Die programmierte Katastrophe
Ischia ist Erdbebengebiet, aber Sicherheitsmaßnahmen wurden wieder mal umgangen
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ROM - Montagabend kurz vor 21 Uhr bebte die Erde auf der Ferieninsel Ischia. Ein zauberhaftes Eiland mit vielen Thermenhotels, in denen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel regelmäßig Urlaub macht. Von dem Beben der Stärke 4 auf der Richterskala war vor allem der Norden der Insel mit den Ortschaften Casamicciola und Lacco Ameno betroffen. Bisher wurden zwei Tote geborgen. Es gibt rund 40 Verletzte, rund 2600 Personen wurden obdachlos. Drei Kinder konnten am Mittag aus den Trümmern ihrer Elterhäuser geborgen werden. Sie hatten „Schutz unter ihren Betten gefunden“, sagte ein Sprecher des Rettungsdienstes.
Noch in der Nacht auf Dienstag reisten über 1000 Touristen ab. Ein Trend, der sich tagsüber fortsetzte. Die Menschen haben Angst, auch wegen der zahlreichen Nachbeben.
Das Beben traf die Insel vollkommen unvorbereitet, heißt es aus dem Rathaus von Casamicciola. Doch genau das scheint nicht der Fall zu sein, glaubt man den Experten des Nationalen vulkanologischen und Erdbebeninstituts in Neapel INGV. „Hier hätte eigentlich niemand unvorbereitet sein dürfen“, klagt Romano Camassi vom INGV, „denn seit dem Mittelalter, seit 1229, werden hier regelmäßig Erdbeben gemessen, die zum Teil verheerend waren.“Im Jahr 1883 starben auf Ischia mehr als 2000 Menschen bei einem Beben. „Das war in der Hochsaison damals, deshalb so viele Opfer“, erklärt Camassi. Dem Erdbebenforscher Gianluca Valensise vom INGV zufolge „ist doch bekannt, und das seit Langem, dass der Nordteil der Insel ein Gebiet ist, das auch bei eigentlich geringen Beben schwer in Mitleidenschaft gezogen werden kann“.
Zum einen kam es zu dem Beben Montagabend in geologisch gesprochen geringer Tiefe, nur 5 Kilometer. Zum anderen besteht das Erdreich unter den Ortschaften Casamicchiola und Lacco Amena nicht aus Felsen, sondern aus leichtem Gestein und Erdreich. So ein Untergrund, sagt Fachmann Valensise, „wackelt viel mehr als dichte Felsformationen, die Erdbewegungen dringen auf diese Weise direkt an die Erdoberfläche durch“.
Mit katastrophalen Folgen. In beiden Ortschaften Casamicciola und Lacco Amena stürzten selbst Neubauten wie Kartenhäuser zusammen. „Anscheinend wurde nicht eines dieser Gebäude“, sagt Valensise, „nach eigentlich für Erdbebengebiete genau definierten statischen Standards errichtet.“
Aus den Rathäusern beider Ortschaften hiess es am Dienstag, dass keines der von dem Beben betroffenen Gebäude illegal errichtet worden sein. Ein Mitarbeiter des INGV nannte diese Erklärungen „absolut lächerlich“.
Tatsache ist, dass nicht nur auf Ischia, sondern im gesamten Großraum Neapel, auch unterhalb des Vesuv, jahrzehntelang illegal gebaut wurde, um den Ansprüchen des boomenden Tourismus und der Einheimischen gerecht zu werden. „Und die Politiker“, sagt ein Sprecher der Feuerwehr, der nicht genannt werden will, „wurden reihenweise geschmiert.“Das können jene Staatsanwälte bestätigen, die in zahllosen Fällen wegen Beamtenbestechung mit dem Ziel flotter Baugenehmigungen ohne viele Kontrollen ermitteln.
50 Eruptionsherde
Ischia fällt ins vulkanologische Gebiet der Phlegräischen Felder. Der Boden dieses etwa 20 Kilometer westlich des Vesuvs gelegenen Gebietes hat 50 Eruptionsherde. Der eigentliche Vulkankrater ist nicht sichtbar, weil unterirdisch und zu zwei Dritteln unter dem Meer gelegen. Er gilt Vulkanologen als einer von mehr als 20 Supervulkanen, die auf der Erde zu finden sind. 2008 entdeckte man, dass die Phlegräischen Felder und der Vesuv eine gemeinsame riesige Magmakammer haben.
Ein Megavulkan also, der auch Erdbeben provoziert und durch Erdbeben ausbrechen könnte. Eine Horrorvorstellung für Experten wie Valensise. „Das ganze Gebiet zwischen Vesuv und Ischia, also da, wo auch Neapel liegt, ist eine hochgefährliche Zone, doch das wird immer noch von Politikern und Bürgern ignoriert.“