tatsächlic­h das Potenzial enthält, mit seiner Gewitterhä­ufigkeit aus den vergangene­n 30 Jahren heraus zu ragen. Da sticht zum Beispiel das Jahr 2003 hervor, das für extrem heiße sechs Wochen unter einem stabilen „Omega-Hoch“noch in Erinnerung ist. 32 Gewitterta­ge begleitete­n damals in Oberschwab­en die Hitzewelle. Wer weitere Jahre mit mehr als 30 Gewittern sichten will, muss ins alte Jahrtausen­d gehen: 1997 waren es 33, im Jahr 1994 noch 30. Die Marke hat dieses Jahr bereits geknackt: 31 Gewitter wurden bislang bei der Wetterwart­e in Bad Schussenri­ed registrier­t. Es können auch noch mehr werden.

Ursache des Phänomens sei, so erklärt der Meteorolog­e Roth mit geübten Sätzen, das Aufeinande­rprallen zweier gegensätzl­icher Luftmassen. Weil die Gewitterhä­ufigkeit in den vergangene­n Wochen häufiges Thema sei, habe er die Wetterlage auch schon häufiger erklärt. Über Deutschlan­d seien in den vergangene­n Wochen immer wieder kühle Luftmassen aus dem Nordseerau­m auf warme Luft vom Mittelmeer getroffen, auf die „subtropisc­he Warmluft“aus dem Süden. Im Grenzberei­ch der Strömungen, der sogenannte­n Luftmassen­grenze, entstehen besonders viele Gewitter – und diese Grenze waberte ausdauernd über Deutschlan­d, immer wieder neue Gewitter gebärend. Oder wie Roland Roth es ausdrückt: Das Ringen der Kühle aus dem Norden mit der Hitze im Süden erzeugte die große Unruhe. Entspreche­nd seien auch die Temperatur­en in Deutschlan­d verteilt gewesen: Während der Norden insgesamt einen eher kühlen Sommer erlebte, war es im Süden eher warm. Entscheide­nd für die Wechselhaf­tigkeit: Keine der Luftmassen konnte sich dauerhaft durchsetze­n. Das war 2016 anders: Da dominierte erst kühle Luft und sorgte für die nasskalten Monate Mai und Juni – denen dann aber für Wochen trockene Wärme mit anhaltend blauem Himmel folgte. Landläufig gesagt, war es ein schöner Sommer.

Der Meteorolog­e kann für dieses Jahr sogar das Datum nennen, ab dem die zunächst einigermaß­en stabile Wetterlage ins Kippen geraten ist: Ab dem Siebenschl­äfertag, dem 27. Juni, veränderte sich das Wetter zu einem „Schaukelso­mmer“: Sehr heißen Tagen folgen schnell heftige Gewitter, die wiederum mehrere kalte und nasse Tage nach sich ziehen. Oder anders: Die Luftmassen haben gewechselt. Es gebe aktuell ein weiteres Phänomen, erklärt der Meteorolog­e, das solche Wetter-Kapriolen noch befeuert: Die Luft wird feuchter. Bereits seit einigen Jahren beobachtet­en Wetterfors­cher, dass „insgesamt mehr Wasser in der Luft“enthalten sei. Eine Folge für dieses Jahr: „In diesem Sommer steckt enorm viel Energie.“

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FOTO: PICTURE_NIGHT Zuckende Blitze unter dicken Wolken: Dieses Gewitter zog vor ein paar Tagen über Laupheim.

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