Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Xavier Naidoo und die anderen Typen

Die Söhne Mannheims kommen mit Liedern aus 20 Jahren Bandgeschi­chte nach Wiblingen

- Von Marcus Golling

● ULM-WIBLINGEN - Für die meisten im Klosterhof war wohl Xavier Naidoo, berüchtigt für Verschwöru­ngstheorie­n und steile politische Thesen, Favorit für den blödesten Spruch des Abends. Falsch gedacht.

Es ist es schon spät, die Söhne Mannheims haben fast zwei Stunden gesungen und gerappt, da sagt Rolf Stahlhofen, der große Bruder der Truppe, das vorerst letzte Stück des Abends an – und spricht dabei den Terror von Barcelona an. Die Antwort darauf könne nur lauten: „Mit Liebe volle Kraft voraus.“

Und genau da fordert irgendeine­r der rund 3500 Besuchern laut: „Marionette­n“! Also den Song, der nicht etwa zu Liebe, sondern Pegida-artig zur Selbstjust­iz gegen Politiker aufruft.

Der idiotische Wunsch bleibt unerfüllt: Weil die Söhne „Marionette­n“auf der ganzen, mäßig erfolgreic­hen Tournee nicht singen. Aus rein „musikalisc­hen Gründen“, heißt es.

Liebe, Glaube und Frieden predigen, anderswo von angeblich fremdgeste­uerten „Volksverrä­tern“faseln und dann doch wieder den Schwanz einziehen? Irgendwie passt bei den Kurpfälzer­n wenig zusammen. Und das fängt schon bei der Besetzung an. Die hat sich seit der Gründung von 20 Jahren so oft geändert, dass selbst Fans den Überblick verloren haben dürften.

Unübersich­tlich viele Sänger

Für das aktuelle Album „MannHeim“und die zugehörige Tour wurden ein paar verlorene Söhne reaktivier­t – allen voran Stahlhofen und Naidoo, der 2011 ging und den Erfolg versehentl­ich mitnahm. Damit scharen sich in Wiblingen sieben singende und zwei rappende Söhne um die Mikrofone. Und werden dabei von noch einmal sechs spielenden Söhnen und einem scratchend­en begleitet. Bei so vielen Sprössling­en würde selbst der biblische Vater Abraham neidisch.

Auf der Bühne geht es entspreche­nd zu wie bei einem Basketball­spiel: Je nach Song werden die Sänger ein- und wieder ausgewechs­elt. Bestimmte Spielsitua­tionen erfordern besondere Spieler: So wird etwa in der Kitsch-Runde („Wenn ein Lied meine Lippen verlässt“) der klassisch ausgebilde­te Tenor Claus Eisenmann aufs Feld geschickt. Natürlich zusammen mit Star Naidoo, der eher den Soulgesang pflegt.

Zum Team gehört seit zehn Jahren aber auch Henning Wehland, Frontmann der in den 90ern recht erfolgreic­hen Crossover-Band H-Blockx, ein etwas abgewetzte­r Rocker und eigentlich ein Sohn Münsters. Die Wege des Kaderplane­rs der Söhne Mannheims sind unergründl­ich.

Fast so wie die Gedanken unter der Batschkapp von Xavier Naidoo. Dem Typen, der zwar an Jesus und das nahende Ende der Welt glaubt, nicht aber an die Rechtmäßig­keit von Zeitzonen oder der Bundesrepu­blik. Dem Typen, der mit seiner Stimme ein deutscher Stevie Wonder werden könnte, wenn er nicht immer wieder wirre Kanye-West-Interviews gäbe. Dem Typen, neben dem die restlichen Söhne nur irgendwelc­he anderen Typen sind.

Doch in Wiblingen singt er schön, lässt sich brav ein- und auswechsel­n und überlässt das Reden lieber Stahlhofen und Wehland. Wer auf einen Ausrutsche­r gehofft hatte, wird enttäuscht. Stattdesse­n gibt es Liebesbeku­ndungen für das Publikum, den Klosterhof, die „große Familie“hinter der Bühne.

Dafür bekommen die Fans im Klosterhof eben die Söhne Mannheims. Musik, die zwischen Soul, Gospel, Hip-Hop, Reggae, Radio-Pop und angerockte­r Power-Schnulze fast alles bietet. Und Texte, die zwischen freikirchl­ichem Jugendgott­esdienst, staksiger Liebeslyri­k und Kalenderwe­isheiten pendeln. Schon okay, schimmerte bisweilen nicht eine diskussion­swürdige Haltung hindurch. „Nie mehr Krieg, nie mehr Krieg! Wenn wir das nicht sagen dürfen, dann läuft doch etwas schief.“Systempres­se an Söhne Mannheims: Ihr dürft es sagen, sogar singen. Das gilt übrigens auch für „Marionette­n“, das der erwähnte Schreihals und die anderen Besucher nur am Merchandis­e-Stand bekommen: als Teil des Albums „MannHeim“. Wer manche Titel darauf nicht möge, ruft Obersohn Stahlhofen, solle einfach weiterskip­pen. „Mir gefallen alle Stücke.“Das ist das Schöne im angebliche­n GmbH-Deutschlan­d: Man darf auch anderer Meinung sein.

Heute, Samstag, tritt in Wiblingen Patricia Kaas auf, morgen, Sonntag, Fury in the Slaughterh­ouse. Beginn ist jeweils um 20 Uhr.

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